Heiß wie heute war es 2012, als ich endlich beim Allgäu Panorama Marathon an den Start ging. Der abgesagte Lauf hätte also genauso ablaufen können, wie damals. Mein Laufbericht von damals ist also fast aktuell.
Viele Laufberichte vom Allgäu Panorama Marathon und Ultratrail gibt es auf Marathon4you und trailrunning.de
„Was tun gegen Hitze?“ Die Frage meines liebsten Radiosenders ist falsch gestellt. „Gegen“ die Hitze lässt sich kaum was machen. Wohl aber „in“ oder „trotz“ der Hitze. Mein Tipp, einen Marathon in den Bergen zu laufen, nimmt man nicht ernst und man stellt mich nicht zum Moderator durch. Ich bin beleidigt, setze mich ins Auto und fahre ins Allgäu.
„Das Schlimmste bei Hitze? Untätig in der Sonne liegen!“ Wer solche Sprüche drauf hat, ist mein Freund. In Sonthofen treffe ich sie dieses Wochenende scharenweise. Zumindest gefühlt sind die Ultras in der Überzahl. Für meine Marathon-Startnummer ist zigfache Rechtfertigung erforderlich.
Das Problem ist mein rechtes Knie. Nach Davos konnte ich eine Woche nicht laufen. Aber am Freitag, kaum in Sonthofen angekommen, musste ich auf den Grünten (1738 m, Bilder im Anschluss an diesen Bericht). Nach dem Abstieg hätte ich gleich wieder heimfahren können. Die ärztlich verordnete Bandage ist bei Hitze mehr lästig als nützlich. Sie juckt, beißt und scheuert und ist eher was für den Liegestuhl. Da bekommt man aber erst gar keine Knieprobleme.
Rabea und Andy, die ihre Dienste (unter anderem individuelle Trailrunning-Touren) auf der kleinen Messe in der Sports Arena vorstellen, wissen Rat. Kinesiotaping! Jeder hat doch schon mal die neumodischen bunten Klebestreifen an strammen Läuferbeinen gesehen. Normalerweise renne ich nicht gleich jeder Neuheit hinterher. Nur mal so als Beispiel: Nach fast 45 Jahren Führerschein habe ich mir jetzt zum ersten Mal ein Auto mit Automatik gekauft.
Zum Glück wird Kinesiotaping auf der Messe angeboten. Gleich liege ich auf der Pritsche und schildere mein Problem. Die Frage lautet nur: „Welche Farbe?“ Die kennen mich offenbar, wissen, mir ist das nicht egal. Ich sehe aber kein orange, verlange trotzdem danach. Schon zaubert Andreas aus der Kiste ein Klebeband in meiner Lieblingsfarbe und nimmt Maß. In ein paar Minuten bin ich getapt. „Wie fühlt es sich an?“ „Angenehm!“ „Ok, so soll es sein. Alles Gute für morgen.“ Das nächste Tape lasse ich mir nur wegen der Optik machen. Aber dann mit dem M4Y-Logo drauf, denn alle schauen jetzt auf mein Knie.
Nach der Bergtour am Freitag, dem Power-Shopping im Allgäu-Outlet, dem geilen Läuferrucksack als Startergeschenk und dem Tape in Firmenfarbe fehlt jetzt zur optimalen Vorbereitung nur noch eine Ladung Kohlehydrate. Die hole ich mir nebenan, wo im Rahmen der Pastaparty OK-Chef Axel Reusch vom Laufladen dem Läufervolk die letzten Informationen mitteilt.
Als sich die Ultras am Sonntagmorgen um 6.00 Uhr auf ihren 69 km langen Weg machen, sitze ich beim Frühstück und kämpfe mit meinem Marmeladebrötchen. Richtigen Appetit bekomme ich erst um 8.00 Uhr, aber da muss ich auf die Strecke.
Wenn ich den Streckenplan richtig gelesen habe, gibt es beim Marathon 10 Verpflegungsstellen, teilweise auch mit Obst und Kuchen. Hört sich gut an, ist es auch. Aber ist es auch für jeden ausreichend? Ich rate dringend, nicht nur hier, sondern bei allen Läufen im Gebirge, eine Trinkflasche und je nach Vorliebe Riegel und Gel dabei zu haben. Das ist mindestens genau so einfach, wie hinterher auf den Veranstalter zu schimpfen, weil etwas vermisst wurde. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Erst recht, wenn der Veranstalter die Modalitäten bekannt macht.
Selbstverständlich ist der, der solche Ratschläge gibt, entsprechend ausgestattet. Nur auf den sonst obligatorischen Wind- und Regenschutz verzichte ich und, das aber letztmalig, auf die manchmal als „Gehhilfen“ verspotteten Stöcke. Hier sind sie nämlich offensichtlich erlaubt, denn ich sehe einige, die sich damit gleich beim ersten Anstieg Vorteile verschaffen. Ich erinnere mich an die erste Teilnahme am UTMB 2006, als Eberhard und ich die Stöcke schamhaft im Auto versteckten und wir dann auf der Strecke die so ziemlich einzigen Stocklosen waren.
Viel Zeit zum Einlaufen hat man nicht. Zudem scheint es die Taktik er meisten Läufer zu sein, bei jetzt noch einigermaßen angenehmen Temperaturen so viele Kilometer wie nur möglich zu absolvieren. Jedenfalls geht es auf dem Illerdamm und am Sonthofener See vorbei recht zügig zur Sache. Beim ersten Blick zurück stelle ich fest, dass ungefähr bereits 95 % des Feldes vor mir ist. Denn hinter mir sind nur noch eine fast geschlossene, ungefähr 10köpfige Gruppe und der „Besenbiker“. Das kann mich nicht davon abhalten, diesen herrlichen Sonntagmorgen weiter zu genießen. Ungewöhnlich für einen heißen Sommertag ist die phantastische, schier unendliche Sicht.
Unübersehbar ist der majestätische Grünten, der den Allgäuer Bergen vorgelagert ist. „Wächter des Allgäu“ nennt man ihn deshalb auch. Unübersehbar ist auch der 94 m hohe Sendeturm des Bayerischen Rundfunks. Von Rettenberg aus gibt es zur Versorgung der Sendeanlage eine Seilbahn, die im Sommer immer am Donnerstag für die Öffentlichkeit geöffnet ist. Allerdings werden nur max. 200 Leute befördert. Schöner ist Laufen oder Wandern. Ab Burgberg (Parkplatz Alpenblick) braucht man ungefähr 90 Minuten. Eine andere Möglichkeit hat sich der Augsburger Fürstbischof Clemens Wenzelslaus 1773 einfallen lassen. Er ließ sich auf einem Sessel von 56 Bauern auf den Gipfel tragen.
1852 wurde als erstes Hotel in Allgäuer Alpen das Grüntenhaus errichtet. Heute zählt das Allgäu zu den beliebtesten Urlaubsregionen in Deutschland. Alleine hier im Oberallgäu leben 60 % der Bevölkerung direkt vom Tourismus. Sportliche Top-Ereignisse sind das Skifliegen in Oberstdorf und die Weltcup-Rennen am Ofterschwanger Horn. Der Anstieg dort hinauf ist heute die erste schwere Prüfung. Die Verpflegungsstelle bei der Weltcup-Hütte kommt gerade recht. Nach Süden schaut man ins Allgäuer Hochalpental, nach Westen ins Gunzesrieder Tal, Ostertal und zur Nagelfluhkette, nach Norden ins Alpenvorland und nach Osten ins Illertal und zu den Sonnenköpfen. Mehr Allgäu geht nicht. Dazu Sonne pur.
Auch wegetechnisch haben wir nach 8 Kilometer bereits alles hinter uns: Asphaltierte Straßen, Schotterpisten, Wiesentrails, wurzlige Waldpfade und steinige Steige, manche sogar mit Seilen gesichert. Aber keine Sorge, richtig gefährlich ist keiner der Wege. Auch für diejenigen nicht, die sich nicht für schwindelfrei halten.
Weiter geht’s zum Weiherkopf (km 12 - 1665 m), einem Aussichtsberg erster Güte, der einem aber beim finalen Anstieg kräftig Schweiß abfordert. Bequemer geht’s mit der nahegelegenen Hörnerbahn. Deshalb gibt es hier sogar ein paar Zuschauer. Einige lächeln mitleidig, andere klatschen und wieder andere bieten Dir an, Deinen Gipfelsieg auf den Chip zu bannen. Von mir aus.
Eher noch steiler als der Aufstieg ist der Abstieg. Vorsicht ist geboten, denn auf der staubtrockenen Schotterpiste kann es einem in den Serpentinen leicht „dabröseln“. Ich spüre mein Knie. Aber nicht das lädierte, orangefarben getapte rechte, sondern das vermeintlich „gesunde“ linke. Soll ich vielleicht demnächst beiseitig ….
Beim Berghaus Schwaben, einem beliebten Ausflugsziel auf 1500 m Höhe, kommen wir auf einen asphaltierten Weg mit nur noch leichtem Gefälle. Eine Wohltat für Füße und Muskulatur, für einen Vollblut-Trailer eher ein Graus. Nach einem kurzen aber mächtigen Anstieg geht es nach der Getränkestelle unterhalb des Ochsenkopf aber wieder genussvoll und alpin weiter. Saftig grüne Alp-Wiesen (sage hier ja keiner Almen), Berge, blauer Himmel, einfach paradiesisch.
Seit einiger Zeit laufe ich mit Heike und Hans Werner zusammen, M4Y-Fans aus Brandenburgischen. Heike zeigt mir ihr Tape, gestern genau wie mir von Barbara und Andreas geklebt, das bei ihr aber von der Wade über den Oberschenkel vermutlich bis zur Hüfte reicht. Das Ergebnis ist das gleich wie bei mir: Null Problem! Die nächste Viehtränke kommt Heike wie gerufen. Dass das Wasser ziemlich dunkelbraun gefärbt ist, stört sie nicht: „Hauptsache nass und kalt!“
Über den Riedberger Sattel erreichen wir Grasgehren (km 18 – 1447 m), der einzigen Cut-off-Stelle auf der Marathonstrecke. 3:15 Stunden gibt man den Läufern Zeit. Viel Luft ist da für unsereiner nicht mehr. Hoffentlich lassen sich davon nicht viele Neulinge von einem Start abhalten. Denn ansonsten ist der Allgäu Panorama Marathon ideal geeignet, einmal Berg- und Trailrunning-Luft zu schnuppern. Auf der 42 km Strecke kommen zwar auch 1500 Höhenmeter zusammen, die müssen aber nicht „am Stück“ abgearbeitet werden, sondern verteilen sich mehrheitlich auf der ersten Streckenhälfte. Kommt man zum Riedbergpass (km 19,5 – 1407 m), dem höchstgelegenen befahrbaren Gebirgspass in Deutschland, hat man schon deutlich mehr als die halbe Laufzeit geschafft. Ungefähr bei der Halbdistanz zweigt die Strecke des Ultratrail rechts ab.
Bevor wir uns auf der bequemen Asphaltstraße ins Lochbachtal stürzen, nimmt Heike jetzt ein Sitzbad. Das bekommt ihr offenbar so gut, dass ich sie danach schnell aus den Augen verliere. Aber ich muss ja auch die herrlichen Silberdisteln am Wegrand fotografieren. Die Wurzeln sollen gegen Grippe helfen und die Blütenböden wurden früher sogar ähnlich wie Artischocken zubereitet und gegessen. Deshalb nennen die Hirten die Silberdistel auch Jägerbrot.
Der Weg zieht sich kilometerweit talwärts, teilweise in weitläufigen Serpentinen und für kurze Stücke auch etwas steil. Da ich ziemlich flott unterwegs bin, ist das ein weiterer Härtetest für mein lädiertes Knie. Ich bin begeistert.
An der Straße nach Obermaiselstein (km 30) hat der Abwärtslauf ein Ende. Ich weiß nicht, zum wievielten Mal ich die meine Wasserflasche auffülle. Ohne diese Reserve käme ich heute nicht aus. 600 Höhenmeter haben wir verloren und das merkt man deutlich. Es ist heiß und es geht kein Lüftchen. Ein kurzes Stück laufen wir auf dem Radweg parallel zur Verkehrsstraße bis zum Parkplatz bei der Sturmanns Höhle. Dort wäre ich jetzt gut aufgehoben. 4 Grad hat es in der Höhle, wenn man auf gesicherten Stufen 300 m tief ins Erdinnere eindringt. 30 Grad mehr hat es hier draußen.
Natürlich gibt es um die Höhle viele Geschichten und Sagen und natürlich spielt ein riesiger Drache eine wichtige Rolle. Er soll einmal einen ansehnlichen Goldschatz bewacht haben. Vielleicht hat dieses „Gerücht“ ein Obermaiselsteiner Kaufmann in die Welt gesetzt, den es um 1680 bis nach Konstantinopel zog, irgendwann als steinreicher Mann heimkehrte und seinen Reichtum in der Höhle versteckt haben soll.
Wir laufen in ein schattiges Waldstück und folgen ungefähr einen Kilometer dem Sagenweg. Über moosbewachsene Steine plätschert der Fallenbach, der bei der Schneeschmelze wesentlich wilder sein muss, wie sein breites Bachbett verrät. Metallskulpturen erinnern an die Wilden Fräuleins mit Namen (bitte unbedingt merken!) Stuzze, Muzz, Tschudre Mudre, Ringgede Bingge und Maringga, die hier am Fallenbach ihr fein gesponnenes Leines bleichten.
Kaum aus dem Wald, geht es endlich wieder mal bergauf. Was die Beine schmerzen lässt, erfreut die Augen. Wiesen, sanfte Hügel, Berge, Dörfer, Höfe - Allgäu aus dem Bilderbuch. Genau vor uns der Grünten. Man sieht die Grünfläche und das Grüntenhaus unterhalb des Gipfels und die Senke, in der der steile Wanderweg verläuft.
Der Name des Grünten kommt übrigens von Grinde = kahle Fläche (erinnert Ihr Euch, Hornisgrinde Marathon?). Aber kahl war der Grünten nicht immer. Er wurde abgeholzt, weil man für die Eisenerzschmelze Unmengen Holz benötige. Der Bergbau am Grünten hat eine lange Tradition und geht zurück bis ins 15. Jahrhundert. Die Knappen hatte eine schwere und gefährliche Arbeit zu verrichten. Obwohl sie 6 Tage in der Woche jeweils 7 Stunden schufteten, konnten sie davon nicht leben. Alle hatten nebenher noch Landwirtschaft. Burgberg entwickelte sich zum Zentrum der Nagelschmiede (Schuh- und Hufnägel). Am Fuß des Grünten gibt es heute ein Museumsdorf, wo es unter anderem eine solche Schmiede zu sehen gibt. Auch verschiedene Bergwerke wurden zugänglich gemacht und können besichtigt werden.
Am Ortsrand von Obermaiselstein endet bei km 34 unser Bergabenteuer. Die restlichen 8 km sind flach, aber deshalb nicht einfach. Zumindest heute nicht. Wären nicht immer wieder diese herrlichen Ausblicke auf die Berge, ich würde verzweifeln. Warum fliegt der Joe in die Wüste, um zu laufen? Hier auf dem Illerdamm ist es genauso staubig, trocken und vor allem genau so heiß. Nichts tut mir weh und trotzdem kann ich diese Promenade nicht durchlaufen. Immer wieder sind Gehpausen fällig. Am Ende werde ich sagen, das war der schwerste Teil der Strecke.
Ich hole Jan ein, Bernies Kumpel. Er läuft in einer anderen Liga. Noch nie ist er mir auf der Strecke begegnet. Heute geht bei ihm nichts. Plötzlich rennt er von der Strecke hinunter zum Fluss. Er wird sich doch nichts antun? Wie ein Verdurstender kniet am Ufer und erfrischt sich. Täte mir auch gut, aber den Umweg spare ich mir.
Über eine Stahlbrücke wechseln wir ans andere Ufer. Noch einmal kommt eine Verpflegungsstelle. Man will, dass die Läufer gut aussehen, wenn sie gleich das Ziel erreichen. Wer will, bekommt deshalb per Gießkanne eine Erfrischung, ganz ohne Umweg.
Noch ein Kilometer. Genauso weit ist es laut Hinweisschild zum nächsten Gasthof mit Biergarten. Das ist keine Option, also weiter. Die Hitze ist fast unerträglich. Und doch möchte ich auch an diesem herrlichen Sommertag nicht mit den zahlreichen Helferinnen und Helfern tauschen, sondern ihnen danken. Ich möchte an einem Tag wie heute laufen, langsam laufen, schauen und genießen. Genauso, wie es beim Allgäu Panorama Marathon ganz genial möglich ist.
Der markante Bau unterhalb des Grünten ist eine Bundeswehrkaserne, benannt nach dem Widerstandskämpfer Generaloberst Ludwig Beck. Ursprünglich war eine von drei NS-Ordensburgen in Deutschland, in denen zukünftiges Führungspersonal geschult wurde.
Noch 300 m, die Sports Arena, der Sportplatz und dann steht der Axel da und empfängt jeden Finisher mit einem Händedruck und Glückwunsch.
Nach ausgiebiger Inanspruchnahme der Kuchen-, Obst- und Getränkebuffets verschwinden die Läuferinnen und Läufer im Wonnemar, zu dem sie heute freien Eintritt haben. Dort warten Whirlpool, Wellenbad und was weiß ich ….
Man muss sich vorstellen, seit 9 Jahren gibt es nur 300 km von mir entfernt diesen geilen Lauf. Und ich bin das erste Mal dabei. In der Zwischenzeit war ich zusammen genommen zigmal in Davos, Zermatt und Interlaken, Hamburg und Berlin. Was bin ich froh, dass ich diese Lücke geschlossen habe. .
Auf Wiedersehen beim Allgäu Panorama Marathon am 08.08.2021
(Margot Duwe)
21.08.13 | Ideale Bedingungen | |
02.08.12 | Erstmals über 1000 Teilnehmer | |
09.06.11 | Das Höchste der Lauf-Gefühle | |
29.01.10 | Neu: Ultra-Trail-Staffel und Marathonstrecke |