„Kennst Du das Land, wo die Zitronen blüh‘n?“ Nicht nur für Goethe war Italien ein Sehnsuchtsort. Auch für uns Trailrunner hat das Land südlich der Alpen einiges zu bieten. Und wie Goethe in Italien die wirkliche, sinnliche Liebe entdeckte, hat mir das Land das Trailrunning endgültig erschlossen. Auf kleinen, familiären Veranstaltungen ist meine Liebe zu diesem Sport gewachsen und hat mich ermutigt, in diesem Sinne selbst etwas von der Freude, die ich hier erleben durfte, bei eigenen Veranstaltungen zurück zu geben.
Die südlichen Alpen glänzen dabei mit einer Vielzahl von Rennen, wobei der Gardasee für meinen Geschmack eine besondere Rolle spielt. Nirgendwo sonst gibt es diese einzigartige Mischung aus harten Trails und Dolce Vita. Im Westen bieten die steilen Flanken um Limone die perfekte Spielwiese für kurze, harte Sky-Races. Der BVG-Trail verbindet die malerischen Orte auf der Hochebene mit dem schmalen Küstenstreifen. Am Nordufer gibt es den Garda Trentino Trail, der die kleinen Gebirgsseen miteinander verbindet. Und bei allen Rennen schaut man irgendwann auf den hohen, langen Bergrücken im Osten, den Monte Baldo.
Oft noch schneebedeckt, im Winter Skigebiet, wird der Monte Baldo im Sommer stark von Wanderern, Mountainbikern und Gleitschirmfliegern genutzt. Eine Seilbahn macht es einfach, die enorme Höhendifferenz zwischen der Startrampe auf dem Hochplateau und dem Landeplatz in Malcesine am Seeufer zu überwinden. Und gleich zwei Laufveranstaltungen erschließen den Bergrücken. Im Mai startete in diesem Jahr erstmals der Malcesine Baldo Trail und jetzt im Oktober gibt es bereits die zweite Auflage des Baldo Trailfestes. https://www.trailrunning.de/laufberichte/malcesine-baldo-trail/zwischen-himmel-und-hoelle/4256
Der Oktober-Termin passt für mich perfekt. Montag ist Feiertag und ich hänge gleich noch 2 Tage Freizeit aus Überstunden dran. Außerdem findet in Bardolino das Fest der Traube statt. Bei diesem Programm kann ich auch meine Frau überzeugen, mitzukommen. Ein wenig steckt mir noch der Dolomiti die Brenta Trail in den Knochen, den ich vor drei Wochen gefinisht habe, aber beim Baldo Trailfest stehen nur 46 Kilometer an.
Wir reisen freitags an, erreichen den Gardasee aber erst am späten Abend. Viele Touristen nutzen das lange Wochenende und verstopfen die Route über den Gottardo. Wir haben ein Hotel im idyllischen Torri del Benaco gebucht. In Bardolino war wegen des Weinfestes alles belegt.
Der Samstag weckt uns mit Sonnenschein. Heute steht Sightseeing auf dem Programm. Wir schlendern über die Strandpromenade und genießen die sommerlichen Temperaturen. Am Nachmittag fahren wir zum Start nach Caprino Veronese, was übersetzt passenderweise „Veronesische Ziege“ bedeutet und schon mal erahnen lässt, um was es morgen geht. Die Startnummern gibt es im benachbarten Affi. Zuerst besuchen wir aber die Felsenkirche Madonna della Corona im Nachbarort Spiazzi. Ein steiler Spazierweg führt hinunter zu dem Sakralbau, der förmlich an der Felswand zu kleben scheint. Ich überlege, ob ich sicherheitshalber eine Kerze für den morgigen Tag anzünden soll, aber Training ist ja bekanntermaßen für Anfänger und 46 Kilometer sollten gehen.
Am Sonntagmorgen stehe ich um halb sieben mit etwa 100 anderen veronesischen Ziegen an der Startlinie am örtlichen Sportplatz. Es ist noch dunkel, aber die Sonne lauert schon hinter den Bergen und zaubert eine wunderschöne indirekte Beleuchtung in den Morgenhimmel. Ich gehe vor dem Start die Eckdaten nochmal durch. Die ersten 10 Kilometer haben knapp 1000 Höhenmeter, von Kilometer 10 bis 20 kommen nochmal 500 dazu. Außerdem geht es 500 Meter steil nach unten. Nach der Verpflegung wird es dann happig. 1055 Höhenmeter auf den nächsten 5 Kilometern. Da bin ich mal gespannt. Immerhin geht es dann ohne größere Steigungen bis ins Ziel nur noch abwärts.
Alle 10 Kilometer gibt es eine Verpflegung, außerdem bei Kilometer 25 nach dem Monsteranstieg. Das kann ich mir gut merken für die Renneinteilung, zur Not habe ich mir die Strecke auch auf die Uhr geladen und das Höhenprofil mit den Verpflegungspunkten steht praktischer Weise auf der Startnummer. Ich muss heute nur ins Ziel kommen, um bester Deutscher zu werden. Aus dem Ausland hat es außer mir noch einen Rumänen und einen Portugiesen hierher verschlagen. Ansonsten nur Locals. Die Läuferinnen und Läufer um mich herum sehen alle so aus, als ob sie das Ding hier sonst mal kurz vor dem Frühstück laufen. Alle sind sehr entspannt. Man kennt sich und freut sich auf das gemeinsame Abenteuer.
Pünktlich um sieben Uhr wird nach einer kurzen Streckenbeschreibung auf Italienisch und Englisch gestartet. Es ist jetzt einigermaßen hell. Wir laufen durch den Ort, der noch schläft. Die wenigen Passanten klatschen Beifall und wünschen uns alles Gute. Ich bleibe kurz für ein Foto stehen und schon bin ich Letzter. Zuerst auf schmalen Straßen, geht es schließlich auf kleinen Wegen zwischen Olivenbäumen hindurch, bis wir die letzten vereinzelten Häuser hinter uns lassen und in den Wald eintauchen. Der Boden ist noch nass vom Regen der letzten Tage, die Steigung ist moderat, von ein paar steilen Rampen abgesehen.
Wir laufen kurze Strecken auf Fahrwegen, um dann auf kleinen steilen Single Trails abzukürzen und schnell Höhe zu machen. Wir treffen immer wieder Jäger, die mit ihren Flinten darauf warten, dass die Hunde ihnen das Wild vor die Büchse treiben. Laufend hört man Schüsse und danach das Bellen der Hunde. Nach dem ersten Bergrücken fällt mein Blick auf den Gardasee, der ab jetzt links von uns der ständige Begleiter ist. Die Bäume sind in den Hintergrund getreten und wir durchqueren eine Weidelandschaft. Vor uns das Baldo-Massiv, im Westen die Bergdörfer oberhalb von Limone und im Norden der Alpenhauptkamm, der mit seinen weißen Bergspitzen zum Greifen nahe scheint. Ich kann im Aufstieg einige Plätze gut machen und bin froh, dass ich keinen Stress mit dem Cutoff habe. Zwölfeinhalb Stunden hat man Zeit für die 46 Kilometer.
An der ersten Verpflegung nehme ich einen Becher Tee und bestaune den Morgenhimmel. Wolken und eine Nebelbank tauchen die Landschaft im Westen in ein unwirkliches Licht. Wir sind auf 1500 Metern angelangt und es ist auch in der Sonne noch frisch. Wir laufen ein Stück über ein Hochplateau, bevor es in den ersten Downhill geht. Aber der währt nur kurz. Wir steigen wieder auf und erreichen die Mittelstation der Seilbahn auf den Monte Baldo. Nach einem schönen Panoramatrail mit Blick auf die schneebedeckten Alpen, geht es steil nach unten. Sehr steil. Erst über eine Weide, dann durch den Wald, auf abenteuerlichen, schmalen Trails. Rechts verengt sich der Berg zu einer tiefen Schlucht ins Valle di Prada. Jetzt bloß nicht an einem der vielen Steine hängen bleiben. Es ist rutschig und ich merke, dass ich zu sehr verkrampfe. Die Einheimischen schlendern hier locker runter, aber dazu fehlt mir wohl auch die Kraft in den Beinen.
Schließlich treffen wir auf eine kleine schmale Straße. Gut gelaunt empfängt uns der Verpflegungsposten. Es ist jetzt richtig warm in der Sonne und so fülle ich meine Flaschen auf, kommt doch jetzt das Sahnestück. Mehr als 1000 Höhenmeter gilt es auf den nächsten 5 Kilometern zu erklimmen. Wir folgen ein Stück der Straße, um dann auf den Wanderweg zum Refugio und dem Cima Telegrafo abzubiegen. Es geht steil hoch. Wir kreuzen zu Anfang noch ein paarmal einen Fahrweg, dann geht es in Serpentinen über Geröll. Der Bewuchs wird jetzt spärlich. Die Sonne brennt in der windgeschützten Schlucht, deren Steilwand wir uns emporschrauben. Am Berg hören wir eine Glocke und Anfeuerungsrufe. Wir sind aber erst bei 550 Höhenmetern. Gut gelaunt schickt uns ein Streckenposten in die haarigste Passage des Rennens.
Oft ausgesetzt und mit einigen Kletterpassagen winden wir uns die nächsten 300 Höhenmeter den Berg hoch. Oft geht es nur auf allen Vieren. Immerhin helfen Ketten oder Seile an den schwierigsten Stellen. Schwindelfreiheit ist hier absolute Bedingung. Nach der Steilwand geht es ein Stück um die Bergflanke herum und vor mir liegt die Hütte und das mächtige Massiv des Monte Baldo. Ich gönne mir ein Bier an der Verpflegung am Refugio, bevor ich die letzten Höhenmeter zum Gipfel in Angriff nehme.
Am Gipfelkreuz habe ich den höchsten Punkt des Rennens mit 2200 Metern erreicht. Ein fantastisches Panorama umgibt mich. Die kalten Fallwinde aus dem Norden blasen mir heftig um die Ohren und es ist recht kalt, trotz Sonne. Unter mir sehe ich den weiteren Weg, der abenteuerlich einem Grat folgt. Etwas holprig geht es in den Windschatten. Eine Gämse kreuzt meinen Weg. Kurz bleibt sie stehen und schaut verdutzt auf die Eindringlinge. Wahrscheinlich wundert sie sich, warum die bunten Zweibeiner so umständliche Wege nehmen.
Wir laufen jetzt eine Runde um das Baldo Massiv. Steinig und von wegen nur noch bergab. Erst geht es mal wieder berghoch auf einen Aussichtsgipfel, den ich mir mit vielen Wanderern teile, die mit der Seilbahn angereist sind. An deren Bergstation befindet sich die nächste Verpflegung. Zu viel Betrieb. Schnell ziehe ich weiter. Vor und hinter mit sind jetzt nur noch Wanderer. Ich laufe bergab, entlang eines Grates, bevor es wieder richtig steil runtergeht. Aber schon bald ist es nicht mehr so steinig und ich trabe über Weiden und Wiesen ins liebliche Tal.
An der letzten Verpflegung nehme ich wieder ein Bier. Die gutgelaunte Truppe bietet mir auch noch einen Wein an. Ich will nicht unhöflich sein und nehme auch diesen. Noch ein Stückchen Käse und weiter geht es auf den letzten Abschnitt. Die Strecke verläuft jetzt recht flach, meist auf Fahrwegen oder angenehmen Wanderwegen durch den Wald. Einzelne Höfe kündigen Caprino an. Kleine Wasserfälle und eine Bewässerungsrinne bieten eine willkommene Erfrischung.
Ich genieße die sommerlichen Temperaturen, steht doch zu Hause bereits der kalte Winter vor der Tür. Ich sammele einen Läufer ein, der mit Krämpfen Probleme hat. Gemeinsam erreichen wir den Ort. Eine steile Treppe zwingt meinen Begleiter nochmal zu einer Dehnpause. Ein letzter Blick zurück auf das Monte Baldo Massiv und wir sind im Ziel. Meine Frau erwartet mich schon. Ich nehme noch ein Finisher-Bier und eine fabelhafte Portion hausgemachter Gnocchi. Als Finisher Präsent gibt es statt Medaille eine Startnummer, die von den Schulkindern hier gemalt wurde.
Eine wunderschöne Reise ist zu Ende. Einmal rund um das Monte Baldo Massiv bei besten Bedingungen. Klein aber fein haben die veronesischen Bergziegen hier eine wunderbare, herzliche Veranstaltung geschaffen. Sehr empfehlenswert!
Fazit
Als Sehnsuchtsort ist der Monte Baldo mit seinen Trails also vorzüglich für Läuferinnen und Läufer geeignet. Wer weiß, vielleicht hat Goethe, der einige Zeit in Torbole am nördlichen Seeufer verbrachte, den letzten Vers seines Gedichtes mit Blick auf diesen Berg verfasst?
Kennst Du den Berg und seinen Wolkensteg?
Dahin, dahin geht unser Weg.
Big Baldo
46km / 2.900 Hm
Zeitlimit 12:30 Stunden
3 Punkte bei der ITRA,
Qualifier Race für den UTMB 50K
Little Baldo
28km / 1.350 Hm
Zeitlimit 7 Stunden
2 Punkte bei der ITRA. Qualifier Race für den UTMB 20K
Easy Baldo
15km / 650 Hm
Ohne Wettbewerbscharakter. Anmeldung vor Ort.
Start und Ziel ist in Caprino Veronese. Der schöne Ort liegt umgeben von Weinbergen und Olivenhainen etwa 9 Kilometer östlich des Gardasees. Die Wegbeschaffenheit ist auf weiten Strecken alpin. Schnee ist um diese Zeit keine Seltenheit auf dem Monte Baldo. Entsprechende Kleidung gehört daher zur Pflichtausrüstung. Ich hatte 200 Höhenmeter mehr auf derUhr, als in der Beschreibung angegeben.
Die Webseite gibt es nur in Italienisch und die Infos beschränken sich auf das Wesentliche (Regeln und Strecke). Fragen werden auf Facebook aber schnell in Englisch beantwortet.