Bereits im Mittelalter wurde im Saarland Kohle abgebaut. 1773 förderten 150 Bergleute 50 000 Tonnen im Jahr. Die Einführung der Dampfmaschine 1820 verhalf dem Grubenabbau zu einem richtigen Boom. Anstatt wie bisher über schräg in die Tiefe führende Tunnel, kam man an die Kohle nun über senkrechte Schächte ran. Eine Förderung von 2 Mio. Tonnen jährlich mit über 11.000 Grubenarbeitern war die Folge.
Durch den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 ging es nochmals in die Höhe. Der Bergarbeiterbedarf war groß, und die Städte des Industriereviers platzten aus allen Nähten. Viele, die ihren Hof nicht verlassen wollten, führten ein Pendlerleben. Montagmorgens verließen sie ihre Familien, um über Bergmannspfade die Grube zu erreichen. Unter der Woche schliefen sie in eigenen Miethauskolonien. “Hartfüßler“ nannten die Einwohner des Industriereviers spöttisch die Bergleute mit dem groben Schuhwerk und dem langen Arbeitsweg. Später wurde der Begriff zum Ehrennamen für Fleiß und Opferbereitschaft.
1913 konnten in Saarländischen Gruben 14 Mio. Tonnen Kohle gefördert werden. Annähend 60.000 Personen hatten im Bergbau ihr Auskommen. In Politik und Wirtschaft erkannte man dann aber, dass die Verbrennung fossiler Stoffe aus Umweltgründen nicht länger zu unterstützen sei. Am 30. Juni 2012 endet der Bergbau im Saarland mit einem offiziellen Festakt in Ensdorf, dem letzten damals noch betriebenen saarländischen Bergwerk.
Die RAG, früher Ruhrkohle AG, ist der 1968 erfolgte Zusammenschluss deutscher Bergwerksunternehmen. Heute ist die Gesellschaft damit beschäftigt, die Überbleibsel der Kohleförderung zu verwalten und abzuwickeln. Es werden Konzepte gesucht, die weitflächigen Liegenschaften sinnvoll zu nutzen.
Eine, und wie ich meine, grandiose Idee ist es, auf den Spuren des Kohleabbaus das ultimative Laufevent zu etablieren. Am 13. Mai 2012 fand der erste Hartfüßler Trail statt. Der Ultraläufer Hendrik Dörr, Mitarbeiter der RAG, bezeichnet sich selbst als Bergmann und fühlt sich daher als solcher seiner Heimat verpflichtet. Ausgehend von seinem Hobby, war ein Laufwettbewerb natürlich naheliegend; aber ein komplettes Konzept aus dem Hut zu zaubern, das auch noch Sponsoren anlockt, ist schon bemerkenswert.
Norbert und mir ist klar: Da müssen wir hin. Aus Naturschutzgründen wurde der Lauf vom Mai in den August verlegt. Kein Problem. Erst in der extrem heißen Woche vor dem Lauf kommen mir Bedenken. Samstag ist dann auch tatsächlich der heißeste Tag des Jahres. Am Sonntag, dem Tag des Laufes, soll es kühler werden, anstatt 36 °C „nur“ 32 °C. Anlass für viele, kurzfristig auf eine kürzere Distanz umzumelden. Neben dem 58 km Trail sind auch Strecken über 30, 14 und 7,5 km im Angebot. Insgesamt ist das Starterfeld auf 800 Läufer begrenzt. Daher gibt es auch eine lange Warteliste.
Wettkampfareal ist das Gelände der staatlichen Förderschule Von der Heydt. Hier sind die Startnummernausgabe, Turnhalle (Übernachtungsmöglichkeit!), sowie Läufermesse und Start/ Ziel im Schulhof. Die Übernachtung samt Frühstück am nächsten Morgen ist kostenlos; ein gemeinsames Pizzaessen am Vorabend wird organisiert. Wir schlafen in unserem Bus, können aber die sanitären Anlagen der Schule benutzen und sind natürlich zum Frühstück eingeladen.
Ich bin am Sonntagmorgen noch im Aufwachmodus, da ist in der Schule schon einiges los. Die Helfer sind fleißig am Aufbauen und die ersten Läufer kommen an. Mit Parkraum um die Schule herum ist es eng und die ausgeschilderten Parkmöglichkeiten wohl nicht ganz so nah. Es empfiehlt sich daher früh dran zu sein.
Wir lassen den Tag gemütlich angehen. Als letztes werden noch die Trinkrucksäcke gefüllt. Eine ausreichende Menge Wasser gehört neben Mobiltelefon zur Pflichtausrüstung. Dann begeben wir uns zum Briefing auf den schon gut gefüllten Schulhof. Als erstes macht Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer eine erfreulich kurze Ansprache. Ihre Anwesenheit wertet den Lauf zumindest medial auf, denn das Fernsehen ist auch am Start. Bei der Ansprache eines Laufschuhsponsors werden die Läufer dann doch ungeduldig, wir wollen schließlich auf die Strecke. Als letztes kann dann Hendrik noch einige Infos loswerden: „Dieses Jahr gibt es leider keinen Matsch auf der Strecke und bitte die Notfallnummer nur im Notfall wählen! Die Frage nach der Uhrzeit ist kein Notfall“.
Man begibt sich zum Starttor, wo stilecht mit einer alten Grubenglocke gestartet wird. Die Ministerpräsidentin gibt das Zeichen, dann geht es los. Bergauf über eine Wiese, dann links runter auf die Straße vor der Schule. Diese führt direkt in den Wald. Am Abzweig auf den ersten Trail steht ein Trompeter des Blasorchesters Riegelsberg und verabschiedet uns standesgemäß. Es geht bergauf und ich nehme schon mal Tempo raus. Oben biegt die Strecke des 7,5km Laufs ab. Zunächst ist der Weg noch breit, bis es endlich auf den erhofften Singletrail geht. Der Untergrund ist gut zu laufen und wir kommen zügig voran.
Püttlingen, eine ehemaligen Grubensiedlung, ist menschenleer. Mit unserer Überlebensausrüstung komme ich mir zwischen den gepflegten Häusern leicht deplatziert vor und bin froh, als wir schnell wieder im Wald verschwinden. Hier sind wir gleich wieder auf einem Singletrail. Der Wald wird nun zum Urwald. Plötzlich besteht der Untergrund nur noch aus schwarzem Schotter, der Wald wird licht und Büsche treten an seine Stelle. Es geht bergauf. Immer steiler wird der Weg. Oben angekommen, weisen gelbe Pfeile nach rechts und immer noch bergauf. Gleichzeitig kommen uns von oben Läufer entgegen. Der Weg wird ziemlich schmal. Vermutlich können die von oben kommenden schlecht bremsen und so drücke ich mich ins Gebüsch, wenn jemand entgegen kommt. Die Läufer bedanken sich. Ich höre Trompetenmusik und irgendwann bin ich dann auch oben. Unter dem Gipfelkreuz der Halde Viktoria spielen zwei Musiker Trompete und ein Fotograf erwartet uns bereits. Kurz ein Blick auf die fantastische Aussicht, dann geht es retour. Ein wunderbarer, schier endlos langer Bergabtrail entschädigt für die Mühen des Aufstiegs.
Durch Wald und über Wiesen erreichen wir die erste Wasserstelle bei km 7,5. Ich fülle meine Handflasche. An den VPs gibt es keine Becher, die Läufer sind angehalten, selbst für ein Gefäß zu sorgen. Meine Handflasche hat den Vorteil, dass ich sie gefüllt mitnehmen kann. So kann ich mir auch zwischendurch Wasser über den Kopf gießen. Es ist mittlerweile doch recht warm geworden, aber im Wald ist es noch auszuhalten.
Jetzt werden die Trails zusehends anspruchsvoller. Kleine Bäume liegen über dem Weg, Gräben sind zu überspringen, Wurzeln und Steine machen das ganze unwegsam. Das ist aber kein Problem, denn ich bin noch relativ frisch und empfinde die Naturhindernisse als eine willkommene Abwechslung. Bei km 14 gibt es einen Brunnen. Hier erfrische ich mich und fülle nochmals meine Flasche. Man weiß ja nie, was kommt. Weiter geht es auf schmalen Pfaden quer durch den Wald. Schnelle Schritte kündigen den Führenden des 30 km Lauf an. Timo Schmidt aus Saarbrücken kommt mit weitem Vorsprung und hat Zeit für aufmunternde Worte.
Der Weg ist schmal und ich will keinen der Schnellen behindern. Immer wenn einer kommt, trete ich zur Seite und lasse ihm den Vortritt. Anschließend brauche ich für einen Moment nicht selbst den Weg zu suchen, ich hänge mich einfach kurzzeitig dran. Nicht dass es ein Problem wäre, die Pfeile auf dem Boden oder die Bänder an den Bäumen zu finden. Aber es erfordert doch Konzentration und so geht es eben leichter.