Was für eine Glanzleistung: Am Swissalpine in Davos absolvierten am Samstag nur zwei Männer die 79,4 Kilometer lange Königsstrecke schneller als Jasmin Nunige.
Jasmin Nunige verliess den harten Untergrund der Talstrasse und wechselte auf die weiche Tartanbahn des Davoser Sportzentrums. Sie schien dem Ziel förmlich entgegen zu schweben – speziell, als sie ihre Tochter erblickte. Sie nahm Fiona an die rechte Hand und liess sich von einer Helferin den Siegerkranz umhängen. Gemeinsam liefen die beiden Nunige-Frauen die letzten Meter und durchs Ziel, wo Ehemann und Papa Guy Nunige wartete. Ein herzhafter Kuss und eine feste Umarmung folgten – ehe für einen kurzen Moment auch Sohn Björn dazu stiess und seiner erfolgreichen Mama einen flüchtigen Kuss auf die linke Wange drückte.
Eines war klar: Der Swissalpine ist für Nuniges – wie auch die organisierenden Tufflis, wo ausnahmslos alle mithelfen – ein Familienunternehmen. Jasmin läuft, Guy coacht und betreut, Fiona und Björn reichen unterwegs die Trinkflasche und tragen ebenfalls das Ihrige bei. „Meiner Familie möchte ich ganz besonders danken; sie glaubte immer an mich.“ Sie sprach sie zwar nicht aus, meinte aber die Diagnose Multiple Sklerose, die ihr die Ärzte vor rund 15 Monaten eröffneten.
Gleichwohl fühlte sich Nunige letztes Jahr stark genug, um im Rahmen des Swissalpine den von Klosters nach Davos führenden Halbmarathon zu absolvieren – den sie prompt gewann. Heuer entschied sie sich sogar wieder für eine Teilnahme am K78, den sie schon in den Jahren 2005, 2008 und 2010 für sich entschieden hatte. Lange Zeit war allerdings ungewiss, ob überhaupt und über welche Distanz sie bei ihrem Heimrennen an den Start gehen wird.
Beim Zermatt Marathon – einen Monat nach dem Triumph am LGT Alpin Marathon in Liechtenstein – lief es Nunige vor drei Wochen nicht nach Wunsch. Trotzdem erreichte sie den dritten Rang. Wenige Tage später wanderte sie mit Fiona von Bergün auf die Keschhütte, die mit ihren 2632 Metern Höhe den zweithöchsten Punkt des Swissalpine bildet. Just als sie oben ankamen, montierte der Hüttenwart die Siegertafeln des Berglauf-Klassikers. Nuniges Gedanke: „Wenn das kein gutes Omen ist.“
Nun war für die Ausdauersportlerin klar: „Ich laufe den Swissalpine wieder.“ Beim Davoser Nachtlauf, der eine Woche vor dem Swissalpine sein Revival erlebte, sah sie sich in ihrem Entscheid bestätigt. Sie triumphierte – und erhielt als Auszeichnung einen hölzernen Steinbock. Eine Anmerkung in diesem Zusammenhang: Das zähe Tier ziert das Logo des Swissalpine und erinnerte Nunige in doppelter Hinsicht die ganze letzte Woche an ihre bevorstehende sportliche Aufgabe.
„Was soll ich sagen?“, fragte sich Nunige im Ziel des Swissalpine nach 6:31:43 Wettkampfstunden gleich selber. Und lieferte die Antwort postwendend nach: „Das war einfach super! Ein unglaublicher Lauf.“ Es sei ihr von Anfang an gerollt, „immer wieder dachte ich, dass eine Krise kommen würde“. Glücklicherweise traf sie nicht ein, und die Bündnerin erreichte den Sertigpass (2739 m ü. M.) an dritter Stelle. Vor ihr hatten den höchsten Punkt der Strecke einzig Jonas Buud und Dimitri Tsyganov passiert, die letztlich in dieser Reihenfolge auch die ersten zwei Plätze belegten.
Es sei unglaublich, dass auf den 79,4 Kilometern lediglich zwei Männer schneller gewesen seien, so Nunige. „Ich bin dankbar, dass ich dies erleben durfte.“ Bei ihrem bis dato letzten Triumph sei der Sieg das ultimative Ziel gewesen, „heuer hingegen wollte ich einfach laufen und Freude haben“. Dies hatte sie praktisch in jeder Phase des Rennens; „ungemütlich waren einzig die Blitze und Donner.“ Mehrheitlich profitierten die knapp 5000 Läufer aus 66 Nationen aber von recht guten äusseren Bedingungen.
Unter ihnen befand sich mit Elizabeth „Lizzy“ Hawker auch die Gewinnerin der Jahre 2006, 2007 und 2011. Obwohl fast 25 Minuten bis zu deren Ankunft verstrichen, wartete Nunige im Ziel auf die Zweitplatzierte, die seit geraumer Zeit starke Rückenschmerzen plagen. Dass die beiden eine besondere sportliche Freundschaft verbindet, war schon letztes Jahr ersichtlich, als die seit Frühling in Klosters wohnhafte Britin ihren Triumph ihrer Kollegin widmete. Diesmal umarmten sie sich herzlich und gratulierten sich gegenseitig. Ob sie sich auch nächstes Jahr wieder am Swissalpine duellieren?
Wie Jasmin Nunige realisierte auch Jonas Buud einen ungefährdeten Triumph. Mit 5:57:25 blieb der Schwede sogar unter der Sechs-Stunden-Marke. Den Zweitklassierten Dimitri Tsyganov aus Russland, der von Anfang an vorne mitlief, distanzierte er um rund zwölf Minuten. Ob Buud auch in zwölf Monaten wieder am Swissalpine dabei ist? „Mal sehen. Am gleichen Wochenende finden die schwedischen Meisterschaften über 100 Kilometer statt.“
Bei seinem Fernbleiben wäre nach sechs Austragungen der Weg frei für einen neuen Sieger. Vielleicht für Tsyganov, der bei seinem ersten Antritt in Davos eine tolle Leistung zeigte und sich vom Publikum wie ein Sieger feiern liess. Der Osteuropäer lebt mehrheitlich im italienischen Lecco, wo er in der Pizzeria von Verwandten arbeitet. Heuer bestritt er bereits den Pistoia-Abetone Ultramarathon (1. Rang) und den Passatore, den 100 Kilometer Lauf von Florenz nach Faenza (4.).
Weniger Erfolg war am Swissalpine den Mitfavoriten Trond Idland (der Norweger gewann vor zwölf Monaten den K42) und Martin Cox (der Engländer ist in Anzère domiziliert) beschieden. Mit ihren vorzeitigen Aufgaben fielen sie im Aufstieg zur Keschhütte aus der Entscheidung. Den umgekehrten Weg ging Martin Schmid, der fortlaufend Terrain gut machte und das Ziel schliesslich 25 Sekunden hinter Nunige und überraschend als dritter Mann erreichte. Verständlich, dass der Polizist aus Zermatt ob seines Abschneidens überglücklich war. Nicht zuletzt, weil er sich „nur“ eine Klassierung in den ersten zehn zum Ziel gesetzt hatte.
Einen Vernunftentscheid fällte Woody Schoch. Die Keschhütte passierte der mit grossen Hoffnungen ins Rennen gestartete Prättigauer zusammen mit Tsyganov an erster Stelle – Buud lag zu jenem Zeitpunkt 30 Sekunden dahinter. Auf dem folgenden Abschnitt bis zum Sertigpass beendete er den Wettkampf dann aber vorzeitig. „Weiterlaufen machte keinen Sinn“, bekannte der begnadete Bergläufer aus Pany, dem es während der Abwärtspassage die Muskulatur zerschlug „und einfach nichts mehr ging“. Die körperliche Verfassung hätte zwar eine Fortsetzung des Rennens erlaubt, „aber nicht unter diesen Umständen“. Die Erklärung des Prättigauers: „ein schlechtes Resultat und eine Verlängerung der Regenerationszeit“.
Jetzt hingegen kann sich der amtierende Schweizer Berglaufmeister – notabene ein Cousin von Race-Across-America-Gewinner Reto Schoch – bereits gezielt auf den Jungfrau Marathon vorbereiten. Dort geht’s dann mehrheitlich wieder geradeaus und aufwärts. Und: Er besitzt im Berner Oberland die Möglichkeit, das missglückte Projekt Swissalpine definitiv vergessen zu machen.
K 78 Männer
1 Buud, Jonas (SWE) 05:57:25
2 Tsyganov, Dimitri (RUS) 06:09:33
3 Schmid, Martin (SUI) 06:32:08
Frauen
1 Nunige, Jasmin (SUI) 06:31:43
2 Hawker, Elizabeth (GBR) 06:56:30
3 Zakrzewski, Joasia (GBR) 07:21:30
1186 Finisher
K 42 Männer
1 Bundi, Gion-Andrea (SUI) 03:11:00
2 Gehring, Lukas (SUI) 03:22:50
3 Bolt, Daniel (SUI) 03:25:58
Frauen
1 Huser, Andrea (SUI) 03:53:39
2 Matrasova, Katerina (CZE) 04:00:53
3 Kurtz, Olivia (SUI) 04:04:21
1218 Finisher
C 42 Männer
1 Mertens, Gert (BEL) 02:57:43
2 Schär, Sven (SUI) 03:01:00
3 Payne, Christopher (USA) 03:05:08
Frauen
1 Williams, Timmons (USA) 03:14:51
2 Kauri, Mari (FIN) 03:23:20
3 Stöppler, Simone (GER) 03:32:49
324 Finisher