Es gibt Läufe, bei denen schon im Vorfeld alles stimmt: Name, dezentes Marketing, eine gutbesetzte Fangemeinschaft und ruckzuck ausgebucht. 63 Kilometer und 1600 Höhenmeter sind veranschlagt. „Hunsbuckel“ ist eine liebevolle Bezeichnung für den Hunsrück, der sich von Luxemburg bis nach Koblenz erstreckt. Die Namensgebung ist römischen Ursprungs, denn die kamen die Mosel heraufgerudert und sahen, dass die Kelten (Gallier) in ihren Höhenburgen kaltes Bier hatten. Die Römer aber hatten nur warmen Wein, also riefen sie nach oben: „Ihr Hunde, rutscht mir den Buckel runter!“ Hunsbuckel war geboren, weswegen Chef Thorsten diesen Trail so nennt.
Startort des HunsBuckelTrail, kurz HuBuT ist Laubach. Davon gibt es viele, gemeint ist heute das Laubach in Rheinland Pfalz, gehört zu Simmern, wo nächstes Wochenende der schnelle Hunsrück Marathon stattfindet. Angeblich hätte Kaiser Barbarossa höchstpersönlich 1166 eine Urkunde unterschrieben, in der Laubach erwähnt wird. Das ist höchst unwahrscheinlich, aber wohl doch wahr, denn diese Urkunde wurde in einem backup von 1600 nochmals erwähnt. Laubach ist somit weitaus wichtiger als Berlin, das damals noch ein großer Teich war. Somit konnte Berlin stolz sein, als Laubach nach dem Wiener Kongress zu Preußen kam. Als der Preußenkönig Friedrich der Große im Begriff war, gegen die Österreicher zu verlieren, rief er seinen Soldaten zu: „Hunde, wollt ihr ewig leben?“ Das ist die Wahrheit. Nicht wahr ist, dass er damit ausdrücklich die Männer aus dem Hunsrück meinte.
Am Vorabend des Laufes treten erstmal die Frauen auf: „Tanzfestival mit Gaumeisterschaften“. Dafür braucht man das fünfköpfige Orgateam des HuBuT auch noch. Trotzdem haben die Zeit, die Läufer persönlich zu begrüßen. Der TuS Laubach bietet Sportangebote für 2-80jährige. Der Ultra ist allerdings erst ab 18 erlaubt. Nein, es wird nicht nackt gelaufen, es ist die 360 Meter lange Hängebrücke, die Lebenserfahrung erfordert. Thorsten markiert noch die Strecke, den dritten Tag in Folge, denn mit dem Rad kann man die Strecke nicht abfahren. Also eine extreme Angelegenheit. Das war so nicht auf meinem Schirm.
Sonntags um 7 Uhr steht ein prominentes Läuferfeld vor der Matte. Die Matte liegt „Unter den Buchen“ in Laubach. Wir begeben uns auf eine große Runde Richtung Nord-West. Wichtig ist die Cut-Off Zeit im Ziel: 19 Uhr. Die Orga behält sich vor, das Zeitlimit zu verlängern. Mein überhebliches Grinsen wird mir gleich vergehen.
Wir passieren Gammelshausen, das nicht so heißt, weil ich dort übernachtet habe. „Gammel“ bedeutet „sehr alt“. Wir tauchen ein in den dunklen Hunsrücker Wald mit sehr alten Geschichten:
Die Mönchstrasse (Minnichstroß) kommt von Kevelaer und führt direkt zum Jakobsweg in Spanien. Die Römerstraße Boppard-Belgien nutzen wir nur auf 100 Meter, dann geht es wieder durch dichtes Unterholz. Der Läufer hinter mir bretzelt hin, ich dreh mich um, zeige augenblicklich Solidarität, indem ich auch die heiligen Wurzeln küsse.
Die Stadt Bell (km 9) ist nach dem höchsten, keltischen Gott Belenus benannt, wie Belgien, Bilstein, Biel etc. 1938 fand man das Hügelgrab eines keltischen Fürsten, begraben auf seinem Prunkwagen. Seit der keltischen Zeit findet regelmäßig der Beller Markt, ein Viehmarkt statt. 400 Aussteller kommen am vorletzten Mittwoch im Juli zusammen. Ab 1902 wurde das Vieh mit der Hunsrückbahn angekarrt, deren alte Trasse (Strecke des Hunsrück Marathons) wir nun queren. Es gibt keine Konkurrenz zum Hunsrück Marathon, der nächste Woche auf dieser Trasse stattfindet. Das Ehepaar Berg ist heute sogar in dieser Orga vertreten.
Vor dem Bau der Hunsrückbahn kam das Vieh über die Hunsrückstraße, die einen Meter nach der ehemaligen Bahnstrecke gequert wird. Die Straße entstand weit vor der keltischen oder gar römischen Zeit, während der Hallstattkultur. Hier entstand um 500 v. Chr. eine besonders reiche Kultur, die Hunsrück-Eifel- Kultur. Die Straße, die bis in die Champagne geführt wurde, hat die Leute reich gemacht. Die Wagen, die man fand, nutzte man nicht für Handelswaren, sondern zum Transport reicher Leute.
Direkt hinter der Hunsrückstraße laufen wir über die Pfingstwiese, wo der Beller Markt abgehalten wird. Braunes Jungvieh bettelt lautstark unterhalb des mittelalterlichen Galgenbergs, wo die Hexen verbrannt wurden. Daneben ein Thingplatz, die Richtstätte der Germanen, die nach den Kelten hier siedelten. Die Gemarkung gegenüber des Bahnhofes Bell trägt den Namen Totenacker und ist randvoll mit Knochen derjenigen Reisenden, die auf der Hunsrückstraße blieben.
In der Ferne, das Dorf trägt den Namen Hundheim, hat man das Haus eines fränkischen Heeresführers gefunden. Und jetzt kommen wir zum Namensurspruch von „ Hunsrück“: Die Franken, die nach den Germanen kamen, gliederten ihr Heer in Hundertschaften, den Heeresführer nannte man „Hont“( Hundert), später „Hunt“. Wer also Huntemann heißt, hat fränkische Vorfahren. Die fränkischen Heeresführer erhielten nach ihrer Dienstzeit ein Stück Land, die „Huntschaft“. War das Gebiet größer, nannte man es „Huntsric“ (Hunsreich). Alles klar?
Das Tal des Mörsdorfer Baches (Saar-Hunsrück-Steig) ist so tief eingekerbt, dass auf 10 Kilometern keine Straße den Bach kreuzen kann. Die feuchte Luft steht in dem Tal und verstärkt den Läuferschweiß trotz kühler Temperatur. Die vielen Moosarten freut es. Die Schieferfelsen sind knallgrün, bis in die Spitzen der Bäume zieht sich das Moos. Ein Eisvogel wechselt lieber die Bachseite.
Wir passieren die Bucher Mühle. Obwohl von 1700 bis 1946 in Betrieb, sieht man nur noch das Fundament aus Schieferplatten und das Widerlager, über das wir nun laufen. Am Mühlengraben geht es weiter zur Mohre Mühle, die 1901 abbrannte. Daneben das Fundament einer Kapelle und der Bernardmühle (1755), unter uns ein intakter 50 Meter langer Tunnel, der Waser zuführte. Nach der Schweitzermühle und der Weienmühle erreichen wir den ersten VP (km 15) direkt unter dem markanten, viergeschössigen Wohnturm der Burg Balduinseck, die auf einem steilen Schieferkegel inmitten des Mörsdorfer Baches, des Schumbaches und des Wohnrother Bachs steht.
Balduin, der Erzbischof von Trier baute die Burg 1325, deren Modell in unseren Kinderzimmern zu finden war. Sie wurde nie durch Kriege zerstört, auch als Steinbruch wurde sie nicht missbraucht. Das nächste Dorf ist zu weit weg. Eine Wendeltreppe führt im Inneren hinauf, das von neun Kaminschächte durchzogen wird. Das vierte Stockwerk hatte keinen Kamin, diente der Verteidigung, später als Vorratskammer. Der Bach unterquert die Hunsrückstraße, wir auch. Längst habe ich nasse Füße.
Die zahlreichen Holzbrücken, die wir queren sind erstaunlich stabil. Im sumpfigen Gelände sind Baumscheiben eingelassen, die mit Hasendraht rutschfest gemacht wurden. Trittsteine aber sind zu eng gesetzt, sodass ich oft viel zu kleine Schritte laufen muss, und dann doch lieber in den Morast ausweiche.
Die Kaspersmühle wurde 1956 stillgelegt, elektrisch gemahlenes Mehl war besser. Auf einem Felsen die Inschrift J W, A M und P H , drei Arbeiter, die 1919 als diesen Weg angelegt haben, haben die Inschrift hinterlassen. Auftraggeber war die Gemeinde, die in der Zeit nach dem ersten Krieg die extrem hohe Arbeitslosigkeit bekämpfen wollte. Das Kreuz steht zur Erinnerung an einen Toten einer Sprengung.
Auf dem Burgberg war eine Höhensiedlung der Kelten, sie wurde 50 v. Chr. von den Römern zur Stadt ausgebaut und 200 n.Chr., als die Germanen kamen verlassen. Problematisch zu laufen sind die Befestigungsgräben und verfallenen Mauern, die wir nun überwinden. Ein tiefer Bergwerksschacht ist durch Eisenkonstruktion gut abgedeckt. Wieder im Bachtal angekommen, sieht man den unteren Eingang zum offenen Schacht, und Fundamente römischer Wohnhäuser. Die 37 Kilometerläufer, die um 9 Uhr starten, verlassen hier unsere gemeinsame Strecke.
Nach der Petrymühle beginnt der Aufstieg zu unserer heutige Attraktion: Die Geierlay, die 360 Meter lange Hängebrücke. Der Name Geierlay ist nicht aus der Luft gegriffen, er bezieht sich auf das drunter liegende Flurstück Geierslay. „Lay“ ist die Bezeichnung für einen Schieferfelsen (lay= Liegendes) und „Geier“ (Ghir) bedeutet „Gier“. Ob es nun Greifvögel oder die Gier des Felsen auf Menschenfleisch war, was dem Flurstück seinen Namen gab, sei dahingestellt.
Das Laufen über die Brücke hat uns das Ordnungsamt verboten, macht eh keiner von uns, wir genießen den Moment. Es ist 10 Uhr, da sind nur wenige Wanderer auf der Brücke, später wird es rappelvoll werden. Die Brücke ist nach dem Vorbild der Himalayabrücken gebaut und erinnert mich an meinen 200 Kilometerlauf durch Bhutan, die Hängebrücken dort waren angsteinflößend.
Die Geierlay, die 2015 gebaut wurde, macht nur mulmig wegen der Höhe (100 Meter) und Länge (360 Meter), aber es sitzen keine fetten Spinnen zwischen den bis zur Brust reichenden Drahtseilen. Die Brücke soll 62 Tonnen wiegen und 950 Personen aushalten können. Das weiß der Hund von Jeanette nicht, er sucht ängstlich Kontakt zu jedem Menschen, auch zu denen, die von der anderen Seite kommen. Ich dagegen vermeide jeden Kontakt, was schwierig ist, weil die Brücke doch ziemlich schaukelt und man vorsichtig aneinander vorbeigehen muss. Ich habe die Schlaufe von meinem Fotoapparat fest um mein Handgelenk gelegt. Als ich dran denke, dass er dennoch runterfallen könnte, werden meine Knie weich. Ich muss mich fest konzentrieren und darf nicht hinunterschauen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich auf der anderen Seite bin, dann endlich sinkt der Blutdruck und ich atme auf.
Beim Abstecher Richtung Mörsdorf kommen mir sehr viele Wanderer entgegen, das Grüßen ist anstrengend, aber man würdigt uns Läufer. Es ist aber nicht einfach dem Gegenverkehr auszuweichen, zu schmal ist der kaum ausgetretene Trail. In das nasse Gras möchte ich nur ungern ausweichen.
Die Fettsmühle wurde durch ein holländisches Paar gekauft, das neben ihrer regulären Arbeit die alten Gebäude restauriert. Mareike verdient sich an Wochenende ein wenig Geld mit den Verkauf von eiskalten Getränken dazu. Der Kühlschrank ist gasbetrieben. Die Mosel ist etwa 5 Kilometer von hier entfernt, wir verlassen den Bach (km 26) und laufen Richtung Nord-West. Ein großes schwarzes Etwas entpuppt sich als dicker Schwarzstorch.
Auf den Höhen des Hunsrücks huldigt man dem Gott des Windes: Über uns das drohende Geräusch der Windräder. Bei Kilometer 31 kommen wir zum zweiten VP.
Auch das Dünnbachtal ist unberührt und absolut idyllisch. Für uns heißt es Dschungelpfad, es ist kein ausgewiesener Weg. In der napoleonischen Besatzungszeit wurde der Bach mit Schiefersteinen eingemauert, er bildete die Grenze zwischen den Departements. Die folgenden Felsentrails sind mit Drahtseilen abgesichert. Da bin ich glücklich drüber, denn ich fühle mich nicht sehr trittsicher, weil die steilen Abstiege meinen Knien zugesetzt haben. In der einen Hand den Fotoapparat, in der anderen das Stahlseil - wenn ich runterschaue, dann tropft mit der Schweiß auf die Brille und erschwert mir die Sicht.
Beim Abstieg brauche ich viel Zeit, beim Aufstieg auch, Jens überholt mich. Bin verwundert, woher er die Kraft nimmt. Schnell erklärt: er hat gestern zu viel gefeiert und den Wecker verpennt. Deswegen ist er erst um 9:30 gestartet. Nun ist er gut getapert und hat keine Probleme, mich einzuholen.
Viele Hunsrücker verließen das Land Richtung Westen. Das Brasilienlied ist die Hymne der Deutschstämmigen Brasilianer, wird heute noch auf Kirchweihfesten im Hunsrück gespielt. 20 Millionen Brasilianer sind deutscher Abstammung, 10 Millionen davon haben Vorfahren im Hunsrück.
Die Reisekosten wurden von den Gemeinden finanziert. Die Gemeinden holten sich das Geld aus dem Besitz der Auswanderer zurück. In einem Brief in die Heimat warnte ein Auswanderer, nicht über Liverpool auszuwandern, es gäbe zwei Tage lang kein Wasser. Zwanzig, fünfundzwanzig Genossenschaftler teilten sich eine Mühle. Sie alle nannten sich „Müller“ was erklärt, warum es so viele „Müllers“ auf der Welt gibt. Die Gemeinde pfändete die Genossenschaftsanteile zur Finanzierung der Reisekosten, die Auswanderer waren verschuldet, deswegen nahmen sie bei Ankunft im Westen neue Namen an, oft den Namen ihrer Heimatstadt: Bell, Morse (Mörsdorf) etc.
Hinter der Hauslay bei Kilometer 49 erreichen wir den dritten VP mit Blick auf die Sabelsmühle. Es folgen Sulzmühle und Korweilerer. Vor der Gräfenmühle und Junkersmühle verlassen wir den Bachlauf. Über 100 Mühlen gab es einst hier, sie wurden im 19. Jahrhundert aufgegeben. „ Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“ ist vom Lehrer Ernst Anschütz, sein größter Hit aber war „Oh Tannenbaum“. Wir passieren den 300 Seelen-Ort Uhler, der immerhin schon 800 Jahre alt ist. Den vierten VP erreichen wir bei Kilometer 55 in Kastellaun.
Kastellaun besteht aus Schiefer, Bruchstein und Fachwerkhäusern, hinter den Türmen der neugotischen Basilika sieht man die Burgruine (13. Jahrh.) Der Erzbischof Balduin von Trier bedrohte ein wenig die Burg, aber das jetzige Aussehen erhielt die Burg durch den Sonnenkönig 1689, der vermeiden wollte, dass die Hunsrücker, falls sie von der Schlacht gegen die Türken bei Wien lebend zurückkehren würden, noch irgendetwas von der Heimat vorfinden würden.
Auch ich bin ausgebrannt, hungrig, durstig, aber vollauf begeistert. Die letzten 8 Kilometer schleppe ich mich völlig verdreckt und schmerzverzerrt bis in den Landreitgraben. Von der Namensgebung mittelalterlich, von der geradlinigen Bauweise römisch, allerdings wegen der doppelten Mauer eher keltisch. Mindestens ein Rätsel bleibt.
Keine Frage ist, dass mit der Erstaustragung des HuBuT ein Shootingstar geboren wurde. Bin sehr zufrieden und absolut fertig. Hunde wollen nicht ewig leben, heute aber alle haben überlebt, und ich war noch recht schnell dazu. Auf diesem Trail fließt Blut, entweder läuft man mit Vollschutz, oder man will es. Ich will nochmal!