Eine Frage beschäftigt mich nun schon den ganzen Tag: Kann man von stundenlangem, glücklichen Dauergrinsen Muskelkater bekommen? So wie ich heute die ganze Strecke über strahle, werde ich morgen wahrscheinlich meinen Mund nicht mehr bewegen können. Exotische Vegetation, urwaldhafte Wälder, Vulkane und der Blick auf das Meer - diese Insel wirkt auf mich wie eine völlig andere Welt. Dazu kommen Trails, die das Herz jedes Trail-Junkies höher schlagen lassen. Heute bin ich im Paradies!
Dieses Paradies heißt Faial und ist eine der Azoren-Inseln, die weit verstreut im Atlantik liegen. Die 172 Quadratkilometer große Insel ist etwa 1500 km von Portugal und 3600 km von Amerika entfernt. Politisch zählen die Azoren trotz der großen Entfernung zu Portugal. Während am Mittelatlantischen Rücken die europäische und die amerikanische Kontinentalplatten auseinander driften, liegen einige Inseln der Azoren auf einer kleineren Mikroplatte mit hoher vulkanischer Aktivität. Wer Ruhe und Natur abseits des Massentourismus sucht, für den sind die Azoren ideal. Naturerlebnis statt Nachtclubs und Bier an Strandbars, kleine Hotels statt Bettenburgen und nun auch ein faszinierendes Abenteuer für Trailrunner - was will man mehr?
Nachdem die Veranstalter bereits bei der Premiere im letzten Jahr von der Zahl der Anmeldungen positiv überrascht wurden, kann dieses Jahr mit 189 Finishern auf der Kurzdistanz und 248 Finishern beim Ultra eine 50% Steigerung bejubelt werden.
Unsere 48 km lange Route mit etwa 2000 Höhenmetern durchquert die gesamte Insel.
Wer es kürzer mag, der kann sich auf den 22 km langen "Trail der 10 Vulkane" beschränken. Wegen der besonderen landschaftlichen Reize und vor allem wegen der für uns ungewöhnlichen Vegetation lohnt sich die Reise auf die Azoren sehr. Der Flug nach Faial führt über Lissabon, eine Stadt, in die ich mich bei meinen mehrstündigen Aufenthalten bei der Hin- und Rückreise sofort verliebt habe.
Horta ist ein kleines, ruhiges Städtchen mit etwa 6500 Einwohnern. Vor dem zweiten Weltkrieg diente der gut geschützte natürliche Hafen auch als idealer Landeplatz für Transatlantik-Flüge. Heute ist Horta ein beliebter Treffpunkt für Transatlantik-Segler. Peters Café Sport hat in dieser Szene Kult-Charakter. Für Übersee-Segler zählt es inzwischen auch zur Tradition, am Hafen in Horta ein Bild auf den Kai, eine der Mauern oder anderswo hin zu malen. Überall auf dem weitläufigen Gelände findet man heute viele hundert solcher Gemälde.
Ein kleiner Spaziergang oder Trainingslauf auf die neben dem Hafen gelegene Halbinsel des Vulkans Monte da Guia lohnt sich sehr. Ab 1923 trafen in Horta die Überseekabel zwischen Europa und Amerika zusammen. Damals war man stolz darauf war, mit diesen Kabeln etwa 500 Wörter pro Minute zwischen Amerika und Europa übertragen zu können.
Bis 1982 wurden hier Wale gejagt, heute ist Whale Watching bei Touristen beliebt. Auf einer solchen Tour sehe ich drei verschiedene Wal-Arten, sehr viele Delphine, eine Schildkröte und einige Portugiesische Galleeren, eine sehr giftige Quallenart. Bei einem anderen Ausflug mit einem Glasbodenboot sehe ich unglaublich viele Quallen, Fische, Seesterne, einige Krabben und einen Rochen.
Bei der Startnummernausgabe in einem schönen Art Deco Gebäude zeigt mir Mário Leal, der Veranstalter, auf einem Modell der Insel unsere darauf gezeichnete Strecke. Am Nachmittag steht ein Ausflug zu einer ökologischen Aktion auf dem Programm, bei dem wir am Rande unserer späteren Laufstrecke Bäume pflanzen, gefolgt von einem Imbiss in einem Haus, wo wir auch regionale Produkte kaufen können. Am Abend sehen wir in einem schönen Art Deco Kino einige Trail-Filme. Bei der Pastaparty gibt es am Freitagabend vier verschiedene leckere Sorten Pasta.
Ab Samstagmorgen werden wir mit dem Bus von Horta zu unserem Startort Ribeirinha gebracht. Dieser Ort wurde 1998 bei einem Erdbeben stark zerstört. An manchen Bereichen der besonders erdbebengefährdeten Region wurde der Wiederaufbau der Häuser verboten. Mário und Joao, die sehr sympathischen Veranstalter, haben das ganze Wochenende viel Freude daran, mit uns Läufern zu reden und würden den Teilnehmer mit dem schönsten Bart wohl auch zum Ziel tragen.
Wenn man bedenkt, welch große Probleme viele deutsche Laufveranstalter mit der Streckengenehmigung durch den Naturschutz haben, ist es hier genau umgekehrt: Der Co-Veranstalter Joao Melo ist der Direktor des Naturparks.
Besonders freue ich mich, dass ich hier wieder Edda Bauer treffe, die ich kennen lernte, als sie vor einigen Jahren ihren ersten Ultra lief. Seither konnte sie schon einige sehr exotische Trails erleben, u.a. in Bhutan, Kambodscha und in der Namib-Wüste. Ob sie heute das Ziel erreichen kann, ist leider sehr ungewiss, denn vorgestern verletzte sie beim Abstieg vom Vulkan Pico auf der Nachbarinsel ein Fußgelenk und kann nun nur stark bandagiert starten. Wir lassen uns vor dem Start wie fast alle Teilnehmer vor einigen einheimischen Seniorinnen fotografieren und ich wünsche ihr viel Glück.
Auf Faial lerne ich endlich auch Stefan Schlett kennen, der nicht nur fast 500 Ultras in der DUV-Statistik stehen hat, unter anderem drei Transkontinental-Läufe bewältigte und viele der großen und legendären Ultra-Strecken kennt, sondern auch in anderen Sportarten sehr aktiv ist. Ebenso treffe ich hier Rudolf Nickels und Lukas Malzanini, den weiteren deutschen Startern begegne ich noch nicht.