Obwohl eher Flachland-Marathonis, haben Judith und ich in den letzten drei Jahren auch diverse Trail-Wettbewerbe hinter uns gebracht. Darunter kurze, knackige Bergläufe, allerdings mit mäßigem Erfolg. Eine Veranstaltung mit 69 Kilometern und 3.000 Höhenmetern bereitet mir da doch einiges Kopfzerbrechen. Aber der Chef meint, dass wir das schon schaffen. Also nehmen wir den 10. Allgäu Panorama Ultra Trail in Angriff.
Eine Sommererkältung scheint zwei Tage vor dem Start fast überstanden. Trotzdem schlafe ich schlecht. Wer weiß, was da noch auf mich zukommt. Wir fahren am Samstag nach Sonthofen. Wie immer verlasse ich mich auf mein gutes Kartengedächtnis und hoffe, unseren ersten Referenzpunkt, die Baumit-Arena, schnell auszumachen. Pustekuchen. Als wir am Wonnemar-Schwimmkomplex ankommen, erinnere ich mich, dass die Arena sich im Umkreis von einem Kilometer befinden muss. Kurz danach sehen wir schon das 7 km entfernte Immenstadt, samt Werbung für einen Triathlon am kommenden Wochenende.
Im zweiten Anlauf haben wir mehr Glück und stellen fest, dass die Baumit-Arena gleich neben dem Wonnemar liegt. Dort in der Fußballhalle gibt es die Startunterlagen und einige Stände von Trailausrüstern. Im Starterset enthalten sind ein Gutschein für eine Portion Pasta in der Eventgastronomie nebenan, ein Eintrittsarmband für das „Wonnemar“, ein Gutschein für Preisnachlässe im Allgäu-Outlet, eine Jubiläums-Trinkflasche, ein Handtuch mit Event-Bestickung, eine orangefarbene Trillerpfeife und eine Rettungsdecke. Die letztgenannten zwei Gegenstände plus ein Notfallmobiltelefon sind beim Ultra mitzuführen.
Wir treffen viele Bekannte. Auch M4Y-Autor Markus und seine Frau Silke sind da. Markus, eigentlich eher der Langstreckenspezialist, berichtet morgen vom Marathon und lässt uns den „Vortritt“ für den Ultra. Andreas Greppmeir vom M4Y-Team läuft ebenfalls den Marathon.
Um 17:30 Uhr gibt es in der Eventgastronomie eine kurze Wettkampfbesprechung mit Axel Reusch vom Organisationsteam. Der bedauert zunächst das „Allgau-Gate“ bei der Bestickung des Jubiläums-Handtuchs. Die fehlenden zwei Pünktchen könne man aber leicht mit rotem Stift oder Nadel und Faden ergänzen. Ansonsten gibt er Tipps zur Strecke: „Wer den ersten Downhill zu schnell angeht, wird das später büßen“. (Hier hat Judith nicht richtig hingehört, wie sich später zeigt.) Beim Ultra gelte es grundsätzlich auf den Hauptwegen zu bleiben, sofern keine anderweitige Markierung vorhanden. Die Frage, ob wir Stöcke mitnehmen sollen oder nicht, kann letztendlich nicht geklärt werden. Wir entscheiden uns später dagegen. Dann ist die Unterweisung schnell vorbei und wir werden sehen, wie es uns am Sonntag ergeht.
Noch ein alkoholfreies Bierchen und einige Anekdoten mit Silke und Markus, die hier Urlaub machen. Dann rasch ins Hotel und ab ins Bett.
Wegen des frühen Beginns ist Aufstehen um vier Uhr angesagt. Wir reisen mit dem Auto an – ich kenne jetzt den Weg – und parken in der Freibadstraße, wie vom Veranstalter empfohlen. Bei frischen 12 Grad zum Start am Allgäu-Outlet-Center. Toilettenhäuschen in ausreichender Zahl befinden sich auf dem Parkplatz. Es dämmert, so dass man sich ungefähr zurechtfindet. In der Tradition der Vorjahre ist auch für die 10. Auflage des „APUT“ gutes Wetter angesagt. Es soll richtig heiß werden, weshalb bei der Wahl der Kleidung diesmal kein Zweifel aufkommt: „Kurz“ ist Trumpf.
Der Start erfolgt pünktlich um 6:00 Uhr. Ich versuche in der Dämmerung einige Fotos zu schießen und finde mich prompt am Ende des Feldes wieder. Aber ich habe ja 13 Stunden Zeit.
Idyllischer Beginn am Sonthofer Baggersee neben der Iller, dann geht es schon bergauf. Nach einem Wiesenstück führt ab km 5 eine Teerstraße nach oben. Da hat jeder Teilnehmer Platz und Muße, sein Tempo zu finden. Stimmungsvoll ist das schon, wie sich die Sonne langsam über die Bergrücken im Osten schiebt. Ein paar Autos mit einheimischem Nummernschild winden sich zügig zwischen uns durch. Wahrscheinlich geht’s zur Arbeit in die Berghotels. Der Froschi-Lift gehört zur Weltcup-Express-Anlage. „Judith, schau mal nach links“ - Judith und der Läufer links von ihr sehen sich an. „Nein, nicht auf den Nebenmann, sondern auf die Landschaft unter uns“. Nicht umsonst ist das hier schließlich ein Panorama-Lauf.
Wir werden heute einen Teil des Kleinen Walsertals gegen den Uhrzeigersinn umrunden. Der Skiclub Sonthofen („mach mit … bleib fit!“) betreut die Verpflegungsstelle an der Weltcup-Hütte Ofterschwang. Als Mitveranstalter werden uns die Wintersportler in ihren schicken orangefarbenen Helferhemden noch öfter begegnen.
Auf den nächsten vier Kilometern wird uns schon mal sehr viel Abwechslung geboten: schöne Waldtrails, gut ausgebaute Wanderwege – nur der Handlauf fehlt. Dazwischen immer wieder viele Kühe. Vor uns gesellen sich einige Tiere zu den Läufern und erklimmen einen Treppenweg. Gut, dass es hier überall die Allgäuer Käsespätzle gibt. Wir tun was gegen den Milchsee. Und zu Weihnachten dann wieder viele Butterplätzchen backen!
Wie ein Ufo taucht vor uns die Bergstation der Hörnerbahn zum Weiherkopf auf. Der Betrieb beginnt um 9:00 Uhr. Das Gipfelkreuz auf 1665 Metern Höhe ist auch bei Läufern ein viel fotografiertes Motiv, dem Notfall-Smartphone sei Dank.
Jetzt kommt der erste Downhill: Auf breitem Schotterweg zittern Judith und ich hinunter, während wir von vielen Läuferinnen locker überholt werden. Übung macht den Meister. Dann wird es noch steiler und der Weg ist geteert. Wir geben Gas und schließen wieder auf. Ich denke schon an den Muskelkater in den Oberschenkeln, den uns diese Aktion bescheren wird. Die Vollverpflegungsstelle Grasgehren wartet auf uns. Ich schlage am vorzüglichen Kuchenbuffet zu. Auch Obst in verschiedenen Variationen und ISO-Gel gibt es an allen Voll-VPs.
Noch ein Stückchen weiter – wir zweifeln, da das Markierungsschild den „Marathon“ ausweist, doch ein Läufer meint, die Trennung zwischen Marathon und Ultra komme erst viel später – treffen wir auf eine Pilzsammlerin mit ihrem Flechtkorb. Die hat eher Augen für den Wald oberhalb des Weges.
Bei Kilometer 19 der erste Cut-off nach 3:15 h. Wir sind 2:50 Stunden unterwegs, liegen also gut in der Zeit. 300 Meter geht es über Deutschlands höchste Passstraße. Der Riedbergpass ein paar Meter weiter links ist 1401 Meter hoch. Darüber können die Läufer aus der Schweiz und Österreich vermutlich nur müde lächeln. Interessanter ist, dass wir hier an der Wasserscheide zwischen Rhein und Donau sind. Der Bodensee ist gar nicht so weit entfernt. Ich glaube, wir bleiben aber auf der Seite von Isar und Donau. Für uns geht es über schöne Wege durch feuchte Vegetation.
Bei km 23 dann die Trennung von der Marathonstrecke. Judith und ich sind 3:15 Stunden unterwegs. Die Helferin an der Trennungsstelle erklärt, dass sie die führenden Marathonis in 15 Minuten erwartet. Markante Felswände sind vor uns zu sehen. Judith sammelt auf den Anstiegsstrecken langsam alle Damen ein, die uns bergab überholt haben. Ich röchle hinterher und bin mir nicht so sicher, ob das eine zielführende Taktik für einen 69-km-Lauf ist.
Vor uns der Weiler Rohrmoos. Über eine Wiese mit pittoreskem riesigem Baum geht es nach unten. Mal wieder vier Kilometer Teerweg, dann erneut nach oben. Fast zum Laufen geeignet oder zumindest ein Fall fürs „Speedwalking“. Über den Hörnlepass überqueren wir zwei Mal kurz die Staatsgrenze, bevor uns dann auch offiziell ein Schild in der Republik Österreich herzlich willkommen heißt. Der Gasthof Hörnlepass erwartet uns bei km 32 mit einem Voll-VP. Hierher wurden auch Kleidersäcke für einen möglichen Ausrüstungswechsel gebracht. Wieder viel Obst und fantastischer Kuchen. Wer braucht da noch gesalzenes Butterbrot, das hier ebenfalls zu haben wäre? Die Vierbeiner zur Rechten signalisieren: Das Leben ist ein Ponyhof – noch zumindest.
Durch eine tadellose Urlaubslandschaft geht es weiter bergab, bis der Blick auf die fast 30-jährige Schwenderbrücke fällt, die uns die Überquerung des Breitbachs wesentlich erleichtert. Als wir an zwei Spaziergängern vorbei kommen, rufe ich Judith zu, dass wir Trailrunner natürlich lieber zum Bach runter gelaufen wären. Hinter der Brücke geht es gleich wieder bergauf. Recht heiß ist es hier um 11:00 Uhr im Tal. Judith zieht davon. Ich erlebe einen konditionellen Einbruch, und das bei km 35. Erst die Hälfte geschafft, jetzt nur nicht schlapp machen! Rettung naht in Form einer Berghütte, vor der sich leicht bekleidete Personen in der Sonne aalen. Für uns haben sie einen Gartenschlauch am Zaun befestigt. Noch nie habe ich mich so über eiskaltes Wasser gefreut.
Der breite Weg strebt langsam nach oben. Unzählige Wanderer kommen uns entgegen. Anscheinend ist das eine Standardtour: Mit der Bergbahn von Oberstdorf auf das Söllereck. Dann ein schöner Spaziergang ca. 6 km nach Riezlern im Kleinwalsertal und mit dem Bus im 10-Minuten- Takt zurück zum Ausgangspunkt. Apropos: Als „funktionale Enklave“ und Zollaus-/anschlussgebiet bietet diese Gegend kein so billiges Benzin wie das restliche Österreich. Und das mit dem Besuch einer Bankfiliale scheint auch nicht mehr so lukrativ zu sein, obwohl Joe ja vor kurzem eben deshalb hier war... Judith und ich sind daher auch Stammläufer beim Bahamas-Marathon. Ich phantasiere, irgendwie ist mir die Hitze in den Kopf gestiegen.