Fremd und geheimnisvoll ist die Schreibweise, majestätisch der Trail! Begleitet mich auf eine Reise, die es auf der Hitliste eines alten Haudegens auf Platz 1 geschafft hat!
Tizi (sprich Tissi) ist ein Wort aus dem Berberdialekt des Hohen Atlas und bedeutet Bergweide. Wir starten unseren Bergweidentrail in Ouarzazate, der Marathon-des-Sables-Stadt in der Sahara. Es ist keine Gewalttour, wir laufen zwar hinauf in den Hohen Atlas, aber die 77 km teilen sich in drei Etappen auf. Es gibt kein Zeitlimit und in der Ausschreibung werden ausdrücklich Wanderer eingeladen. Mit Mohamed Elmorabity, dem Bruder von Rachid, dem mehrfachen MdS-Gewinner, ist beim Tizi`N Trail einen Hochleistungssportler, der auch die vierte Austragung dieses Trails gewinnen wird.
Wie immer lande ich mit dem Billigflieger in Marrakesch. Frank hat meine Tips befolgt und so erwarten mich bei meiner nächtlicher Ankunft im Hotel überlebenswichtige Nahrungsmittel, deren Besorgung in diesem Land nicht einfach ist. Im fahlen Licht der roten Stadt beugen sich die Palmen unter der Gewalt eines Schneesturmes. Unser Plan steht um Mitternacht fest: Wir warten ab, bis die N9 durch den Hohen Atlas geräumt ist und fahren morgen gegen Mittag Richtung Sahara, um bei Tageslicht das seltene Schneeabenteuer zu geniessen.
5 Stunden und 8,50 Euro braucht man für die Fahrt nach Ouarzazate. In all meinen Berichten schwärme ich von der wilden N9, die unwesentlich älter ist, als ich. Jetzt wird sie verbreitert, ich nicht. 40 Tote gab es 2014, ich hatte berichtet. Der erste Frontalzusammenstoß ereignet sich heute kurz hinter Marrakesch, die Blutspuren sind im Schnee nicht zu übersehen. Wer mit dem Bus der CTM (Companie de transports au Maroc) fährt, der kann sich sicher fühlen, relativ. Hier über die N9 brettern die Schwertransporter, die alles transportieren, was die Sahara braucht - Gas, Benzin, Kühe, Schafe und Menschen.
Ich liebe diese Straße, sie ist ein Must-Have-Seen.
In Taddert, der Stadt mit den unzähligen Grillrestarants, stauen sich die schweren Fahrzeuge. Die Barriere de Neige wurde gerade erst geöffnet, die Strasse ist jetzt schneefrei. Unser Bus hat Vorrecht, wir dürfen durchbrettern.
Oben am Pass, dem Tizi N´Tichka ( gefährliche Bergweide) ist die Trailstrecke des Trans Atlas Marathons (285 km 17.000 hm) sichtbar. Mir graust es bei diesem kalten Anblick, aber ich werde im Mai diesen Trail als zweitbester Deutscher finishen, es sei denn Tim Wortmann gibt vor mir auf.
In Agouim endlich Pause. Frank hat mit den Nahrungsmitteln der letzten Nacht zu kämpfen, ich bestelle mir passenderweise Leberspieße. Habe ich jemals in meinen Berichten über Essen geredet? Hier ist es angebracht: Die Rinderleber wird mit Rinderspeck und Koriander gegrillt. Man muss schnell sein. Zuerst zum Metzger, der die Rinderhälften an der Strasse aufgehängt hat, dann mit den Spießen zum Griller, der in einer kräftigen Rauchwolke lebt. Und schon mahnt der Busfahrer zur Weiterfahrt.
Im Empfangsgebäude des Hotels in Ouarzazate treffen wir Richard. Richard ist Chef von go2events und scheint nicht zu wissen, daß er ein Topevent anbietet. Seine Schützlinge haben die letzte Schneehorrornacht beim transmaroccaine überlebt, eine Konbination aus Laufen und Montainbiken über mehrere Tage. Sie putzen jetzt ihre Bikes und machen sich für den morgigen Trail fertig. Das beantwortet eine Frage, die mir in letzter Zeit öfters gestellt wird:
„ Joe, was machst du, wenn du nicht mehr Marathon kannst?“ Richard beantwortet mir genau diese eine Frage: Fahrradfahren, Laufen und Kanu auf dem Titikaka. Er sagt, das Spanisch dort wäre glasklar. Hier beim Tizi ´N Trail hilft Sabine den Läufern ohne Franzkenntnisse, sie ist in der Orga und beantwortet alle deutschen Webanfragen.
Ouarzazate - ein MdS-Läufer kann den Namen dieser Stadt aussprechen. Ich nehme aber an einem Jedermannslauf teil, deswegen hier die Aussprache: „Uaawuaasattt“. Die Kasbah (Wehrburg) ist noch immer von der Familie des Pasha Glaoui bewohnt. Aufgefallen ist mir der Name Glaoui wegen einer Krupp´schen Kanone, die in seiner Kasbah zu finden ist. Sie stammt vom Kanonenboot Panther, ein Abschiedgeschenk an den Pasha in der zweiten Marokkokrise, als Deutschland 1911 in Folge der Spannungen mit Frankreich seine wirtschaftlichen Interessen in Marokko aufgab. Die Hamburg-Marokko-Gesellschaft unter der Leitung von Wilhelm Regendanz hatte seit Mitte des 19. Jahrh. die Handelsbeziehungen zu den Berberstämmen südlich des Hohen Atlas aufgebaut und drängte den Deutschen Kaiser zur Annexion von Südmarokko.
Der Canyon unseres Tizi `N Trail war deren Handelsstrasse, in den Speichern (Agadire), an denen wir vorbeilaufen werden, lagerten die Waren aus Timbuku. Erst nach dem ersten Krieg wurde die Route über den Tizi´N Tichka, also die heutige N9 genutzt.
Irgendwie schade: Südmarokko wurde „geopfert“, um Kamerun und Deutsch-Ostafrika zu halten. Übrig bleibt eine kleine Haubitze in der Kasbah von Ouarzazate. Ein Wort auf Tamaziyt, das auf germanische Vermischung deutet, karakterisiert die Geschichte: „Lächlik“
Heinrich Barth war der erste Europäer, der 1853 Timbuktu erreichte. Er kam von unserem Zielort Tamzrit, querte den Pass unterhalb von Anghomar auf den Bergwiesen von Megdaz bis nach Ouarzazate, von dort entlang des Draa Flußes nach Zagora über den Jebel Bani, durch die Dünen von Chegagga. Jetzt waren es noch 49 Tage bis Timbuktu. Google maps spielt da nicht mehr mit, Wiki auch nicht.
Wilhelm Regendanz stellte übrigens nach dem Krieg ein Konsortium zusammen, das dieses Gebiet käuflich erwerben sollte, was nach dem Versailler Vertrag verboten war.
Das Reich der Berber ging in den neu gegründeten Staat Marokko auf. Der König kam 1955 aus seinem Exil in Madagaskar (meinem nächsten Trailrevier) zurück und machte Ouarzazate zum Hollywood Afrikas. Hier wurden viele der Sandalen- und Jesusfilme gedreht. Unser Startort ist in der Filmkulisse der Atlasstudios, genauer gesagt, im Bereich „Asterix und Obelix“ (Mission Kleopatra, mit Gerard Depardieu).
Dazu laufen wir zunächst durch das Gebiet von „Mission Impossible“ und dann zum Potala-Palast von Lhasa, der für den Film von Russel Crowe gebaut wurde, in dem Bratt Pitt den Deutschen Heinrich Harrer darstellt, der nach dem zweiten Krieg im Himalaya hängen bliebt, und den jungen Dalai Lama unterrichtet. Dieser Dalai Lama (ozeangleicher Lehrer) spricht deswegen deutsch und ist regelmäßiger Gast in Hofheim/Taunus. Dort ist ein tibetanischer Tempel.
Mission Kleopatra (2002) war zur damaligen Zeit die größte Summe Entwicklungshilfe (53 Mio), die Deutschland in die Stadt Ouarzazate überwies. 13 Jahre später sind es 400 Millionen für das weltgrößte Solarkraftwerk der Welt (Noor1, arabisch für Licht). „ Wir tun was für die Umwelt“ heisst es auf der entsprechenden Seite der Bundesregierung, „wir versorgen 1,3 Millionen Menschen mit umweltfreundlicher Energie“. Ouarazate hat 75.000 Einwohner.
Die Filmkulissen bestehen aus Drahtgestellen, auf die Gips gesprüht wurde. Man muss aufpassen, wo man hintritt, viel ist schon in der Wüstensonne zerbröselt. Keiner von uns weiss, wann der Start sein wird. Richard hat die richtige Einstellung: Die Läufer sollen erstmal ihren Spieltrieb ausleben! Das machen wir, aber auch volle Kanne!
Start also irgendwann, wir laufen hinaus in die Tizgui. Das ist eine fiese Steinwüste auf einer Höhe von 1300 Metern. Dementsprechend schmerzen meine Lungen. Es ist einfach so, dass meine Lungenmuskeln Muskelkater machen. Gibt sich nach einer Nacht, ist aber znächst mal frustrierend und erinnert an begangene Sünden.
Der Anblick der Läuferkarawane vor den schneebedeckten Bergen des Hohen Altas ist aber prachtvoll. In einer Senke ist eine alte Goldmine, der Schacht ist jetzt bedeckt. Wenn gesucht wird, steht ein Polizist daneben. Die Bruchbude ist eingefallen, man hat sich auf eine andere Suche begeben: Wir laufen gerade durch das 16 km lange, 4,5 km breite Streufeld des Tamdakht Meterorit, der hier 2008 niederging. Augenzeugen berichteten von Donnergrollen, Schockwellen und Explosionen, die Erde soll gebebt haben. Der Feuerball wurde in ganz Marokko gesehen, es soll taghell gewesen sein. Das größte Fragment des Meterorit war 30 kg schwer.
Anhand der Messung der kurzlebigen Radionuklide kann man feststellen, seit wann ein Stein auf der Erde liegt. Die Gegend hier wurde millimetergenau abgesucht, 20 Gramm Meterorit bringen schon mal 200 Euro.
Die Tizgui-Wüste wird vom Fluß Asif Mellah begrenzt, an dessem Steilufer nun der Lauf entlanggeht. Immer wieder kreuzen wir kleine grüne Bewässerungskanäle, in denen das glasklare Wasser glitzert. Dann ist schon Ait Ben Haddou sichtbar. Die befestigte Stadt (Ksar) der Sippe des Ben Haddou ist seit 1987 Weltkulturerbe. Obwohl es seit 2 Jahren eine befestigte Strasse gibt, verirren sich nur wenige Touristen hierher. 15 Filme wurden zwischen den Lehmmauern der Altstadt gedreht, der jüngste ist „Game of Thrones“. Die am Ufer stehenden überdimensionierten Stadttore sind Styroporrelikte aus dem Film. Der Rest stammt theoretisch aus dem 11. Jahhundert. Man muss Lehmbauten immer wieder ausbessern.
Die Sippe des Ben Haddou kontrollierte von der Wehrburg (tighremt) aus die Karavanenstraße. Erst ab dem 16. Jahrh verlagerte sich der Sklavenhandel von der Transsahararoute an die Westafrikanische Küste. Ab da übernahmen jüdische Händler den Transshara-Handel, der Stern in der Flagge Marokkos erinnert daran. Er ist das Siegel Salomons (Süleyman).
So kurz der Lauf auch ist, wir sind ziemlich erschöpft. Bis zum Camp wären es etwa 4 Kilometer, aber Richard will nicht, dass wir entlang der Strasse laufen. Wir haben schließlich Osterurlaub. Die 4x4 Wagen stehen drüben auf der anderen Seite. Es gibt glücklicherweise noch keine Brücke über den Asif Mellah, so hüpfen wir über Sandsäcke und dann entlang der gelangweilten Souvenirhändler zum zentralen Platz. Jeder entscheidet selbst, wann er sich ins
Camp bringen lässt. Hier am Platz gibt es jemanden, den ich vor zwei Jahren kennengelernt habe und der einen Kühlschrank hat. So sind Frank und ich die letzten, die ins Camp transportiert werden.
Das Camp (Bivouac) liegt gegenüber der Kasbah von Tamdatkht auf einem Fußballplatz. Die Wehrburg wurde vom letzen Pascha El Glaoui erbaut und wird jetzt von einer Frauenkooperative instandgehalten. Auf Deutsch: sie klatschen Lehm an die Wände und bekommen dafür ein paar Dirham von der Unesco.
Unterhalb von unserem Bivouac treffen die zwei Asif Ounila Flüsse zusammen. Es ist ein sattgrünes Mündungsgebiet, mit der mutmaßlich größte Kolonie von Amseln, deren klare Abendlieder die laue Luft erfüllen. Interessanterweise singen diese Amseln hier noch die tiefe Strophe, die die Vögel in Deutschland vor 30 Jahren noch sangen. Aufgrund des Autolärms lassen sie bei uns die tiefen Töne mittlerweile weg.
Der Trail wird mit Halbpension angeboten. Nach dem Lauf gibt es ein Lunchpacket mit Cola, Soda- und stillem Wasser, Tee, Kaffee, Orangen, Nüsse, Datteln. Meinen Thunfischvorrat brauche ich nicht, ich bin sehr zufrieden.
Die Nacht ist eisig kalt. Wir schlafen auf Matratzen in ausgelegten Zelten. Die bereitgestellte dicke Decke ist zwar gut, ich bin aber froh, noch einen Daunenschlafsack dabei zu haben.
Durch die Ohrstöpsel höre ich den Gesang der Nachtigallen, die die Amseln ablösen.