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06.04.14 - Bilstein-Marathon

Premiumlauf durchs Kirschenland

Wenig später traf ich - nicht minder überrascht – auf Joe Kelbel. „Ich werd nachher den Halben laufen“, rief er mir zu. Respekt, zumal ich um seinen Achillessehnenriss Bescheid wusste. Dann überholte mich Timo. „Hey, es wird immer wärmer, wir laufen gerade an meinem Auto vorbei. Willst nicht fix Deine Jacke in Kofferraum werfen?“, schlug er mir vor. „Verdammt gute Idee“, dachte ich bloß, denn in der dünnen Jacke fing ich längst an zu ölen.

 
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Der Nebel hatte sich mittlerweile gänzlich verzogen. Vorbei an blühenden Kirschbäumen erreichten wir dann nach gut 15 KM den VP am Sporthaus. Ich kippte mir ein paar Becher Wasser in den Rachen, denn der knallharte Aufstieg zum Bilstein stand uns nun bevor.

Beinahe ununterbrochen ging es bergauf. Während Timo wie eine muntere Bergziege vor mir her lief, erkannte ich schnell, was ihn beschäftigte. „Na komm, Timo, zieh endlich durch“, rief ich ihm zu. „Ach was“, entgegnete er. „Wir laufen so lange wie möglich zusammen. Noch sind wir schnell genug, um das Ganze in sechs Stunden zu finishen. Darauf hätte Ich Lust, müsste machbar sein, liegen noch gut in der Zeit“, nickte er mir zuversichtlich zu.

 
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Wir erreichten bereits nach wenigen Kilometern den Gebirgspass „Umschwang“, wo ein weiterer Verpflegungspunkt auf uns wartete. Von der Schutzhütte hat man einen guten Blick Richtung Osten, bis zum heutigen Dreiländereck Hessen–Niedersachsen–Thüringen. Bei schönem Wetter und einem Fernglas in der Hand soll sogar der Brocken zu sehen sein.

Kameltreiber Timo wollte jedoch lieber Höhenmeter fressen, ich am liebsten eine Weile dort bleiben und Fotos schießen. „Und weiter geht’s“, klatschte er in die Hände. Der Typ ist schon der Knaller. Am Vorabend hatte er mir erzählt, das er im nahegelegenen Bergpark Wilhelmshöhe Autoreifen hinter sich herzieht. „Gern auch mal zwei Reifen, wird dann bloß Tricky, wenn du mit denen irgendwo im Gestrüpp festhängst und dich wieder losreißen musst“, ergänzte er.

Bei Kilometer 24 erreichten wir dann den nächsten VP Abzweig 3er Hütte. Der Veranstalter hatte sich hier ein besonderes Schmankerl einfallen lassen: die Ultraläufer sollten eine knapp zwölf Kilometer lange Extraschleife in den südwestlichen Kaufunger Wald drehen, mit Besuch der Niestequelle, des Steinbergsees und netten Trails mit Treppen und Wurzelpassagen. „Timo, hast Du Taschentücher dabei? Ich muss mal“ – „Nee, aber Toilettenpapier…wieviel brauchste?“. Er drückte mir ein paar Lagen in die Hand und wir verabschiedeten uns – ich mitten rein ins Gebüsch, er Richtung Bestzeit. Ich war mir ziemlich sicher, dass er sein Ding durchziehen würde und wünschte ihm viel Erfolg!

Die Nieste, Nebenfluss der Fulda, entspringt im nordhessischen Werra-Meißner-Kreis im Kaufunger Wald. Nach einem kurzen Trail stand ich bereits an besagtem Bachbett und bewunderte die leuchtend rote Farbe der Quelle, was auf den hohen Eisengehalt des Gesteins zurückzuführen ist.

Viele herrliche Premiumwanderwege führen durch den Kaufunger Wald und aktuell wandelte ich auf einem dieser mit Wurzeln durchsetzten Pfade, welche mit dem Deutschen Wandersiegel ausgezeichnet wurden. Das Wandersiegel steht für eine besondere Qualität in Bezug auf Wegeformat und den Besonderheiten an Natur und Kultur entlang des Weges. Das Wandersiegel wird durch das Deutsche Wanderinstitut verliehen, alle drei Jahre werden die Wege durch das Institut erneut geprüft.

Während Fichtenzapfen unter meinen Schuhen knirschten, lief ich des Öfteren schiefe, kleine Treppen hoch und runter, bewunderte Basaltfelswand und Steinbergsee, füllte meine Lungen mit dem Duft, den die Nadelbäume ausströmen – Natur pur! Im Gläsnertal dann ein weiterer VP in dieser schönen Ultraschleife, ich kippte dankbar ein paar Becher alkoholfreies Weizen hinunter. „Der Timo? Keine Ahnung, wir haken hier bloß ab, wer durchkommt. Gelbes Shirt? Gut möglich, das er vor zwanzig Minuten vorbeigeflitzt ist.“ Alles klar! Gestärkt ging es auf Wald– und Wirtschaftswegen wieder bergauf, dem nächsten Ziel entgegen.

Nach gut 36 Kilometern erreichte ich erneut VP Abzweig 3er Hütte, die Ultraschleife geschafft. Das Kräftezehren hatte bereits bergauf begonnen, einmal mehr rächte sich das aus zeitlichen Gründen mangelnde Training der letzten Wochen. Die Sonne ließ sich nun immer öfters blicken und versprach einen strahlend schönen Nachmittag.

 
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Meine Schritte wurden immer schwerfälliger, und nun stand ich vor besagtem Wegweiser wie zu Anfang dieses Berichts. Motiviert von den Sprüchen der Wanderer, welche hinter mir zum Überholen ansetzten, kämpfte ich mich konsequent den Anstieg hoch. Wäre doch gelacht! Oben angekommen, fiel mir nicht nur der Turm sofort ins Auge, sondern auch Blasmusiker, die aber gerade pausierten. Ich genoss einen im wahrsten Sinne atemberaubenden Ausblick auf die bewaldeten Bergkuppen des Umlandes mit seinen kleinen Fachwerkdörfern. Vom Bilsteinturm wäre die Aussicht sicherlich noch viel schöner, aber ich hatte durch meine Begegnung mit der Wandergruppe neue Kraft getankt und wollte dies auch umsetzen. Also rannte ich den engen, steinigen, knapp einen Kilometer langen Wurzelpfad auf der anderen Seite Richtung Kreuzung wieder herunter – dem „vielarmigen Wegweiser“, wo der nächste Verpflegungspunkt auf mich wartete.

In den folgenden zehn Kilometern Richtung Roßbach ging es stetig bergab, und währenddessen musste ich wieder an den Höhenmeter-Spickzettel von Timo denken. Ich hätte schwören können, dass noch ein letzter Anstieg auf mich wartete.

In regelmäßigen Abständen konnte ich großartige Aussichten ins tiefer gelegene Tal werfen. Vorbei an Kalkmagerrasen erreichte ich schließlich den vorletzten Verpflegungspunkt bei Kilometer 46. Ein Helfer will uns mit einem flotten Spruch wieder aufmuntern: „Hey Jungs, bloß eine letzte Schikane noch…dann habt Ihrs geschafft!“ Aha, also doch noch einmal bergauf – seufz! Ich ersparte mir jegliche Antwort, schob mir bloß ein paar Brezeln in den Mund und kämpfte mich weiter.

 
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Aufgewühlt und beeindruckt zugleich lief ich durch sonniges Kirschenland, roch duftende Wiesen, genoss in vollen Zügen Bergwälder und Kulturlandschaft um mich herum. Spätestens in diesem Moment vergaß ich für eine Weile die arg zunehmende Erschöpfung. Ich versprach mir hoch und heilig, im Folgejahr weitaus trainierter an den Start zu gehen!

Freudestrahlend näherte Ich mich wieder Kleinalmerode. Das Glücksgefühl, während man sich der jubelnden Zuschauermenge nähert, bei einigen Leuten abklatscht und letzten Endes frohgemut die Ziellinie überquert, bleibt unübertroffen. Im Zielbereich hängte mir eine Dame umgehend die Medaille um den Hals, während mich Timo freudestrahlend empfing. Wir begrüßten uns herzlich, stolz-grinsend hielt er mir dabei seine Urkunde unter die Nase: “Platz Zweiundsechzig in – und nun pass auf! - sechs Stunden und zwei Sekunden…ist das nicht verrückt? “, lachte er unentwegt. Da konnte ich ihm nur zustimmen. „Bei der Harzquerung Ende April laufen wir gemeinsam ins Ziel“, versprach ich ihm. „Na, vergiss nicht den Keufelskopf im Juni! Mario, wir haben noch einige Läufe vor uns“, grinste er zurück.

Noch immer aufgewühlt von dieser beeindruckenden Landschaft zwischen Kaufunger Wald und der Werra fasse ich den Entschluss, auch im nächsten Jahr wieder beim Bilstein-Marathon an den Start zu gehen – Kirschenland, wir sehen uns wieder!

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