Liebe Trailfreunde, ein alt bekanntes Phänomen stellte sich bei mir beim Ultratrail in Andorra mal wieder ein. Während eines Bergultralaufes schimpft man wie ein Rohrspatz über sich, den Lauf oder die Streckenverhältnisse und einen Tag später sieht wieder alles anders aus. Was für ein genialer Lauf, die Strecke war doch gar nicht so schlimm, alles bestens.
Eine Voraussetzung bedarf es für diese Empfindungen: Man muss ins Ziel kommen, oder besser, man muss finishen. Zum Glück ist mir dieses Vorhaben gelungen, aber es war wirklich ein hartes Stück Arbeit. Aber warum ist das so und wo waren wir eigentlich?
Andorra, ein Land in den Pyrenäen, zwischen Frankreich und Spanien gelegen, hat zum 6.Mal zu einem der schwersten Bergultraläufen eingeladen. Seit meinem UTMB-Finish in 2011 gehen meine Gedanken in Richtung Andorra. Doch entscheide ich mich nicht für die Ronda del Cims mit 170km und 13.000 Höhenmeter, sondern für den Mitic-Lauf mit 112km und 9.700 Höhenmetern. Viele Laufberichte sprechen von der einfachen Formel: Laufzeit am Mont Blanc plus 50% = Zielzeit in Andorra. Nun ja, über 60 Stunden meinen Körper zu belasten, hatte ich keine Lust. So kam die Entscheidung für die 112km zustande.
Der Zeitaufschlag ist aufgrund der extremeren Höhe, der größeren Anzahl an hohen Passquerungen und der daraus resultierende durchschnittlichen Laufhöhe von 2050m zu begründen. Dachte ich. Während dem Lauf hatte ich einen weiteren Faktor mit den eigenen Füssen mitbekommen. Die Trails sind einfach technisch wesentlich anspruchsvoller, Serpentinen sind sehr selten vorhanden, da nimmt man in Andorra doch lieber die direkte Variante nach oben. Richtige Wadenkiller mit zunehmender Laufdauer. Hier sind also die 50 Prozent Zeitzuschlag verborgen.
Die Anreise erfolgte nach Andorra mittels einer günstigeren Airline nach Girona / Spanien. Da wir zu dritt sind, Wilhelm Melcher und mein Bruder (Supporter und 10km-Starter), konnten wir uns nach dem 1,5 Std-Flug bequem einen Mietwagen gönnen. Die Anreise in unser Quartier in der Nähe von Ordino / Andorra dauerte nochmals 3 Fahrstunden. Wir beendeten unsere Anreise Auto-Flug-Auto dann gegen 23 Uhr mit dem Bezug unserer sehr komfortablen Ferienwohnung in El Serrat.
Der nächste Tag, ein Tag vor dem eigentlichen Rennen, diente zum Einkaufen von Lebensmitteln und Getränken (wir mussten ja auch schon an das Catering für das WM-Finale denken) und einem Besuch bei Ulrike und Uwe Herrmann, zwei weiteren deutschen Startern. Ähnlich wie mein Bruder hatte auch Ulrike sich für einen 10km Lauf im fernen Andorra entschieden. Ich persönlich finde das Klasse, wenn auch unsere Supporter das Laufangebot der örtlichen Veranstalter nutzen und neben den Verpflegungsstellen bei unseren Läufen auch die Landschaft auf eigene Faust entdecken. Uwe Herrmann, sehr entspannt vor seinem Einsatz über die maximale Distanz beim Ronda del Cims, stimmte uns schon über seine Streckenerlebnisse aus den letzten Tage ein. Keine Serpentinen –straightup. Noch schmunzeln wir.
Bei uns ging’s am Nachmittag weiter mit einer Akklimatisierungswanderung und einer gleichzeitigen Streckenerkundung. Laufkilometer 6 bis 11 mit 800 Höhenmetern ist unser erster Aufstieg beim Rennen, und diesen wollten wir bis zu der Wanderhütte Angonella (2240mtr) bei Tageslicht erkunden. Weiß-blauer Himmel, deutsche Vesperwurst und französisches Baguette liessen uns an der Wanderhütte verzücken und prägten einen genialen Pre-race-day.
Am nächsten Tag, Freitag, konnten wir unsere Startnummern abholen, was problemlos funktionierte. Mit ein wenig Geduld und Muße, englischer Konversation, oder in meinem Falle half das Französische doch mehr, kam man schnell und kontrolliert zu Startnummer, Präsente-Tasche und einem Willkommen-Brot.
Die Abgabe der beiden Dropbags wurde ausreichend erklärt und mit Hinweisschildern zum Ausdruck gebracht. 12 Uhr, die Pflicht war erfüllt, noch 10 Stunden bis zur Kür. Ferienwohnung, Mittagessen kochen, Ruhen und Entspannen. Um 18 Uhr trafen wir uns alle nochmals zum zweisprachigen Briefing. Ich finde, auch hier hat der Veranstalter über die Grenzen gedacht und das spanische Briefing um 17 Uhr abgehalten und um 18 Uhr zum französischen-englischen Briefing eingeladen.
Welldone. We are ready to go. Die Wetter-Ausgangssituation: weitestgehend trocken, mehr Sonne als Wolken, nachts kühl zwischen +2°Grad und + 8°Grad, tagsüber +10°Grad bis +22°Grad, je nachdem, wo sich gerade befindet. Oben oder unten am Berg.
Kurz vor 22 Uhr ist die Stimmung am Höhepunkt. In dem lieblichen Ort Ordina brodelt die Masse, die Stimmung der 298 Teilnehmer und der Zuschauer ist genial, die Trommlergruppe heizt bei fetten Rhythmen richtig gut ein und die letzten 3 Minuten gehören dem Feuerwerk und einer aus dem Boxen dröhnenden Oper. Eine wilde Mischung, aber die Ruhe stellt sich ja die nächsten Stunde von alleine ein.
Im Pulk geht es die ersten 6km gemächlich nach Llorts. Das Feld hat sich schon auseinander gezogen, so dass der Übergang zum ersten Anstieg, uns von der gestrigen Wandertour bekannt, ohne große Positionskämpfe und Hektik fließend übergeht. Wir drei Deutsche, unser Lauffreund Markus Fischer aus Köln, Wilhelm Melcher und ich hatten uns für einen defensiveren Start, aufgrund der nicht ganz glücklichen Halbjahresvorbereitung gewählt und uns im letzten Starterviertel eingereiht. 8km und 1200 Höhenmeter folgen zu Mitternacht, ehe bei KM17 der erste von zehn Verpflegungspunkten VP1 erreicht wird.
Es kommen nun meine, glaube ich, längsten 3 Kilometer. Der Aufstieg zum Gipfel, PicComapedrosa auf 2942 Meter ist neben seinen knapp 900 Höhenmeter im Anstieg unheimlich schwer zu laufen bzw. zu gehen. Der Weg führt über riesige Felsbrocken, Geröllfelder, wackelige Steine, Bruchsteine, Schneefelder, eigentlich alles was es im Berg gibt. Einen Laufrhythmus zu finden ist unheimlich schwierig. Das Ganze geht aufgrund der sehr unterschiedlichen Schritthöhen und Balanceübungen sehr auf die Kondition der Beinmuskulatur.
Oben angekommen, es ist tief in der Nacht, so gegen 3:40 Uhr, geht es über den schmalen Grad des Comapedrosa, die Wolken fetzen von links und rechts an einem vorbei. Sehr windig und frisch denke ich mir, nichts wie runter. Der Vollmond begleitet uns permanent auf dem schwierigen Downhill mit einigen Schneefeldern. Auch diese sind schwer zu laufen, da sie seitlich schräg sind und ab und zu sehr nahe an einem Gebirgssee verlaufen. Nicht auszudenken, wenn es einem mal die Füße wegzieht und man nachts im Wasser landet.
VP2 wird gegen 4:50 Uhr erreicht. Hier in der Berghütte ist es ein wenig voll geworden, da sich gerade eine größere Läufergruppe aus dem 83km-Celestrail-Lauf auch eingefunden hat. Stressig, eng, laut und zu warm, so lautet die Zwischenbilanz aus VP2. Nichts wie raus hier. Die folgende Auf- und Abstieg in das Skigebiet Port Negre ist machbar und wir erreichen nach unserem Plan, um 6:30 Uhr VP3 und unseren Supporter und meinen Bruder Alexander zum ersten Mal. Erster Austausch an Informationen wie es war, Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und nach 20min, geht’s weiter. Alles im Lot, alles im Plan.
Der folgende Aufstieg zum Bony de la Pica wird gekrönt mit einem sagenhaften Sonnenaufgang und phänomenalen Aussichten nach Spanien.