Unsere heutige Tour geht auf der nördlichen Seite oberhalb der Arlbergstraße Richtung Osten, nicht ganz bis zum „Murmele“, unterhalb der Albona, wo Volker unsere Getränke mit drei Euroschecks zahlen musste. Für die jüngeren Leser: bis 400 DM war der Euroscheck gedeckt, wenn man die Scheckkartennummer auf der Rückseite notierte. Wir waren zu viert.
Am Start fragt mich ein Polizist, ob ich mitlaufe. Ich erkläre ihm, dass hier Spitzenläufer vom Team Klatschmohn, Essig und Scinfutt am Start sind, falls ihm das was sagt. Und nächstes Jahr kommen dann die Läufer, die mehr Schatten werfen als ich! Das sieht er ein.
Dann hänge ich mich an Christa. Was heiss ist, ist der Weg, gegenüber sieht man den Skilift zum Silbertal, dessen Erzvorkommen die Gegend reich gemacht hat. Genau in einem Monat, am 04.07. findet hier der Montafon Arlberg Marathon statt, der diesem Event hier nicht das Wasser reichen kann. Weiter westlich die Sonnenkopfbahn, dort ist das Wasser noch durchgehend gefroren.
Bei km 10 kommt der erste VP, ich bin ziemlich aufgelöst. Wir bewegen uns nun seit 2 Stunden auf einer Höhe von 1000 Metern, die Steigung, die Hitze von 35 Grad in den Bergwiesen, die starke Sonneneinstrahlung, ich bin fertig. Fünf Kilometer und eine Ewigkeit weiter erklären mir zwei Jungs bei einer dicken Portion Wasser, dass ich besser aussteigen solle, es geht jetzt nämlich 850 Meter hinauf. Dann kommen die Eisfelder und der Grat, wo es links und rechts und so weiter …, eine Umkehrmöglichkeit und was weiss ich was, es sei saugefährlich, ich solle unbedingt mit ihnen zurück ins Tal.
Ich entscheide mich für den weiteren Aufstieg zur Freiburger Hütte, der technisch so schwierig ist, wie ich es noch nicht erlebt habe. Unten im Tal die Ortschaft Daalas (walisisch für Tal-aus). Es geht ohne Serpentinen 3 Stunden steil hinauf zum Rauesjoch, bis ich wunderbarerweise von allen Seiten von der unüberwindbaren Fensterlewand (2300 m) eingeschlossen bin.
Es ist ein wunderschönes Trogtal mit vielen kleinen Quellen, an denen die saftigen, fetten Trollblumen blühen und von den Hängen die Murmeltiere bei meinem Anblick aufgeregt fiepen. Ich, der ich alles, nur kein Wasser mag, schütte mir das eisige Nass aus einer Quelle über den Kopf und in den Rachen. Es sind die Bödener Magerwiesen. Hier am oberen Ende entspringt der Lech in einer Quellbreite von einem Meter. So kräftig, dass ich mir lieber die Schuhe an den kleineren, seitlichen Quellen nassmache. Da sind die Schlüsselblumen, der tiefblaue Enzian, die weissen Maßliebchen, der Thymian, den ich mir unter die Nase reibe, und der kleine lila Gamander. Ich liege mittendrin in einer eisigen, kleinen Quelle, rolle mich wie ein Welpe auf dem Rücken hin und her. Das Wasser ist richtig kalt, aber ich bin frei, endlich frei! Keine Drohne hat mich verfolgt, niemand muss wissen, dass ich gerade glücklich bin.
Der Lech, und das ist jetzt interessant, fliesst nicht Richtung Bludenz, zum Rhein, was ja naheliegend wäre, sondern über Lech/Zürs zur Donau. Bei Füssen passiert er dann die Grenze nach Deutschland. Ich passiere jetzt den Sattel in der Fensterlewand. Das dauert nochmal eine Stunde, dann noch ein paar Blümchen und ich bin nach insgesamt 5 Stunden an der Freiburger Hütte (1900 m), dem zweiten VP bei km 20. Ich habe die Hälfte geschafft!
In der Ausschreibung stand was von Cut-Off Zeit. Aber es gelten meine Zeiten und die Zielmatte von BipChip bleibt in Bludenz 4 Tage lang liegen, auch die Nacht über. Was kostet die Welt? Nochmals fünf Stunden werde ich bis zum Ziel brauchen. Wahnsinn!
Die Freiburger Hütte wurde vom deutschen Alpenverein, Sektion Freiburg 1931 gebaut, bietet 140 Schlafplätze und somit garantierte Hüttensause, wenn sie denn offen hätte. Es ist zu früh im Jahr. Letzte Woche lag hier noch ein Meter Schnee. Im Schnee liegen jetzt die Getränke, die soften.
Die Helfer sind glücklich, als ich erkläre, dass ich der Schlußläufer bin. Sie umarmen und herzen mich, als sei ich Barbapapa. „Sag dem Hans, er kann dann zurückkommen!“ Hans ist kein kommerzieller Fotograf, hat sich extra Urlaub genommen, um uns 32 Bekloppte….wir sind doch nur noch 23, also, um 23 Bekloppte zu fotografieren. Das sind dann Momente, wo du als Läufer begreifst, dass du etwas machst, was auch Einheimischen Respekt einflößt! „Pass auf! Lauf nur oberhalb der Schneefelder“ ruft er mir nach.
Gott, was habe ich für einen Spass hier im Schnee, und das im Juni! Ist ja kein Arsch mehr hier oben, mache Selfies mit Selbstauslöser. Bin sowas von bekloppt, lege mich in den Schnee und kratze mir den Rücken, uuuh das ist kalt und nass. Dann positioniere ich die Kamera, zähle die Sekunden des Selbstauslösers und laufe zurück, mache Faxen, hüpfe rum und fluche, wenn´s nix war, weil ich dann die Show wiederholen muss. Ich habe einen an der Eiswaffel! Dann reisst es mich von den Füssen, genau am Gwurfjoch. Musste ja sein, sonst wäre nicht der Name…ich finde den Weg nicht mehr!
Erstaunlicherweise funkioniert das Handy hier oben: 0043…“hihihi hier ist der Joe, wo geht’s lang?“ Wir haben nett telefoniert und eine Dose Zwiebelmettwurst mit Schwarzbrot später habe ich den Weg. Die Spraymarkierung war auf dem Schnee, der hat sich aber in den letzten Stunden verflüchtigt, und somit auch die Markierung.