Der Bürgermeister spricht ein paar sympathische Worte. Rekordzahlen bei der Anmeldung für den Marathon, Halbmarathon und den Ultra-Trail. Besonders in den ersten Startreihen sieht man auch manchmal schön rasierte Beine. Es riecht nach Allgäuer Latschenkiefer. Extra stark! Vielleicht ist das der Schlüssel zum Erfolg? Denn so lese ich, die Einreibung mit diesem Körperpflegemittel soll dazu beitragen, die Ausdauer und Leistungskraft der Muskulatur zu erhöhen sowie die Verletzungsanfälligkeit zu verringern. Eine Tube war übrigens im Startpaket enthalten.
Gemeinsam zählen wir den Countdown runter, 3,2,1 Start.
Die ersten 3 KM laufen wir noch flach und viel zu schnell über die Immenstädter Strasse und dem Illerdamm. Da passiert es auch schon: Ganz unangenehm sind die allzu Ehrgeizigen, die durchaus noch alle anderen überholen wollen. Sie treiben und hetzen. Wir lassen uns durch solche Läufer, zumindest meistens, nicht aus der Ruhe bringen. Allerdings ist so ein Meisterexemplar Kay beim Fotografieren von hinten in die Achillesverse getreten, dass es einige Kilometer fraglich war, ob wir weiterlaufen können.
Langsam kommen wir wieder in unseren gleichmäßigen Schritt und laufen auf den Spuren der Ultramarathonis, die bereits zwei Stunden vor uns dieses Weges trabten. Dabei kommen wir uns schon fast wie Außenseiter vor, startet doch jeder, der was auf sich hält mittlerweile auf der Langdistanz. Glück für euch das wir „nur“ den Marathon laufen werden, somit wird mein Bericht nicht noch länger aber es gibt halt manchmal so schrecklich viel zu berichten.
Für die ultralangen Trailgeschichten sind heute Anton und Bernie zuständig. Wir wollen und müssen vernünftig sein. Unser Programm für die nächsten Wochen wird uns noch genügend fordern. Das Feld zieht sich auseinander, endlich können wir uns auf die Umgebung konzentrieren. Es herrschen beste Voraussetzungen zum Bräunen auf der Strecke und für einen traumhaften Lauf. Unter einem weiß-blauen Himmel auf saftigen Almwiesen geht es aufwärts. „Koa Problem, des schaffma scho!“ sagt eine Stimme hinter mir.
Mit wachsenden alpinen Laufansprüchen verändert sich das Publikum in seiner Zusammensetzung. Unabhängig von der Höhenlage gibt es also einen klar ausmachbaren Allgäu-Typus unter den Läufern. Ein echtes Alpenoriginal ist der Läufer, der uns jetzt überholt, ein sehniger, drahtiger Typ mit wehenden langen Haaren. Während wir so aufsteigen, ich keines klaren Wortes fähig bin, erzählt er und erzählt, ich höre ihm zu, auch wenn ich nicht alles verstehen kann. „Hosdme?“.
Im angenehmen Aufstiegstempo geht es hinauf in Richtung Allgäuer Berghof.
Die Region zwischen Alpsee und Grünten ist auch im Sommer beliebt für große Sport-Events. Zu diesen zählt auch der internationale Allgäu Triathlon in Immenstadt. Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen, das wir hier Marathon laufen und dabei haben wir den Allgäu Triathlon, auch bekannt unter Allgäu Hai, noch nicht gemacht. Der steht auch schon lange auf unserer Wunschliste. „Na, dann aber doch bestimmt nächstes Jahr“ sagt Kay zu mir. Wer weiß, vielleicht kann ich mich tatsächlich im nächsten Jahr nochmal zum Triathlon motivieren. Ich hab da auch schon wieder so eine Idee im Kopf, aber die verrate ich hier noch nicht. Genug geschwätzt. Weiter geht’s, an der Weltcuphütte und am Ausstieg des von Ofterschwang kommenden Weltcup Express vorbei. Wir laufen höher und höher, es geht sehr steil bergan. Wir kommen über die Hörner zum Gipfel Weiherkopf. Eine Postkartenidylle tut sich auf. Auf 1.665 Meter haben wir heute einen herrlichen Rundblick vom höchsten Punkt des Marathons.
Bei einer kürzlich veröffentlichten Studie der Münchner Universität verbrachten 20 übergewichtige Personen eine Woche auf der Zugspitze (2650 Meter). Völlig ohne Diät und Sport nahmen sie im Durchschnitt 1,5 Kilo ab. Ich würde hier am liebsten mein Zelt aufschlagen und zwar so lange, bis ich mein Traumgewicht erreicht habe. Kay findet diese Idee nicht so gut. Unweigerlich muss ich an Anton denken und nun weiß ich auch, warum der so über die Berge fliegt, denn auch der Name klingt schon nach einem Mann der Berge: Natur- und Erdverbunden.
Ein Skilift vom Skigebiet um das Hörnerhaus ist zu sehen. Im Winter ist dies auch ein herrliches Gebiet für Skitourengeher. Wer es aber bequem lieber hat, der lässt sich mit der Hörnerbahn nach oben bringen. Für den Schnee ist längst nicht nur noch Frau Holle zuständig. Schnee können diese Eismaschinen die wir hier überall sehen, noch bis plus 30 Grad Celsius liefern! Bei Eismaschine fällt mir die Wettervorhersage für den heutigen Tag ein: „Am Sonntag scheint aus einem blauen Himmel ungehindert die Sonne, und es gibt nur sehr vereinzelt wenige Wolken im Oberallgäu. Die Tiefsttemperaturen betragen 12 Grad, die Höchstwerte 35 Grad! Unglaublich, nach der Regenzeit der letzten Tage.
Von der Bergstation Hörnerbahn geht’s sehr steil abwärts bis auf 1.509 Meter. Die Oberschenkel brennen. Wanderer auf den Weg nach oben machen uns den Weg frei. Wir können vom Gipfelpanorama gar nicht genug bekommen und da locken Liegestühle auf der Terrasse des Hauses. Mein Gott, warum muss ich laufen, warum können wir nicht einfach hier bleiben? An der Strecke steht eine Clique Mädels, verschönert mit Insignien jugendlicher Urbanität mit den Alpen als Kulisse im Hintergrund. Ins Gespräch vertieft betrachten sie die Läufer. Die Läufer auf die sie warten sind wohl schon vorbei?
Einige Zeit bevor man ihn sieht, hört man ihn bereits schnauben und trabbeln. Nun kann er nicht mehr weit sein. Da ist er wieder, unser Oihoimischer. Den müssen wir irgendwo überholt haben. Gemeinsam laufen wir über den Sattel am Riedberger Horn nach Grasgehren. Vom Gipfel des Riedberger Horns geht der Blick hinüber nach Süden zum Gottesackerplateau und dem Hohen Ifen, im Westen sieht man die Schesaplana und den Säntis über den Bregenzerwald-Bergen und im Osten ragen die Lechtaler Alpen hinter dem Allgäuer Hauptkamm auf. Man muss es nur wissen. Bei diesem Wetter haben wir einfach gestochen scharfe Konturen eines grandiosen Panoramas.
Wie schön, bei Alpenpanorama zu laufen und dabei noch Kalorien zu verbrennen.
Pro 7000kcal die man verbrennt baut man ungefähr 1kg Körperfett ab! Pro Stunde werden es so ca. 208 Kalorien sein. Ich könnte ja heute z. B. auch Bügeln (33kcal/h) oder Putzen (66kcal/h). Beim bergab laufen strenge ich mich wahrscheinlich nicht genügend an, denn sonst hätte ich nicht so abwegige Gedanken. Wer will schon bei solch einem Wetter sonntags bügeln oder putzen? Kalorien hin oder her? Zum Glück kann ich nicht lange darüber nachdenken, denn man kommt gar nicht dazu und wozu auch? Diese Gegend bietet viel zu viel Kurzweil. Trotzdem frage ich mich, wann kommt die nächste Verpflegung?
Wir laufen durch ein Gatter Richtung Alpe Schönberg (1.330 Meter). Ich bemerke seit ein paar Kilometern, dass sich an meinem Fuß eine Blase bildet. Ich bleibe stehen. Tatsächlich, so eine richtig schöne Wasserblase hat sich an meinem ohnehin schon lädierten Fuß gebildet. Luis Trenker empfiehlt in seinem Buch „Meine Berge“ aus den 50ern unter dem Kapitel „Rüstzeug und Hilfsmittel“ folgendes: „ungemein wichtig ist die dringend anempfohlene Mitnahme einer Pistole zum Schutze gegen angreifende Adler und eines Wacholdersträußchens am Hut, welches das beste Mittel gegen Wundlaufen(!) sei“.
Das habe ich alles natürlich nicht dabei, aber einen Labello. Diesen schmiere ich mir auf den Fuß. Eine vielleicht außergewöhnliche Idee, aber was Besseres ist mir im Moment nicht eingefallen. Die Methode hat sich später aber als absolut wirksam herausgestellt. Für die Lippen verwende ich diesen Lipstick aber trotzdem nicht mehr – den gebe ich Kay.