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30.08.14 - Karwendelmarsch

Karwendellust und Wolkenfrust

Fragt man einen bergnarrischen Bayern nach seinen Lieblingsbergen, kann man sicher sein, dass ein Name besonders oft fallen wird: der Karwendel. Kein Wunder. Was dieser Gebirgsstock an Möglichkeiten zum Wandern, Kraxeln, Tourengehen bietet, ist einmalig. Gletscher, Wind und Wetter haben aus dem Kalkstein eine geradezu kitschig schöne Gebirgslandschaft geformt.  Schwindelerregende Felswände findet man ebenso wie anmutige Almen. Weite Täler mit rauschenden Wildbächen und dramatische Kare durchziehen ein Netz aus bis auf 2.800 m ansteigende Bergketten. Nicht zu vergessen: Die 26 bewirtschafteten Hütten, für viele das ultimative Highlight jeder Bergtour. Dass uns Bayern nur ein klitzekleiner Teil des Karwendels „gehört“ und letztlich die Tiroler die Hausherrn sind, ist da nur Nebensache. 

Die geniale Idee, dieses Bergidyll im Rahmen einer Veranstaltung komplett zu durchqueren, ist schon lange vor den Zeiten des großen Marathonbooms entstanden. Im Rahmen des „Karwendelmarschs“ wurde bereits in den 70er- und 80er-Jahren, erstmals 1969, langstreckengewandert. Nach 1990 war allerdings erst einmal Schluss damit und die Veranstaltung fiel in einen 19-jährigen Dornröschenschlaf. 2009 kam es zur Reanimierung des einst so beliebten Events. Initiiert wurde die Neuauflage von den Direktoren der Tourismusverbände Seefeld und Achensee, den Brüdern Markus und Martin Tschoner, die, wie es der Zufall so will, just am Start- und am Zielort des Karwendelmarsches beheimatet sind.

 
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Von Anfang war die Neuauflage ein Riesenerfolg. Legenden haben eben Ihre eigene Faszination. Im Gegensatz zu einst wurde die Veranstaltung zeitgemäß durch einen Lauf ergänzt: Karwendelmarsch meets Karwendellauf. Die klassische Distanz von 52 km und 2.281 Höhenmetern für Wanderer, Walker und Läufer wurde beibehalten. Für Wanderer und Nordic Walker wurde zudem eine „Kurzdistanz“ von 35 km eingeführt. Gut eintausend Teilnehmer verbuchte die Veranstaltung bei der Neuzeitpremiere im Jahr 2009, etwa doppelt so viele sind es 2014. Vor allem die Zahl der Läufer stieg dabei rasant von 150 auf 600. Damit ist der Karwendelmarsch-/lauf die größte alpine Langstrecken-Bergveranstaltung in Deutschland und Österreich. 

 

Start im Morgengrauen

 

Der klassische Bergfex ist ein Frühaufsteher. Daher ist es für ihn auch kein Problem, bereits um 6 Uhr morgens am Start zu stehen. Überaus beeindruckend ist der Menschenauflauf, der sich zu noch nachtschlafender Zeit rund um das Gemeindeamt im beschaulichen Tiroler Dörflein Scharnitz bildet. Es sind immerhin eineinhalb mal so viele Menschen, wie Scharnitz Einwohner hat, die über die Gemeinde direkt an der deutsch-österreichischen Grenze herfallen. Der nahe Bäcker feiert Frühmorgen-Rekordumsätze, ich freue mich, dass die Wirtin im „Goldenen Adler“ bereits um 5 Uhr das Frühstücksbuffet bereitet.

 
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Dass dicke Wolken den Himmel verdüstern, lässt sich trotz der Dunkelheit bereits erahnen. Und nicht nur das: Auch fühlen. Denn pünktlich zum Start öffnet der Himmel gleich mal seine Schleusen. Aber irgendwie hat das auch schon Tradition. Anscheinend ist es bis heute nicht gelungen, Petrus angemessen ins OK einzubeziehen. Diametral dazu ist aber die Stimmung unter den Startern: ausgelassen und voller Vorfreude. Wanderer, Walker, Läufer, alle treten gemeinsam an, wobei die Läufer den Vortritt haben.

Ein donnernder Kanonenböller gibt das Zeichen. Unter mächtigem Getrappel setzt sich die Meute in Bewegung. Im Schein der Straßenlaternen eilen wir über nassglänzende Straßen. Ein großes Holzschild weist zu allerlei fernen Zielpunkten für Karwendelcruiser, etwa zum Karwendelhaus und zur Falkenhütte. Wir queren einen laut rauschenden Wildbach. Es ist die Isar. Hier in Scharnitz ist die Isar noch ein "Zwerg", im Karwendel entsprungen und noch mitten dabei, Kraft zu sammeln, bevor sie meine Heimatstadt München als breites, durch Schleusen und Uferbefestigungen gebändigtes Flussband quert.

 

Durch das Karwendeltal

 

Auf einem durch dichten Wald ansteigenden Forstweg werden erstmals unsere bergläuferischen Fähigkeiten getestet. Aber nur kurz, quasi zum Anwärmen. Dann ist schon das  Karwendeltal erreicht. 18 km ist dieses herrliche Tal lang, 18 km, die wir zur Gänze durchmessen werden und das lange Zeit bei nur minimaler Steigung. Durch bergtypische Wiesen und Wälder führt uns der  breite, bequeme Naturweg. Links und rechts steigen die Gipfel dramatisch in Höhen bis zu 2.500 m auf. Langsam und zunächst nur schemenhaft gewinnt die Landschaft um uns Kontur. Kontur gewinnen vor allem aber auch die mächtigen Wolkenbänke, die die Berge umwabern und uns mit ihrer feuchten Last beglücken. So lässt sich das Bergpanorama zumeist nur erahnen.

 
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Mal links, mal rechts folgen wir dem durch den Talgrund rauschenden Karwendelbach. Es ist ein herrlich entspanntes Laufen, auch wenn Berglaufpuristen dieses Wegstück als läppisch abtun mögen. Aber Gemach: Es ist nur der Vorspann zu größeren Herausforderungen.

Unser Weg durch das Karwendeltal ist Teil der Via Alpina, einem grenzüberschreitenden Fernwanderwegenetz durch alle Alpenländer. Und wenn man so entlang trabt, bekommt man wirklich Lust, eine solche Fernwanderung einmal länger auszukosten. Tja - wenn mal so viel Zeit wäre. 

Ein weiß leuchtender Pavillon in der Bergeinsamkeit signalisiert uns: Mach doch mal ein Päuslein! Auf dem Schafstallboden (1.173 m üNN) genannten Flecken nach 9,5 km ist die erste von zehn "Labestationen" entlang der Strecke eingerichtet. Leckeres wie Holundersaft gibt es, und nicht nur das.

Und weiter geht es durch das schier endlose Tal. Kurzzeitig reißen die Wolken in der Höhe auf und vermitteln einen Eindruck, welch fantastische Bergkulisse uns bei Idealwetter begleiten würde. Aber ich will nicht klagen. Auch die vielschichtigen Wolken zaubern ein ganz besonderes Bild. Und läuferisch tun wir uns in der kühlen Luft ohnedies leichter als bei praller Sonne.

Jenseits des km15 nimmt die Steigung deutlich zu. Durch den Wald schraubt sich der weiterhin gut ausgebaute Weg in Serpentinen mehr und mehr in die Höhe. Immer tiefer fällt der Blick hinab in das hinter und unter uns liegende Karwendeltal. Hoch über uns, direkt unterhalb einer Felswand, sehen wir schon unser nächstes Zwischenziel thronen: Das Karwendelhaus. Exponiert auf 1.765 m üNN gelegen markiert es höhenmäßig den ersten der drei "Top Spots" unseres Streckenkurses. Schon über 100 Jahre alt ist das bei Wanderern und Mountainbikern gleichermaßen überaus beliebte Schutzhaus. Es belegt zudem die lange Tradition des Wanderparadieses Karwendel.

Direkt zum Karwendelhaus hin kommen wir jedoch nicht. Etwas unterhalb werden wir vorbei und über die Passhöhe geleitet, direkt den sich jenseits des Passes auftürmenden Wolken entgegen. In kühl-feucht-frischer Umgebung erwartet uns am Rande des Wolkenmeeres nach gut 18 km der nächste Versorgungsposten. Berge von Wurst- und Käsebroten sind bereitet, gerade recht für eine herzhafte Jause. Gut tun auch warme Gemüsesuppe und Kräutertee. So verwöhnt wird man bei einem Berglauf selten!

Und rein geht’s in die Wolkensuppe, nur jetzt nicht mehr rauf, sondern runter. Steiniger wird der Weg, aber noch immer ist er gut zu belaufen. Nach dem Schleichgang zum Karwendelhaus hinauf schalten viele auf Vollgas. Immer dichter umschließt uns der Bergwald des Unteren Filztals, gleichzeitig entfleuchen wir so wieder der geschlossenen Wolkendecke. Zu unserer Rechten türmt sich mit der 2.749 m hohen Birkkarspitze der höchste Punkt des Karwendels, einer von 125 Gipfeln des Karwendels der Kategorie 2.000 plus. Nur: Diese Höhen bleiben uns heute verborgen. Allenfalls bis zu den Schuttablagerungen zu Füßen der Bergriesen reicht im Moment der Blick.

Der Weg führt uns geradewegs bis zum Kleinen Ahornboden (1.399 m üNN). Auf dem Talboden gedeihen einige Exemplare der majestätischen, alten Laubbäume. Ein Denkmal erinnert an Hermann von Barth, einem im 19. Jahrhundert bekannten Bergsteiger, der in besonderer Weise zur Erkundung, Erschließung und letztlich auch zum Bekanntwerden des Karwendels beigetragen hat.

In der malerischen Umgebung des Kleinen Ahornbodens (km 24) dürfen wir erneut unsere Energiereserven aufstocken, was durchaus sinnvoll ist, denn der nächste Anstieg steht bevor.  

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Informationen: Karwendelmarsch
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