So was habe ich noch auf keinem Trail erlebt. Schrille Schmerzensschreie gellen durch den Wald. Schmerzverkrümmt taumeln Läufer umher, halten sich gerade noch aufrecht. Und das noch ziemlich am Anfang. Und es war doch gerade eben noch so schön...
Der ALUT 2.0 - mein Vorschlag für eine Abkürzung des Wort-Ungetüms Arberland Ultratrail - ist pünktlich gestartet. Wie in 2016 unter besten Bedingungen: kühles, trockenes, sonniges Wetter. Lausig kalt zwar in der Nacht, Kofferraumqualität halt, aber dann ideal. Die Orga gut aufgelegt, hat schon Teams im Wald, die nach den Markierungen sehen. Alles für unsere Sicherheit. Denn wer sich im Bayerwald verirrt... es gibt gar viele Gschichten davon. Und manche gehen gar nicht gut aus ...
Der bunte Lindwurm flitzt los. Nur ein Bild geschossen, und ich bin wieder ganz hinten. So ist das eben, man muss Opfer bringen, damit ihr gut informiert werdet. Entlang der Hauptstraße durch Bodenmais, sanft abwärts. Dann geht‘s aufi zum Silberberg. Der heißt so, weil da mal Silber drin war. Der Barbarastollen kann besichtigt werden (klar- erst hinterher), ist mit der Seilbahn erreichbar - gut für die Waden. Und wer sich umdreht, hat einen tollen Blick auf den Ort.
Statt Drahtseil haben wir den Trail benutzt. Einen richtig schönen, technisch nicht schwierig, viel weicher Boden, auch Schotter dazwischen. Am Stolleneingang vorbei geht es auf die andere Bergseite. Eine Höhle mit Fackeln, da müssen wir durch. Toll, aber dann kommt eine Aussicht, einfach grandios. Der Frühnebel deckt das Tal zu, darüber die Sonne - ein Traum. So macht‘s richtig Spaß. Noch eben über den Gipfel - ja, wir lassen keinen aus, es geht heut immer über die Gipfel- und dann schön bergrunter auf richtig schnellem Trail und immer im Wald. Hochgefühl breitet sich aus.
Aber nur bis zum Gegenanstieg auf der anderen Talseite. Da erfolgt der heimtückische Angriff auf alles, was sich bewegt. Man hört ihn nicht, man sieht ihn nicht, aber der Angreifer sticht trotzdem zu. 6 Stiche werden mir gemeldet, in beiden Waden. Verdammt schmerzhaft und es geht nicht weg. Auf den nächsten 50 km spüren wir‘s immer wieder. Im Buschfunk einigt man sich: Erdwespen sind wohl die Übeltäter. Auf diesem kaum begangenen Trail wurden sie wohl nie belästigt, bis heute. Also fallen sie mit heiligem Zorn über uns her...
Egal, Distanz hilft, also weiter und hoch. Der Gipfel ruft und alle hören es deutlich. Der Trail wird nun anspruchsvoller. Laufen wird schwierig, gehen klappt gut. Mal dichter Wald um uns herum, mal offene, breite Wege. Plötzlich wird‘s flacher, ein Gipfelkreuz links, dann gleich wieder runter. Moment mal, hier waren wir eben schon mal, eine Schleife schließt sich. Der erste VP mit Vollversorgung kommt. Etwa 14 km sind geschafft.
Die folgenden 10 km sind ganz ähnlich. Zum Eingewöhnen. immer ganz rauf und gleich wieder ganz runter. Die Höhenmeterchen sammeln sich allmählich. Jeder, aber auch jeder Trail wird benutzt. Und wenn es einen kleinen Umweg bedeutet. Schließlich ist oben immer ein highlight des Bayerwaldes: tolle Aussicht, markante Felsen, stille Natur. Ja, es ist hinten in der Kolonne ruhig - das hat klare Vorteile. An den Fußspuren, lila Pfeilen und Punkten, an Tafeln und Flatterband erkennt man unschwer, wos langgeht. Ich will es nicht verschweigen: es gibt auch Schotterwege. Mal kurz, mal lang, und sogar etwas Asphalt bei Böbrach. Anstiege, endlos, nur für starke Nerven. Und wenn wir fast oben sind, beginnt wieder ein feiner Trail, noch weiter hoch... Durch die Felsen, aber gut machbar, technisch nicht schwierig. Gut ausgesucht für uns.
An der Glashütte liegt VP2. Trubel ringsum, alles bunt, seltsame Gewächse im Unterholz und ein Pumuckl. Hier ist was los. Aber nun: direktemang zum Arber, dem Kleinen erstmal. Nur hoch, denn die Glashütte liegt etwa auf Startniveau: 689m. Auf 1384 müssen wir jetzt. Dann man tau. Der Pfad wird zum Weg, der Weg wird zum Pfad. Links, später rechts, rauscht ein Bach. Einzelne Wanderer begegnen uns. Die Sonne bricht durch das Herbstlaub, eine angenehme Wärme hüllt uns ein. Von rechts stößt der Auerhahntrail zu uns, die nächsten 30 km haben wir dieselbe Strecke. Dieser Trail hat 35 km und steigt direkt zum Arber auf. Mindestens ebenso lohnend. Aber die erste Hälfte des Ultra hat enorm viel supertollen Trail zu bieten und die großen Highlights kommen erst noch.
Eine Wasserstelle, bemannt- nein, befraut mit supernetten Helferinnen. Genau das Richtige zur Motivation und Stärkung der Moral bei den gemächlicheren Trabern. Die Pause tut gut. Zum Kleinen Arber ist es nicht mehr weit. Der Anblick flößt Respekt ein: Plötzlich taucht die Kuppe auf, hoch und unendlich weit weg, Wald obendrauf und winzige bunte Punkte, die darin verschwinden. Das kann ja was werden, denke ich. Aber alles halb so schlimm. Durch eine kahle Graslandschaft mit vielen Baumleichen und toller Aussicht gehts schnell in Serpentinen aufi, ie in den Alpen. Und Ruckzuck ist man oben.
Umdrehen nicht vergessen - wegen der Aussicht! Auf einem Felsblock steht das Gipfelkreuz, ausgepumpte Wanderer liegen herum, ziehen die Beine ein, als wir drüber weghüpfen. Deja vu, aber noch imposanter: der Große Arber mit den Radomen und einem verflixt tiefen Tal davor. Etwa da runter ? Na gut, die Serpentinen sind steil, an der Chamer Hütte gibt‘s zu Mittag, es duftet. Ist es denn schon so spät? Wie die Zeit verfliegt, das merkt man gar nicht. Eine Uhr trage ich nämlich nicht - das gibt nämlich immer so kribbelnde Überraschungen, wenn ich mal nach der Zeit frage...
Steil aber schön - auf Treppen steigen wir so 150 hm hoch zum Gipfel. Und hier genauso: plötzlich ist man oben. Viel los hier, mächtig viel. Die Seilbahn kommt von der anderen Seite, alle sehen ausgeruht aus. Gedränge am Gipfelkreuz, ein Selfie nicht möglich, also weiter. Neben der Eisensteinhütte unser VP3. (Erst?). Ein ruhiger Tag für die Bergwacht, bisher kein Einsatz. Hier sehe ich, was ich als Cola-Ersatz bisher getrunken habe: eine aus der Dampfbierbrauerei Zwiesel stammende Köstlichkeit. Gibt‘s mit und ohne. Mit macht irgendwie bessere Laune, ohne ist wie Iso mit ungewöhnlichem Geschmack. (Dies ist nur die subjektive Ansicht des Autors, trinkt doch, was ihr wollt...)
Ein klarer Kopf ist nun zwingend nötig, dazu absolute Trittsicherheit und ein saugutes Trailprofil, denn aus der Schotterserpentine wird ein total verblockter Trail. Aber total, mit riesigen Blöcken, wackligen Stufen und glitschigem Schlamm dazwischen. Ein paar hundert Meter, dann auf Schotter zum Arbersee. Eine Zeitmesslinie registriert uns, dann erneute Stärkung. Und wieder hoch. Eigentlich ein Umweg, 10 km mit reichlich Höhenmetern - nur um uns das Mittagsplatzl zu zeigen. Etwa auf 1300 hm, mit fantastischer Aussicht zum See und weit über die Berge... Stunden könnte man hier sitzen.
Nix da, das Ziel ruft und da der Weg bekanntlich das Ziel ist, weiter. Loses Geröll - das könnte der Förster ja mal beiseite fegen - macht es abwärts nicht wirklich einfacher. Auf Schotter wieder hoch zum Auerhahn. Ein Doppel- VP ist das. Hin waren wir schon hier und jetzt wieder.
Ich hab‘s noch im Ohr: die letzten 10 km geht‘s nur bergab. Stimmt, netto. Praktisch ist da aber noch was anderes im Weg. Erst sanft, dann steil bergab - das lässt sich gut an. Ein Aussichtspunkt mit Blick auf Bodenmais. Man hört bereits die Ansagen! Aber nach einer Kehre - übrigens, Orga: gebt doch den jungen Helfern Schlafsäcke und Decken mit - steigt der Weg an. Der letzte Getränkestand, etwas vorverlegt, dann wieder ein feiner Trail zu den Rieslochfällen. In Kaskaden stürzt der Bach zu Tal, ich möchte da auch hin. Aber nein, zwischen den Klippen schrauben wir uns wieder in die Höhe.
Das Schlimmste: kein km-Schild weit und breit in Sicht. Die gab‘s ja sonst alle 5 km. Und nun nix mehr? Ja, wie weit ist es denn noch? Verirrt? Kann nicht sein, ist alles perfekt markiert. Das ist es. Ich bin einfach platt, will ins Ziel, keine Spielchen mehr. Schotter, breit und - abwärts, endlich. Und das Schild. Noch 5 km.
Auf Asphalt zu Tal, in den Ort, zur Kirche mit dem Marktplatz davor. Das Ziel. Die Freude vertreibt die Müdigkeit total. Glückwünsche überall, die markante Holzmedaille, etwas essen und trinken. Im letzten Sonnenschein klingt ein wunderbares Lauferlebnis aus. Also, an alles, was im Woid so läuft, 22.9.18 - ALUT 3.0 ruft euch!
Fazit
Trail, Trail, Trail und noch mehr Trail. Alle wunderschön, bei prachtvollem Wetter. Technisch ok, stellenweise mit echt alpinem Charakter, aber eigentlich überall schön zu laufen - wenn ihr gute Trailschuhe anhabt. Bei Schietwetter, na, dann könnt‘s was geben. Stöcke sind sehr zu empfehlen. Rauf wie runter. Das haben alle bestätigt. Und macht nicht zu schnell: genießt die Highligts des Bayerwaldes, nehmt euch die Zeit! Für alles ist gut gesorgt! Übrigens: Heute juckt es nur noch, aber wie. Könnte dauernd kratzen.