Mittlerweile gibt es im Großraum Stuttgart zahlreiche schöne Marathonveranstaltungen. Eine der bekanntesten und angesehensten ist der Bottwartal-Marathon. 2011 mit der 8. Austragung stand der Lauf jedoch vor dem Aus: Der verantwortliche leitende Organisationschef Werner Neumann beendete sein Engagement und auch die Winzergenossenschaft Bottwartal konnte nicht länger ihre Räumlichkeiten als Standort für den Lauf zur Verfügung stellen.
Was zunächst einem Todesurteil gleich kam, erweist sich im Nachhinein als Glückfall. Mit Gerhard Petermann wurde ein kompetenter Nachfolger gefunden. Die beiden Schleifen, die früher über die Marathondistanz führten, bilden nun eine große Runde mit der einst berüchtigten, etwas eintönigen Schleife um Murr direkt am Anfang. Natürlich kann man der urigen Atmosphäre der Kellerei nachtrauern; in der Steinheimer Blankensteinhalle ist aber mehr Platz und es zieht nicht so.
Das Laufangebot bietet für jeden etwas: am Samstag gibt es einen Bambini Lauf, den Werkstättenlauf für Behinderte, die Schülerläufe, den 1/10 Marathon und diverse Walking-Wettbewerbe. Dann am Sonntag den 10 km Lauf, den Halbmarathon, den ¾-Marathon, den Marathon mit Staffel- und Teamläufen und natürlich den Ultra über 50 km. Dieser wird in diesem Jahr zum dritten Mal ausgetragen und erfreut sich wachsender Beliebtheit und wird seitens des Veranstalters weiter aufgewertet. In den Vorjahren wurden die ersten 29 km teilweise trailig durch Wald und Weinberge geführt, um dann in Gronau auf die Marathonstrecke zu treffen. Hier konnten die Ultras die restlichen Kilometer gemeinsam mit den anderen Läufern zurücklegen. In diesem Jahr soll zum Schluss hin noch ein Schmankerl eingebaut sein. Wir sind gespannt.
Weil der Start des Ultras um eine halbe Stunde nach vorn verlegt wurde, ist das Parken vor der Halle für uns kein Problem. Drinnen sind die Langstreckler noch unter sich. Man trifft Bekannte und kann noch ein kleines Frühstück einnehmen. Eine Marathonmesse bietet diverse Laufutensilien, während die Helfer an den Schaltern entspannt dem kommenden Ansturm harren. Zur Startnummer erhalten wir eine Flasche Wein, mit dem Aufdruck des Steppi, dem neuen Wahrzeichen von Steinheim. Anstatt des obligatorischen Shirts gibt es eine hochwertige Mütze und noch ein Fläschchen Bottwartaler Wein. Während wir uns vorbereiten, gibt der Sprecher noch einige Informationen. Ich bin unkonzentriert und bekomme nichts mit.
In diesem Jahr wird an der Halle gebaut. Vermutlich deshalb wurde der Start für die Wettbewerbe in den Ortskern verlegt. Nachdem man sein Gepäck beim Wellarium abgegeben hat, bringt ein Busshuttle die Läufer die kurze Strecke hinunter zum Start.
Der Start erfolgt am Kreisverkehr Murrer Str./Ludwigsburger Str. Hier erwartet uns mitten auf dem Kreisel der Steppi, das bereits erwähnte neue Wahrzeichen von Steinheim. Er handelt sich hierbei um eine maßstabsgetreue eiserne Nachbildung des Skeletts eines Steppenelefanten, der im Steinheimer Urzeitmuseum sein Zuhause hat. Die 2010 erbaute Skulptur steht seit einem Jahr auf dem Kreisel, wo er Richtung Murr schauend die Autofahrer begrüßt.
Wer den originalen Steppi im Urzeitmuseum in der Nähe des Rathauses besucht, kann sich einen kurzen Überblick über die Entstehung der Menschheit verschaffen. Schließlich wurden in Steinheim 1933 zufällig in einer Kiesgrube Fossilien verschiedener prähistorischer Säugetiere gefunden. Eine Sensation war aber der Fund des Schädels eines Urmenschen, der keiner der damals bekannten gängigen Stämme angehörte. Deshalb nannte man ihn Homo Steinheimensis oder Steinheimer Urmensch. Der Schädel gehörte zu einer vermutlich 25 Jahre alten Frau, die vor 250.000 Jahren lebte und zu einer Übergangsform von Frühmenschen und Neandertalern gehörte. Lange war der Schädel das Wahrzeichen von Steinheim, bis er dann 2014 von Steppi abgelöst wurde. Der Originalschädel liegt wegen des immer noch hohen archäologischen Interesses im Naturkundemuseum in Stuttgart und ist nur bei besonderen Anlässen zu besichtigen.
Rund um den Kreisel sind bereits viele Läufer versammelt. Martin aus Altötting sticht besonders hervor, denn er hat sich stilecht als Urmensch verkleidet. Bereits in den Vorjahren hat er mit seinem ausgefallenen Outfit für Spaß bei Zuschauern und Mitläufern gesorgt. Unter dem Startbogen werden Bilder gemacht. Bea Bauer, Siegerin der letzten Jahre, und Ralf Himmelsbach, Sieger von 2013, werden hoch gehandelt und stehen schon mal für ein Foto bereit. Die anderen Ultras entspannen noch und warten auf den Startschuss. Punkt 8 Uhr 30 geht es dann los.
Die Zeitmessung erfolgt für jeden Läufer separat mit dem in der Startnummer eingearbeiteten Transponder. Gleich nach dem Start halten wir uns links und laufen die Kleinbottwarer Straße hinauf. Wir verlassen den Ort. Nach ca. einem Kilometer geht es rechts auf einen geschotterten Feldweg die Böschung hinauf. Gerhard Petermann selbst verabschiedet hier die Läufer. Unvermittelt erreichen wir eine weite Fläche, die mit Reben bepflanzt ist. Es geht die Forsthofstraße entlang. Der Nebel hängt tief. Weiter führt die Strecke rechts zwischen Feldern hindurch in einer großen Schleife, bis wir fast wieder die Forsthofstraße erreichen.
Endlich im Wald, bekommen wir das versprochenen Trailvergnügen. Der Singletrail ist gut zu laufen, es geht über eine Brücke, dann bringen uns Treppen schnell ein paar Höhenmeter hinauf. Auf dem welligen Trail folgen weitere Holzbrücken - Vorsicht Rutschgefahr - und ein paar matschige Stellen. Dann erreichen wir bei km 6 die erste VP.
Mit Beate habe ich eine gleichschnelle Laufpartnerin gefunden, die Zeit vergeht wie im Flug. Irgendwann führt die Strecke längere Zeit bergab; wie immer lasse ich es laufen, so dass ich leider meine nette Laufbekanntschaft verliere. Vor mir ist ein Läufer in blauer Jacke, da komme ich aber nicht heran. Hinter mir ist niemand. Ich versenke mich in den Läuferflow bis ich vor mir Autoverkehr höre. Hier heißt es aufgepasst. Kurz bevor ich die L1115 erreiche, führt eine steile Steintreppe zu einem Kanal hinunter. Ein dunkler schmaler Tunnel bringt mich unter der Straße hindurch und auf der anderen Seite mit einer weiteren Treppe wieder hinauf. Gabi, eine hübsche Läuferin mit Zopf, überholt mich. Leider kann ich nicht dranbleiben. Sie ist mir einen Tick zu schnell und es hat keinen Sinn, jetzt schon Körner zu verpulvern.
Am Hardwaldsee öffnet sich der Wald, es geht am See entlang. Das ca. 1,5 ha große Gewässer ist im Besitz des Fischerei- und Gewässerschutzvereins Steinheim und so flach, dass es sich schnell erwärmt, was für Hechte, Zander, Karpfen und Schleien optimale Bedingungen schafft. Heute liegt der See im Nebel und ist für uns eine willkommene Abwechslung. Wir haben Glück mit dem Wetter. Trocken, mit Temperaturen um 10 °C, und die Sonne hält sich hinter dem Hochnebel verborgen. Für mich ist das optimal. Hinter dem See verschwindet der Weg wieder im Wald.
Ungefähr bei km 11 erreichen wir die große Grillstelle am Feuersee. Die „Jugend Steinheim“ hat hier diverse Holzbauwerke zum „Wald- und Naturforum Feuersee“ errichtet, um ein neues Waldpädagogik-Konzept umzusetzen. Heute ist natürlich nichts los. Für uns geht es jetzt geradeaus. An einer Waldkreuzung weist uns der Streckenposten dann scharf links. Eine erneute lange Gerade liegt vor uns. Die leichte Steigung ist nichts für mich. Ich beschließe, hier zwischen Gehen und Laufen zu wechseln, damit die Beine einigermaßen locker bleiben. Vor mir wird es lichter - ich verlasse den Wald und bin im Weinberg. Es geht nun steil bergauf.
Der junge Mann an der VP bei km 13 ist guter Dinge. Die Läufer kommen genau so, dass ihm nicht langweilig wird. Pfeile zeigen scharf links. Die Straße geht relativ flach geradeaus. Wir laufen auf halber Höhe zwischen den langen Rebenreihen entlang. Die Läufer vor mir sind nicht zu sehen, so dass ich Muse habe, um nach Trauben Ausschau zu halten. Tatsächlich hängen hier große, pralle Früchte am Weinstock. Aber die sind sicher nicht für den Verzehr gedacht. Hier wartet Spätlese oder sogar Eiswein auf den optimalen Erntezeitpunkt.
An der nächsten Kreuzung zeigen Pfeile bergauf. Zeit für eine Gehpause. Oben im kleinen Harzberghäuschen wird kräftig gefeiert. Das in stilvollem Fachwerk gehaltene Wengerthäuschen scheint aus allen Nähten zu platzen. Ich spiele mit dem Gedanken, dort vorbei zu schauen. In Anbetracht der noch zu laufenden Strecke verkneife ich es mir allerdings und biege ordnungsgemäß links ab. Noch ein letzter Blick auf Großbottwar, das im Dunst unter mir liegt, dann wende ich mich ab in den Wald. Nach ein paar hundert Metern geht es scharf rechts, also richtungsmäßig wieder zurück bis ich bei km 15 den Weinberg wieder unter mir habe. Stephan steht hier und passt auf, dass niemand falsch läuft. Nun geht es oberhalb des Rebhangs entlang. Der Nebel wird dichter.
Ich erreiche den Wald. Es geht bergab und dann wellig weiter. Vor mir sehe ich niemanden und hinter mir auch nicht. Ich beginne zu zweifeln, ob ich überhaupt noch richtig bin. Was, wenn ich irgendwo einen Abzweig übersehen habe? Ich atme auf, als sich vor mir der Wald wieder öffnet und ein Streckenposten nach links weist. Es geht nochmal auf einen Singletrail, der mich jedoch nach kurzer Zeit wieder in den Weinberg schickt. Klar, dass es hier wieder bergauf geht. Jetzt sehe ich in der Ferne vor mir andere Läufer, das spornt an. Oben angekommen, laufen wir ein kurzes Stück parallel der L1118 direkt auf das Gestüt Lichtenberg mit den Islandpferden zu. Streckenposten Luca führt uns auf den rechten Weg, einem kleinen asphaltierten Pfad, an den Koppeln vorbei.
Plötzlich höre ich schnelle Schritte von hinten. Schon werde ich angerufen: “Birgit, bist Du heute im Porsche unterwegs?“ Ich verstehe nur „Bahnhof“. Martin kommt von hinten und erklärt mir, ich hätte ja meine Startnummer hinten und da stehe 911 drauf. Wir müssen beide lachen. Die Nummer ist ab jetzt der „Running Gag“, denn ich muss mir noch häufiger den Porschevergleich anhören.