Dass ich meinen 50. Ultramarathon ausgerechnet bei der Deutschen Meisterschaft der DUV im Ultratrail laufe, ist ein netter Zufall. Aber obwohl ich heute für meinen Verein starte, weiß ich, dass ich zur Mannschaftswertung aufgrund meines Tempos kaum beitragen kann. Egal, ich will einfach nur so gut es geht vorankommen und ein paar schöne Stunden in der Natur verbringen.
In den letzten Jahren hat es sich herumgesprochen, dass der Bilstein Marathon eine gut organisierte Veranstaltung mit familiärer Atmosphäre ist. Bereits Anfang Dezember, also vier Monate vor dem Start, waren dieses Mal alle 600 Startplätze ausgebucht, darunter die Hälfte für den Ultramarathon. Mehr Teilnehmer sollen es auch zukünftig nicht werden, denn hier geht es nicht darum, mit einem großen Event Geld zu verdienen. Hier zählt nach wie vor der Spaß am Laufen und am Laufen lassen.
In diesem Jahr wurde die Ultradistanz als Austragungsort für die Deutsche Meisterschaft der DUV im Ultratrail gewählt und auf 65 km mit 1750 Höhenmetern erweitert. Das Zeitlimit beträgt dafür 9 Stunden. Neben der Ultradistanz gibt es natürlich nach wie vor den Marathon (1100 Höhenmeter, Limit 7 Stunden), Halbmarathon und Wandermarathon.
2011 veranstaltete der extra für diesen Lauf gegründete Verein sport4you hier erstmals einen Marathon. Gerno Semmelroth wollte mit dieser Veranstaltung seinen "Marathongeburtstag", also 42 Jahre und 195 Tage feiern und fand Unterstützung durch einige Freunde. Für die erste Ausgabe 2011 meldeten sich 250 Läufer an. 2013 kam dann die Ultradistanz dazu, heute die Deutsche Meisterschaft. Tja, so ist es mit Festen, manche haben langfristigere Nachwirkungen, als man sich je geträumt hätte.
Kleinalmerode liegt etwa 30 km östlich von Kassel bzw. 25 km südlich von Göttingen. Das Dorf mit 855 Einwohnern wurde 1974 in die 6 km entfernte Kleinstadt Witzenhausen eingegliedert., in der es gute Übernachtungsmöglichkeiten für die Läufer mit weiter Anreise gibt und das man auch von Kassel aus mit kurzer Bahnfahrt erreichen kann.
Die Startnummernausgabe ist Samstagabend im leerstehenden Gebäude eines ehemaligen Supermarkts. Für Marathonis geht es sehr schnell, aber wir Ultras stehen über eine halbe Stunde in der Schlange. Zum Glück regnet es gerade nicht. Danach geht es ins Bürgerhaus zur „Nudel satt Party“. Diese trägt ihren Namen zu Recht. Wer hier hungrig raus geht, der ist selbst schuld.
Joe Kelbel hätte laut Ankündigung bei der Party aus seinem neuen Buch „100 km für ein Bier“ lesen sollen, zeigt uns mit Beamer auf einer Leinwand aber lieber viele Fotos von Laufveranstaltungen in Marokko. Lesen kann ja jeder selber.
Am nächsten Morgen kann man im Bürgerhaus an einem riesengroßen Kuchen-Buffet satt essen. Da es draußen zwar trocken, aber für die Jahreszeit ungewöhnlich kalt ist, bleiben die meisten bis unmittelbar vor dem Start drinnen. Um 7.30 dürfen die Marathon-Wanderer los. Kurz vor 8 schlendern auch wir Ultraläufer nach draußen. Neben der Startlinie stehen zwei regionale Kirschenköniginnen. Ich glaube, bei der Witterung wären sie auch lieber drinnen beim Kuchen geblieben.
Doch insgesamt haben wir heute Glück mit dem Wetter. Noch vor drei Tagen wurde für heute Dauerregen angekündigt. Stattdessen bleibt es die ganze Zeit über zwar kühl und stark bewölkt, aber trocken und nahezu windstill.
Schon kurz nach dem Startschuss laufen wir aus dem Ort hinaus auf einen Berghang. Die weite Rundsicht wird verziert durch blühende Sträucher und Obstbäume.
Die Region um Witzenhausen gilt als größtes geschlossenes Kirschenanbaugebiet Europas. Kein Wunder, dass die Wahl der Kirschkönigin und eine ganze Reihe von jährlichen Events rund um dieses Thema hier große Bedeutung haben. Sicherlich liegt es aber nicht an den Kirschen, dass hier 1983 die Biotonne erfunden wurde.
Trotz kaltem und trüben Wetter weckt die Landschaft Frühlingsgefühle. Endlich färbt sich der Wald wieder grün! Und den ganzen Tag über umgeben mich Wälder und Wiesen, kein Großstadtmief, keine Industrie, keine Einkaufszentren und Vorstadtsiedlungen. Einfach nur die Seele baumeln lassen!
Nach einer Weile verlassen wir den breiten Feldweg. Ein kurzer Trail führt bergauf, dann geht es auf harmlosen Forstwirtschaftswegen mal bergauf, mal bergab. Alle fünf Kilometer steht eine Entfernungsangabe am Streckenrand. 5 km in 30 Minuten, das ist für mich bei dem Streckenprofil eigentlich zu schnell. Da muss ich Tempo raus nehmen, sonst werde ich es später büßen. Egal ob Meisterschaft oder nicht - vor allem das Ankommen zählt für mich.
Die Deutsche Ultramarathon-Vereinigung (DUV) ist ein Verein, der 1985 gegründet wurde, um den Ultramarathon in Deutschland zu fördern. Heute ist die DUV mit über 1600 Mitgliedern die weltweit größten Organisation der Ultramarathonläufer. Unter anderem führt sie Meisterschaften in Laufdisziplinen durch, für die sich der DLV nicht zuständig fühlt, also 50 km, 100 km, 6-Stunden und 24-Stunden Lauf sowie Ultratrail.
Die DUV organisiert diese Läufe natürlich nicht selbst, sondern vergibt die Meisterschaften an bewährte und erfahrene Vereine bzw. Veranstalter. Bei den Meisterschaften im Ultratrail will man abwechselnd Strecken anbieten, die auch für nicht so trailerfahrene Landschaftsläufer ideal sind, so wie heute beim BiMa. Nächstes Jahr wird es dann wieder eine technisch anspruchsvollere Strecke mit sehr vielen Höhenmetern geben.
Neben den Meisterschaften ist die DUV aber auch in anderen Bereichen für Freunde langer Strecken bedeutsam. Der Veranstaltungskalender zeigt jährlich viele hundert Läufe in allen Kontinenten. In der DUV-Statistik findet wohl jeder, der in den letzten zwei Jahrzehnten einen Ultra gelaufen ist, seinen Namen und das Ergebnis in der Datenbank. Hier wird jeder Lauf mit offizieller Ergebnisliste ab 45 km Länge erfasst, also keine privaten Gruppen- oder Trainingsläufe. Nach dieser Tabelle werde ich heute meinen 50. Ultra schaffen. Als ich 2008 beim Fidelitas-Nachtlauf zum ersten Mal eine Ultradistanz lief, hätte ich mir nie träumen lassen, dass acht Jahre später in meiner Biographie genau doppelt so viele Ultras wie Marathons stehen würden.