Hart, aber herzlich
Ganz im Westen, wo man nicht mehr weiss, ob Hunsrück, Pfalz oder Saarland, wo auf der Autobahn (ja, da gibt es eine) alle paar Kilometer ein Willkommensschild für irgendein Bundesland steht - da haben sich recht ursprüngliche Weihnachtbräuche unter Auschluß von ARD und ZDF erhalten.
In diesem, von den Kräften der Natur gesegteten Stück Heimat, haben die endemischen Ureinwohner ein Stück weihnachtliche Kultur am Leben erhalten, die ihresgleichen in ganz Europa sucht.
Es ist ein entbehrungsreiches Land, wo der Opa am 24.12. schon früh morgens die 25 Kilometer nach St Wendel laufen musste, um Unterhosen und wollne Socken zu kaufen. Dann, ist ja logisch, musste unser Opa nachmittags erneut nach St Wendel, weil Oma festgestellt hat, daß Opa die Schallplatte „Weihnachten mit den Fischer-Chören“ vergessen hatte.
Die Oma hatte auch ihre Mühe, die stieg ja mehrfach in den Keller, um Sauerkraut, Kartoffel und selbstgebrannten Schnaps zu holen. Die Eltern dagegen waren auf dem Bärenfelsen, um etwas Proteinhaltiges zu erlegen und die Kinder sammelten das vertrocknete Fallobst von den nassen Wiesen, um etwas für den Nachtisch zu haben. So entstand über die Jahrtausende in der Abgeschiedenheit der schroffen Täler dieser kargen Berglandschaft eine ganz besondere Weihnachtskultur: Die Kultur der Deutschen Weihnachtskenianer!
Kennzeichnend für die Weihnachtskenianer ist der ausgeprägte Läufertrieb um den 24.Dezember. Ja, so ist das, kein Scherz. Und weil die niedrigere Kultur sich immer der höhergestellten anpasst, fahren etwa 80 Kulturinteressierte am 24.12. für den Heiligabendmarathon in diese abgeschiedene Berggegend.
Von den Kleinkulturellen, die 8,5 km oder 800 Meter laufen, reden wir heute nicht. Ich möchte auch nicht, daß der Eindruck entsteht, daß nur Verrückte am 24.12. um 8 Uhr am Start stehen. Nein, da waren auch noch ganz bedauernswerte Menschen: Als wir nämlich neben der Bundesstrasse hoch zum Bärenfels gelaufen sind, da fährt doch so ein frierender Jüngling im offenen Caprio an uns vorbei. Da kamen mir dann doch die Tränen! Da sammeln wir an Weihnachten für die Kinder im warmen Afrika, und diese endemischen Einheimischen hier haben noch nicht einmal ein Dach am Auto!
Ja, so ist das dort, ganz im Westen, total krass! Die Wege, die wir laufen müssen, sind noch nicht mal geräumt! Ich denke: warum zahlen wir eigentlich den Soli, wenn wir hier durch den Tiefschnee stapfen müssen?! MannMannMann. Ich hatte natürlich noch Sommerbeflaggung und bin kaum hoch auf den Bärenfels. Immer wieder zurückgerutscht und hingebrezelt und weggeknickt. Da musste ich ja dann auch noch 4 mal hoch! Naja, es gab Glühwein. Also verzeihe ich dem Entwicklungsminister.
Kann man Nicole verzeihen? Die hatte es ja eilig, für die Bescherung! Die war dann so schnell, dass sie die Kurve nicht gekriegt hat und voll in den Honigkuchen gebretzelt ist, hahaha. Ich habe die Randale unter Tränen fotografiert. Der Nicole war das natürlich peinlich gewesen, weil natürlich so ein paar Kulturwissende meinten, das sei Taktik gewesen. Ich stand da und habe Tränen gelacht, weil es wie früher war, als wir noch richtig auf die Paucke gehauen hatten. Ja so war mein Weihnachten, damals. Aber das Foto ist echt gelungen!
Naja, das war dann auch so mein Highlight, denn ansonsten habe ich schwer gekämpft, sehr schwer.
Im Prinzip war der ganze Lauf grenzwertig gewesen: hart an der körperlich-kulturellen Machbarkeit, aber deswegen war ich ja hier. Als ich dann im Auto saß („Driving home for Christmas“) war ich pausenlos am Grinsen, hatte mir dann gewünscht, irgend so ein Radargerät müsste mich jetzt blitzen. Denn wir sind ja alle so bekloppt! Und erst recht diese Familie Feller, diese Weihnachts-Kenianer! Es war sooooo schöön! Danke, Leute! Hart aber herzlich!
Marathonsieger
Männer
1 Hardenack, Frank Neuenkleusheim 03:14:32
2 Koch, Rainer LG Würzburg 03:21:36
3 Leyendecker, Rainer RSLC Holzkirchen 03:28:211
Frauen
1 Benning, Nicole EK Schwaikheim 04:05:22
2 Hochlenert, Angela LT Hemsbach 04:31:38
3 Johann, Annette TV Rheinzabern 04:42:12
Finisher: 69