Wenn ich loslaufe, komme ich auch an. Dieses eherne Gesetz galt bis zum 18. Juni 2011, als ich bei der Premiere des Marathons am schönen Biggesee startete.
Nach mehreren heftigen Tagen „Magen-Darm“ war ich allerdings so platt, daß ich schweren Herzens kurz nach der Hälfte aussteigen mußte. Diese Scharte war natürlich auszuwetzen, daher stand ich ein Jahr später erneut an der Startlinie, um mich bei der Mitte des Rennens so zu verlaufen, daß ich den richtigen Weg nicht mehr finden konnte und ein zweites DNF kassierte. Ich war bedient und das Thema Biggesee für mich erledigt, obwohl es unzweifelhaft ein schöner Landschaftslauf ist.
Dann lese ich Anfang Mai in der Pressemitteilung der WAZ unter anderem: „Damit sich die Sportler auf den Wegen um Attendorn nicht verlaufen, sind die Strecken einheitlich mit roten Kunststoffstäben am Wegesrand markiert.“ Aha, da ist mein Gemecker wohl doch angekommen, wo es ankommen sollte. Da man also derart um mein Wohlergehen bemüht ist und ich nach Attendorn nur gute anderthalb Stunden zu fahren habe, ist mein Entschluß schnell gefaßt: Der Lauf bekommt seine dritte Chance. Vielleicht gehe ich vorher auch noch zum Optiker, um ein ungetrübtes Blickfeld sicherzustellen.
Zweimal war es – Entschuldigung! – saukalt und schiffte teilweise, was das Zeug hielt, heute haben wir endlich einmal vernünftiges Wetter: Nach der brutalen Hitze der ersten Wochenhälfte und den teils sintflutartigen Regenfällen vom Donnerstag sind wir bei rund 20° angekommen, für mich die absolute Wohlfühltemperatur zum Laufen. Und zum Wohlfühlen ist auch die Strecke, denn an der hat Organisator Rolf Kaufmann mit seinem Team deutlich gefeilt. So sind einige Straßenkilometer schönen Waldwegen und Trails zum Opfer gefallen. Damit, so denke ich, können wir sehr gut leben, denn das Naturerlebnis steht im Gegensatz zu so manchem Stadtkurs deutlich im Vordergrund.
Sichtlich unangenehm sind den Veranstaltern die Verlaufer einiger Teilnehmer vom letzten Jahr, denn sie nehmen sich viel Zeit, die Läufer um sich zu scharen und die Streckenauschilderung zu beschreiben. Seit Montag bereits sind sie vor allem die roten Kunststoffstäbe am Setzen, die irgendwelche Hirnamputierte schon wieder großflächig geklaut haben. Wie blöd kann man eigentlich sein? Mir fällt ein junger Läufer auf, der im Gespräch mit Bekannten fallen läßt, daß dies sein erster Marathon sein wird. Fast bin ich schon geneigt, ihn ungefragt an meinem Erfahrungsschatz teilhaben zu lassen, verkneife mir das aber. Als der Knabe später bei der Siegerehrung als Letzter aufs Treppchen gerufen wird, weil er das Ding mit riesigem Vorsprung gewonnen hat, bin ich froh, die Klappe gehalten zu haben.
Kurz vor dem Start streikt noch meine SD-Karte, und ich sehe mich schon bildlos berichten. Ich vertraue mich den Veranstaltern an, die zwar selber nicht helfen können, aber mich zum Ausrichter der kleinen Messe, den Inhaber von Sport-Sauerland, Peter Schneider, schicken, der mir seine leiht. Lieber Peter, nimm nochmals meinen Dank auch schriftlich entgegen, Du hast mich echt gerettet! Ich hoffe, sie ist inkl. des Freistarts beim Malberglauf schon wieder bei Dir angekommen.
Gleich nach dem Start geht’s ordentlich aufwärts, wie ein Schild auch deutlich ankündigt. Für diejenigen, die es sonst nicht gemerkt hätten, durchaus hilfreich. Zwei grazile, im Gleichschritt pferdeschwanzwippende sehr nette Rückansichten weiblichen Geschlechts stechen mir ins Auge. Noch sind wir am Anfang des Rennens und ich bin durchaus empfänglich für solche visuellen Eindrücke. Es scheint sich um Schwestern zu handeln, sie sind sich sehr ähnlich. Selbstverständlich habe ich es mit dem Überholen nicht sonderlich eilig. Als ich im späteren Verlauf mitbekomme, daß es sich um Tochter und Mutter handelt, fällt mir nur eines ein: Respekt! Vor allem auch, weil mich Letztere, der dieser Repekt gilt, schamlos stehen läßt!
Die Wege bisher sind teils weich, aber trotzdem gut zu belaufen. Später wird es auf grobem Schotter auch ein paarmal haarig. Kaum sind fünf Kilometer gelaufen, begrüßt uns für die nächsten knapp zwei ein Supertrail, genauso, wie man sich das vorstellt: Schmal, gewunden, von Wurzeln durchsetzt, jawoll! Lustvoll überspringe ich eine Pfütze nach der anderen, aber aufpassen muß ich schon. Zum Fotografieren ist es hier leider zu dunkel. Die klare Luft läßt grandiose Fernsichten zu, immer wieder reicht der Blick weit ins Land. Ein Straßenübergang wird von der Reservistenkameradschaft gesichert, das schwarze Panzerbarett weckt zarte Erinnerungen an lange vergangene Zeiten. Genau genommen war es sogar ein Panzerjägerbarett. Ja, Du einstmals stolze Panzertruppe, wo bist Du geblieben? Na ja, wahrscheinlich ist es besser so.
„Bißchen Sprit?“, ruft mir einer der drei Wanderer zu. Na also, wo kämen wir denn da hin? Obwohl – warum eigentlich nicht? Und schon habe ich die Dose am Hals. Habt Ihr vielleicht Schwein, daß ER nicht da ist! ER hätte die Dose ordnungsgemäß geleert zurückgegeben.
Die km gehen ins Land, Natur, Natur und noch einmal Natur. Schön ist es! Idyllische Bilder von blühenden Wiesen und grasenden Kühen brennen sich ins Gedächtnis ein. Das gibt einem ein Stadtmarathon nicht. Aber die mag ich auch, das ist ja das Schlimme! Gut, daß man beides abwechselnd rennen kann. Nach zwei Teilnahmen wohlbekannte km bei +/- 10, prima Verpflegung, die Sonne scheint, der Herr Bernath fühlt sich pudelwohl. Ein Mountainbike flitzt von hinten heran, in Reichweite der erste Halbmarathonläufer. Stilistisch eher 1c als 1b, aber sauschnell ist er und hat bereits einen großen Vorsprung herausgelaufen.
Das Wohlfühlen setzt sich fort. Hier eine tolle Wiese, dort ein netter Waldsee, und ah, da sind ja „meine“ Mädels wieder! Die Tochter hat heute Premiere und sieht noch gut aus. Das wird sich aber später leider ändern, denn die Mama übergibt sie irgendwann dem Vater, der sie aber, wenn ich das richtig gesehen habe, auch nicht ins Ziel bringen kann. Nicht darüber grämen, Du hast ein ganzes Marathonleben noch vor Dir.
Die Burg Schnellenberg, erstmals in der prallen Sonne gesehen, ist ein Traum und wunderbares Motiv. Direkt dahinter geht ein Trail steil nach unten zur Bigge. Hey, bei vernünftigem Wetter kann man den ja laufen, anstatt Harakiri zu schliddern! Der Weg entlang der Bigge mit anschließenden Bergaufserpentinen bin ich schon ziemlich einsam, muß also aufmerksam nach dem Weg sehen. Aber kein Problem, die Markierung ist gut und noch kenne ich den Weg ja.
Am Attendorner Knast („JVA Ewig“ - welch ein Name!) erfreut uns eine Verpflegungsstelle. Die Justizvollzugsanstalt, wie es korrekt heißt, konnte erstmals als Helfer gewonnen werden und Leiter Rainer Wisniewski, passionierter Langstreckenläufer, steht höchstselbst mit hochwillkommenen Erfrischungen für uns Sportler am Haupteingang. Zur JVA Attendorn gab es in den vergangenen beiden Jahren ja schon immer etwas zu berichten, diesmal sind es nicht z.B. die exorbitanten Baukosten. Im Internet war kürzlich über das „Aus für rosa Barbie-Zimmer im Knast“ zu lesen. Nach einer Testphase zeigte sich nämlich auch die JVA Attendorn enttäuscht von der beruhigenden Wirkung, die der Farbton "Cool Down Pink" in Gefängniszellen angeblich entfaltet. Diese sollte den harten Jungs den Start in ein geordnetes Leben versüßen, was allerdings wohl gründlich daneben ging, denn die Gewaltausbrüche in den Zellen gingen nicht wie erwünscht zurück. Also wird wohl bald wieder geweißelt.
Dann wird’s ernst, hier hat es mich wohl im vergangenen Jahr zerrissen. Extra für mich (bilde ich mir ein) steht ein Schild: „Hier rein“ mit zusätzlichem Pfeil. Gott sei’s geklagt, heute sehe ich es. Und so laufe ich an Neu-Listernohl vorbei, anstatt mitten durch. „Der nächste Weg wird Dir gefallen“, sagt mein Mitläufer, „den kennst Du ja noch nicht.“ Himmel, ist das peinlich! Na ja, das Netz vergißt nichts. Auch wenn es für uns alle Neuland ist, wie „Mutti“ letztens meinte.
Es ist wirklich schwer steil und lang, nicht zum letzten Mal schalte ich in den Schongang und gehe. Nach gut 25 km gibt es tatsächlich einen kleinen Stau an der Verpflegungsstelle, aber der ist bereits hochwillkommen, kann man doch ein paar Sekunden stehenbleiben, ohne sich schämen zu müssen. Noch lasse ich Cola aus, aber nicht mehr lange. Dann bin ganz alleine auf einem parallel zur Landstraße verlaufenden, zugewachsenen Pfad. Rechts, links, da ist die Markierung, Hallelujah! Und ein Mädel als Streckenposten, einsam auf einem Stuhl, mitten im Wald. Rotkäppchen war’s nicht, der Wolf(gang) hat’s auch nicht gefressen.
Km 35, es wird zäh, aber das ist ja immer so und bei mir überwiegt die Befriedigung, heute zur Abwechslung mal anzukommen. Ein letztes Mal gibt’s Atzung – Cola, Cola, Cola -, und dann weiß ich zum Beginn eines letzten Trails genau, wo ich bin. Nämlich bei km 38, den bin ich im letzten Jahr schwer frustriert falsch herum hochgelaufen, hier habe ich die schwere Entscheidung getroffen, aufzugeben. Der Vorteil: Ab hier kenne ich jeden Meter! Die Brücke über die Straße, die überquerte Eisenbahn, der Leuchtturm, der Biggesee. Ja, tatsächlich, das Ankommen ist nicht mehr zu verhindern.
Ein finaler km wird noch um den See geschlurft, dann bin ich am Strandbad, wohin heute erstmals Start und Ziel verlegt wurden. Mir fällt ehrlich ein Stein vom Herzen und sofort werde ich mehrfach gefragt, ob ich denn alles gefunden und wie es mir gefallen hätte. Klasse war’s, ehrlich, ein superschöner Landschaftslauf (dieser Eindruck ist nicht aufgrund des Ankommens entstanden!), aber auch echt hart: Die ausgeschriebenen 770 Höhenmeter sind bei barometrischer Messung auf 913 gewachsen, das ist schon ein Brett. Aber das wollen wir ja, und bei mir ist hinsichtlich kommender Aufgaben kein Höhenmeter zu viel.
Im Ziel gibt es Freibier von Krombacher, über das sich die Helden in „Asterix bei den Briten“ hoch erfreut gezeigt hätten: Lauwarme Cervisia! Also, lieber Sponsor, eine lange Anfahrt ist keine Ausrede, für so etwas gibt es anderswo Kühlwagen. Trotzdem werden ein paar Becher geleert, der Flüssigkeitsbedarf ist enorm. Fünf Minuten nach meinem Zieleinlauf bekomme ich noch die Siegerehrung mit und Rolf ist doppelt froh, nein, dreifach: Alles gut gelaufen, der Depp der vergangenen beiden Jahre im Ziel und die eigene Gattin zweite Dame, was will man mehr.
Liebe Leute, hundertzwanzig Marathoner sind eindeutig zu wenig, der Lauf hat eine wesentlich bessere Beteiligung verdient. Also: Im nächsten Jahr nach Attendorn!
Startgeld:
Für den Marathon 22 € je nach Anmeldezeitpunkt plus 4 € bei Meldung am Veranstaltungstag
Wettbewerbe:
Marathon, Halb- und Viertelmarathon
Rahmenprogramm:
Kleine Sportartikelmesse unter freiem Himmel
Streckenbeschreibung:
Rundkurs mit 913 Höhenmetern, Zeitlimit 6 Stunden.
Auszeichnung:
Medaille, Urkunde aus dem Netz.
Logistik:
Alles Erforderliche nahe beieinander.
Verpflegung:
Wasser, Iso, Cola, Snacks und Obst ca. alle 5 km an der Strecke, umfangreiche Läuferversorgung im Zielbereich.
22.06.14 | Big, bigger, Biggesee |
Klaus Klein |