Durch eine enge Waldschneise in Faials verwunschenen Naturpark schlängeln sich die kilometerlange Levada und ich. Die Levadas der Caldeira waren einst Teil eines Wassersammelsystems, das ein Wasserkraftwerk in Varadouro speiste. Durch das Erdbeben von 1998 wurden weite Teile der damaligen fast zehn kilometerlangen Levada zerstört. Heute ist der Wasserweg wieder hergestellt und ich springe immer wieder über diese offene Wasserleitung oder steige über kleine Mäuerchen, um die Seite zu wechseln. Es ist gar nicht so einfach, nach so vielen gelaufenen Stunden mit steifen Knochen noch elegant über die auseinanderstehenden Tritthilfen zu balancieren. Nach und nach bekomme ich Gefallen daran und die Schritte darüber werden lockerer und mutiger. Auch wenn die Knochen schmerzen, macht es Spaß, immer wieder über die Steine hinweg zu springen. Schlagartig wird es wieder drückend schwül. Wäre die Holzbrücke, über die ich nun laufe, eine Hängebrücke, dann könnte man glauben, ich wäre am Amazonas.
Sensationelles tut sich vor mir auf. Plötzlich ist neues Land in Sicht! Ich bleibe stehen, genieße den kilometerweiten Fernblick. Die Vulkankegel sehen von hier oben aus wie das Rückgrat eines grünen Dinos. Am Ende, sozusagen am Kopf des Drachens, ist der Ponta dos Capelinhos, die Halbinsel mit der bizarren Küstenlinie, zu sehen.
Dann geht alles viel zu schnell. Die Landschaft, einst unheimliches Naturspektakel, wird zum Landschaftsfilm – ich wünsche ihn mir in slow-motion. Das Gestein unter meinen Füssen gleicht einer Wüste aus Schlacke und Schotter. Kurz darauf ist es nur noch eine einfarbige Kulisse im müden Licht des Nachmittags, die sich sanft geneigt zur Küste zieht, die links und rechts mitgezogen wird – eine Mondlandschaft aus Asche und Staub. Ich stelle mir vor, wie vor nicht ganz so langer Zeit der Atlantik ein explosives Gebräu kochte, weiße Wolken aus Wasserdampf daraus empor schossen und das Meer zu brodeln begann.
Ich stelle mir vor, wie mehr als 30 Millionen Tonnen Lava und Asche beim Ausbruch des Vulkans Capelinhos genau hier niedergingen. Kann man sich das überhaupt vorstellen? Dabei sind es die gleichen Naturkräfte, die die Azoren überhaupt erst haben entstehen lassen. Die Bewohner konnten sich retten, die Häuser und Felder sind bis heute verloren. Nur ein Teil des 1902 erbauten und einstmals größten Leuchtturm Portugals, ragt nicht mehr von der Küste, sondern nun weit entfernt, aus dem schwarzen Sand. Auf dem braunschwarzen Ascheboden wachsen einige wenige kleine Büsche. Durch das feuchtwarme und niederschlagsreiche Azorenwetter soll es nur 100-200 Jahre dauern, bis sich komplett das saftige Grün über diese dunkle Vulkanlandschaft legt. Im unterirdischen „Centro de Interpretação do Vulcão dos Capelinhos“ ist die dramatische Geschichte des Vulkanausbruchs dokumentiert, das Museum sogar preisgekrönt.