Die Treverer, nach denen Trier benannt ist, waren die letzten Kelten, die vor dem Druck der germanischen Stämme nicht gewichen sind. Doch als die Römer die Mosel heraufkamen, flohen die Treverer auf die Höhen der Moselhänge und bauten kilometerlange Verteidigungsanlagen. Deren schroffe Steine werden uns beim 85 km (3000 Hm)Trail Römische Weinstrasse (TRW) heute unsere Fussnägel blau färben.
Teutates war der Kriegsgott der Gallier. Der Ultralauf bringt die Erinnerung an die größte Schlacht der Kelten gegen die Römer, 70 n.Chr zurück: Die Schlacht bei Rigodulum. Heute heisst der Ort Riol.
Zunächst peilt man den Weinstand von Riol direkt an der Mosel an. Dort gibt es am Vorabend die Startnummern. Es wird noch der Römertrail (25 km, 1000 Hm) angeboten, und einige Kinderstrecken.
„Der Trail Römische Weinstrasse ist krank!“ sagte mir jemand im Ziel. Aber das weiss ja jeder, der meinen Bericht vom letzen Jahr, von der ersten Ausgabe gelesen hat. Deswegen sind dieses Jahr wieder 88 Läufer angetreten, alle wie ich auf Weltklasseniveau.
Ich war krank und bin es immer noch. Sonst hätte ich nicht fast ein Jahr nach meiner Achillessehnenoperation diesen „kranken“ Lauf als Wiedereinstieg gewählt. Wir halten fest: Nur ein „kranker“ Lauf ist ein geiler Lauf!
Die Treverer waren auch „krank“, denn oben auf den trockenen Steilhängen gab es nichts, während unten an der glitzernden Mosel die Römer heftig dem Wein zusprachen, den sie zunächst vom Rhein her mitbrachten. Hausteile und Ziegel der Taverne sind im Mauerwerk der Pfarrkirche Riol erhalten geblieben, die wir links liegen lassen, um zum Startgelände zu kommen. Ein steiler Weg führt durch die Weinberge. Man würde nie glauben, dass sich dort oben ein Sportplatz befindet. Von dem aus starten wir morgen.
Die Treverer selber bezeichneten sich als Germanen, um sich von den schlaffen Galliern abzuheben. Weil keine Schlaffies, also doch nicht so krank, begaben sich die Treverer wieder hinunter ins Tal, wo so schön gesungen wurde, ließen sich besiegen und verbrüdern und tranken fleißig mit. Dann nahmen sie die Steine ihrer Fluchtburgen, bauten Weinterrassen am Moselhang und nannten das schöne Örtchen Riol, „Ort, wo der Wein gut ist.“ So blieb Riol der letzte Ort an der Mosel mit keltischen Namen.
Start 6 Uhr am Sportplatz Riol: Hinter dem Sportplatz kann man super im Auto pennen und die Fledermäuse zusammen mit den krängsten der Kranken beobachten. Sanitäranlagen sind geöffnet, ab 5 Uhr gibt’s Frühstück.
Markus Krempchen, nicht Marcus Aurelius (der Kaiser, der 269 in Trier gestorben ist) hatte versprochen, die Strecke zu entschärfen, vor allem einen kühleren Monat zu wählen. Aber wenn Cäsar seinen eigenen Monat (Juli) haben wollte, Augustus (August) auch, dann verrutscht der Siebte Monat (Septem) auf den Neunten, bis der zehnte ( Decem) der zwölfte ist, der Februar nur noch 28 Tage hat und der TRW noch härter geworden ist, und deswegen auch früher gestartet werden muss.Verstanden? Nein? Kein Läufer wird heute verstehen, warum man, kaum oben, gleich wieder runter muss. Warum man manchmal Wege zurücklaufen muss, die man gerade gekommen ist. Die Psyche steht beim TRW ständig unter Stress.
Bevor es hinauf zu den alten Fluchtburgen der Kelten geht, führt uns die Strecke hinab, vorbei am Campingplatz (Freizeitsee Triolago ) mit seiner Wakeboardanlage. Im letzten Jahr haben mich der weinselige Gesang und der Duft gebratener Würstchen, der bei Sonnenuntergang zu uns hoch getragen wurde, neidisch gemacht. Dieses Jahr beginnt hier der steile Aufstieg unterhalb der Sommerrodelbahn, macht mich neidisch auf die Leute, die noch in ihren Zelten und Mobilschlössern schlummern.
Die frühen Morgenstunden sind schon grausam schwül, schweissgebadet läuft man unterhalb der Autobahnbrücke (Fellbach) höher, in einem großen Bogen um die steinernen Resten der Keltenanlagen herum und dann: Diskussion. Anruf bei Markus: „Das kann doch nicht sein, das ist doch krank!“ „ Doch, gleichen Weg runter und dann die Wand hoch!“
„Die Wand“, da war doch was letztes Jahr: Hans-Peter lag kopfunter in der Wasserröhre des Molesbaches. Kreislaufprobleme. Mel hatte kein Wasser mehr, und H-P verseuchte es.
„Die Wand“ ist der Einstieg in den Trail „Mehringische Schweiz“, führt ewig steil entlang des wildromantischen Baches bis hoch zum „Kammerknüppchen“, von wo aus man am Gipfelkreuz eine tolle Aussicht über die Mosel genießen kann.
Man sollte wirklich genießen, denn schnell geht es ebenso steil wieder hinab. An gefährlichen Stellen sichern Drahseile den wackligen Lauf. Plötzlich stehen wir an dem Platz, wo letztes Jahr Biggi und Sascha den letzten VP (km 70) betreuten. Der verwaiste Ort erinnert uns heute daran, dass wir acht Schlussläufer damals die Cut-Off Zeit überschritten hatten. Wir alle wollten aufgeben, doch Biggi und Sascha fischten isotonische Getränke aus den Wasserkübeln und bauten uns für die folgenden 4,5 Stunden auf.
Wieder geht es ewig lange über keltische Steine. Wildschweine sorgen auf ihrer Suche nach nicht-läufergerechter Nahrung dafür, dass diese Steine immer schön locker bleiben, damit jeder Läufer wildschweinfarbene Zehennägel erhält.
Auf der flachen Gleithangseite der Mosel wird seit der Römerzeit Land- und Viehwirtschaft betrieben, genannt „Kühstantinopel“. Von der kriegerischen Geschichte erkennt man auf dem ersten Blick kaum etwas, grün und freundlich dehnt sich das Land bis zu den Rändern der Mosel. Pfirsich- und Mirabellenbäume, Himbeer- und Brombeerhecken, gesäumt von Sträuchern und lieblichen Blumen. Nur wer genau hinsieht, erkennt die Reste der Schlacht von Riol: kleine Gräben, die mal metertief waren, Steinhaufen, die mal Mauern bildeten, Ziegel, die die Bauern am Feldrand auftürmten.
In Mehring (Mariniacum, Hof des Marinus), überqueren wir die Mosel. Letztes Jahr erhielten wir hier eine Stirnlampe. Eine Stirnlampe für acht Läufer. Wer konnte schon ahnen, dass wir in blitzhelle Dunkelheit geraten werden.
In den Weinbergen steht ein großer weisser Schriftzug: „Mehring“, dort müssen wir hinauf. Ein traumhafter Hang, vollgepackt mit Früchten, herrlichen Blumen und zahlreichen romantischen Rastplätzchen unter Efeuranken für den Genuß vergorener Trauben.
Oben auf der trockenen Kuppe haben Wildbienen ihre Bruthöhlen in den Lößabbruch gegraben. Eidechsen flitzen durch das trockene Laub. Eine Kreuzotter verschwindet unter verwitterte Zaunlatten. Und immer wieder dieser traumhafte Blick hinunter zur Mosel.
Der erste VP bei km 21 ist erreicht. Mit höllen Speed kommt von der anderen Seite Jeremy (Platz 5) angerannt, greift sich einen Becher Wasser aus dem Kübel und rennt weiter. Wir haben alle einen schönen Metallbecher erhalten, Plastikbecher gibt es hier nicht.
Ich sage den Luxemburger Jungs, die diesen VP hier betreiben, dass ich beim nächsten VP (km 37 ) aussteigen werde, so war es von mir geplant, denn für die gesamte Strecke bin ich nicht fit genug, auch wenn mir jemand am Start sagte: „ Joe, ich kenn dich, du läufst doch durch!“ Erfahre also, dass dieser VP auch der zweite sein wird. Das erklärt auch, warum Jeremy von der anderen Seite angerannt kam, er liegt also 16 km vor mir.
Der Weg über die Trockenwiesen mit Blick auf die Mosel ist traumhaft. Unter uns liegt jetzt Schweich, einer der größeren Orte an der Mosel. Runter, gleich wieder hoch. Nach den Weinbergen lässt Markus wieder seinen aberwitzigen Routen-Ideen freien Lauf: Auf der einen Seite fieser Stacheldraht, auf der anderen Brombeerranken und Schleengebüsch. Das kostet Blut, das ist gut. Die Zecken kleben hoffentlich an den Spitzenläufern.
Manchmal glaube ich, Markus hat absichtlich Bäume gefällt, um uns den Trail zu versüssen. Er hat aber auch Wege unter Wasser gesetzt, damit der braune Schlamm uns erfreut.
Stunden später bin ich glücklich und fertig, lasse mich am VP 2 (km 37) nieder und warte auf Martin Joist, den Besenläufer. Klar, ich träume davon, den nächsten VP bei km 54 anzulaufen, zumal Martin viel Zeit braucht, um die Markierungen einzusammeln. Es fällt mir verdammt schwer, eine Entschuldigung für mich selbst zu finden, aber ich habe mein Training (ja ich trainiere!) offiziell vor 6 Wochen erst angefangen dürfen. Kann jetzt keine Gefühle ausdrücken, ich muss abbrechen, obwohl ich noch könnte.
„Finisherbild“, dann untersuche ich das Zitronenkrämerkreuz, ein Sühnekreuz, das hier seit 200 Jahren am Rande der alten Handelsstrasse steht. 1687 wurde hier ein Zitronenhändler von seinem Diener ermordet. Von der Inschrift kann ich folgende Worte entziffern: „ Kinder des allhier verstorbenen PI Carove seligen Andenkens“ Das Wappen auf der Säule zeigt einen Karren mit rückwärts blickenden Vögeln. Die schauen wohl zurück auf den Comer See, von dem Ambros Carove, der Zitronenhändler stammte.
Der VP wird abgebaut und ich begebe mich zum Rücktransport in den fensterlosen Laderaum. Etwa 35 Mitstreiter erhalten einen bequemeren Rücktransport. Zu krank, also zu geil, ist dieser Trail. Ich kämpfe zwischen rutschenden Bottichen mit Restposten klebriger Müsliriegel, ausgelutschten Geltüten und Apfelsinenschalen. Auf den holprigen Wegen springt die Biertischgarnitur hoch, malträtieren meinen Hintern, Wespen belagern meine schmerzende Beine im Dämmerlicht. Da tut´s einen brutalen Schlag und eine Mülltüte springt mir mit samt den Resten der Ultraläufer entgegen. Tommy, der nächtens auf seiner Sonnenliege liegend, allen Blutsaugern Paroli bietet, klebt sich Damenbinden sonst wo hin:
„Das ist echt kuschlig, fühlt sich an, wie eine Ponyschnauze. Du bekommst garantiert keinen Wolf!“ Ich sehe mich schon vor dem nächsten Ultralauf an der Kasse des DM Marktes: „Was kostet eine Damenbinde?“
Im Ziel ein dezenter Hinweis unter der Dusche: „Zu heiß“. Als ob es hier Warmduscher gäbe!
In einer unglaublichen Zeit von 8 Stunden, 12 Minuten kommt Martin Schedler, ein geheimisvoller Läufer ins Ziel. Ich glaube dieser „unterernährte“, vorbildliche Athlet des LT Marpingen, der für Salomon läuft, wird uns noch sehr oft begegnen.
Eine glückliche, gutaussehende Freundin hat der nette Läufer, der nun mit einem isotonisches Getränk des Sponsors in seiner dürren Hand mit mir anstößt. Er beklagt sich, dass Markus kein Bier an den VP anbietet. Recht hat er! Als dieser blutende Spitzenläufer mit zerrissener Laufkleidung einer weinseligen Wandergruppe in den steilen Bergen begegnete, hätte er am Liebsten zugegriffen. Recht hat er! Seinen Namen müssen wir uns merken!
Peter Kaminsky läuft ein: „Mach bitte das Mikro aus“, sagt er zum Stadionsprecher, „ ich habe mich verlaufen!“ Dramatik pur, wenn Ihr versteht, was ich meine. Peter war ganz vorne dabei gewesen. René Strosny, 1 Std 10 Minuten nach Martin, macht den zweiten Platz. Auch wieder Dramatik, denn was hier geleistet wurde, ist schlicht unvorstellbar! Adam Zahoran, 28 Jahre alt, macht den dritten Platz. Er ist bekannt dafür, dass er sich gerne verläuft. Heute hat er statt den effektiven 85,3 Km, ganze 94 auf dem Tacho. Na und? Letztes Jahr liefen wir auch 90! Wie gerne wäre ich bei ihm mal Hase, er wäre auf Platz eins!
Mit 9:36 kommt Luc Hapers auf Platz 4, der 43 jährige Belgier bekommt meinen vollen Respekt, weil er in meiner Alterklasse läuft! (Spaß gemacht)
Jeremy, auch ein Mann, den wir uns merken müssen, kommt auf Platz 5. Am Abend vorher, auf der Wiese oberhalb des Sportplatzes, sagte er zu seiner Freundin: „ Komm, wir teilen uns noch ein Bier!“ Es gab ein unvorstellbares Gegröhle unter den alten Apfelbäumen.
Unvorstellbar ist auch dieser Trail, den Markus Kempchen kreiert hat. Großen Dank!
Ein ganz, ganz großer Dank geht an Prof.Dr. Lohrer vom Olympiastützpunkt, der mir ermöglicht hat, wieder dabei zu sein!