Auf der Kammlinie des Thüringer Mittelgebirges verläuft der Rennsteigwanderweg. Wenn man im Eisenacher Stadtteil Hörschel an der Werra beginnt, hat man nach 169,29 km Blankenstein an der Saale erreicht. Der Weg ist optimal gekennzeichnet: das weiße R, auch "Mareile" genannt, findet sich so oft, dass Verlaufen unmöglich ist. Im Verlauf der Wanderung überquert man die ehemalige deutsch-deutsche Grenze insgesamt sechs Mal. Es gibt zahlreiche Rastplätze und ca. alle 5 bis 10 km kleine offene Schutzhütten.
Seit 1973 wird auf dem Rennsteig der GutsMuths-Rennsteiglauf veranstaltet. Mit mehr als 15.000 teilnehmenden Läufern und Wanderern gilt er als der größte Landschaftslauf Europas.
Über den Rennsteiglauf wurde bereits viel geschrieben. Ich werde also versuchen, in meinem Bericht die Floskeln "Kultlauf", "Traditionsveranstaltung" und "schönste Zielgerade der Welt" zu vermeiden.
Da in diesem Jahr das überregionale Burschenschaftstreffen in Eisenach stattfindet, sind Unterkünfte Mangelware. Mein Mann Norbert und ich haben letztes Jahr schon vorab gebucht und reisen bereits am Freitag an. Wir wählen die Luxusvariante: Übernachtung in einer kleinen Pension in Eisenach mit 5 Minuten Gehzeit zum Marktplatz. So hat das Auto seinen Platz und wir können uns unbesorgt in das Getümmel stürzen. Wobei Getümmel hier übertrieben ist. Gerade war noch eine lange Schlange vor dem Creuznacher Haus gegenüber der Georgenkirche. Seit 14 Uhr werden dort die Startunterlagen ausgegeben. Jetzt ist die Schlange weg und wir können ohne Stau unsere Startnummern und die Startertaschen abholen.
Auf dem Marktplatz vor der Kirche ist bereits das Festzelt aufgebaut. Von außen sieht alles noch ruhig aus. Drinnen geht es aber schon heftig zur Sache: die Vorbereitungen für die alljährliche Kloßparty sind in vollem Gange. 18.500 Thüringer Klöße werden heute ab 17 Uhr hier und in allen anderen Start- und Zielorten Abnehmer finden.
Wir testen schon mal die original Thüringer Rostbratwurst und das Köstrizer Bier, das vor dem Zelt angeboten wird. Als wir zum Kaffee übergehen treffen Margot und Klaus ein. Sie werden Morgen Bilder von der Marathonstrecke und vom Ziel in Schmiedefeld liefern.
Im letzten Jahr, es war unser erster Rennsteiglauf, wurden wir auf der Kloßparty fast erdrückt. Es war schwülwarm und der ganze Marktplatz wurde von Läufern belagert. Ganz anders heute. Bei bewölkten 8 °C suchen wir lieber einen Unterschlupf im Zelt. Jetzt um 17 Uhr 30 hat es dort Platz - und zwar massig. Das Essen ist im Startgeld inbegriffen. Bei der Essensausgabe ist noch nichts los. So mag ich das. Die Klöße sind locker, das Fleisch zart und der Rotkohl angenehm gewürzt. Es gibt Live-Musik und die Bedienungen sind auf Zack. Leider ist die Musik etwas laut und eine Unterhaltung schwierig. Mittlerweile wird es voll und wir ergreifen die Flucht. Es gibt noch was Süßes aus der Bäckerei und gemütlich bummeln wir nach Hause.
Am nächsten Morgen heißt es zeitig aufstehen. Start ist um 6 Uhr. Es ist bereits hell. Oh je, wir sind knapp dran. Alle Läufer scheinen schon versammelt zu sein. Zum Brunnen, dem allgemeinen Treffpunkt der über 2200 Starter, ist kein Durchkommen.
Vor dem Startbogen haben sich die Favoriten versammelt: Christian Seiler, letztjähriger Rennsteigseriensieger und Inhaber des Streckenrekords von 5:10, und Carsten Stegner, der 2012 Zweiter war, haben wohl bei den Männern die größten Chancen. Die drei schnellsten Frauen des letzten Jahres Carola Bendl-Tschiedel aus Österreich, Katja Baumann und Gitti Schiebel werden wieder ganz vorne vermutet. Meine Favoritin ist ja Branka Hajek. Die sympathische junge Athletin hat mir gestern noch verraten, dass ihr Partner Andi ihr eine Zeit von 6:10 zutraut. Das würde zum Sieg locker reichen.
Die Schlangen vor den Toiletten sind lang. Wir geben noch schnell die Taschen mit der Wechselkleidung ab. In den bereitstehenden typisch gelben LKWs des Sponsors werden sie nach Schmiedefeld gefahren und liegen dann im Ziel nach Startnummern geordnet, zur Abholung bereit. Irgendwie verliere ich Norbert in dem Getümmel. Er schafft es aber mich nach dem Start wiederzufinden.
Pünktlich um 6 Uhr wird gestartet. Die Oberbürgermeisterin von Eisenach gibt den Startschuss.
Unter dem Jubel der Fans geht es über die Karlstraße, am Luther Denkmal vorbei über den Karlsplatz, durch das Nikolaitor auf die Bahnhofstraße. Einmal scharf rechts auf die Wartburgallee und dann scharf links auf die Dr.-Moritz-Mitzenheim-Straße. Jetzt geht es in Serpentinen nach oben. Das Kopfsteinpflaster ist tückisch. In der ersten scharfen Kurve legt sich ein Läufer unfreiwillig vor meine Füßen. Schnell springt er wieder auf und läuft weiter. Wobei laufen eigentlich übertrieben ist. Die meisten gehen hier. Zu steil ist die Straße und zu groß der Respekt vor der Strecke, die noch vor uns liegt. Wir verlassen die Straße und biegen auf den Waldweg ein. Diese Engstelle führt wie in jedem Jahr zum totalen Stillstand. Aber nur kurz. Da jeder Rücksicht nimmt, geht es erst langsam dann aber doch zügig weiter.
Plötzlich lichtet sich der Wald und Eisenach liegt zu unseren Füßen. Norbert ist es zu langsam. Wir verabschieden uns: "Bis dann im Ziel."