In der allgemeinen massenhaften Matschpanik nehme ich eine scheinbare Abkürzung. Da werde ich bitterböse vom Aufpasser angeschnautzt. Der will mich rausnehmen! Ich hau im auf die Schulter, reiss ihm das Bier aus der Hand, wir brüllen uns an und machen gegenseitig Fotos, liegen uns minutenlang in den schlammigen Armen und küssen uns auf die matschige Frontscheibe. Ich denk, jetzt holt er aus, um mir seinerseits auf die Schulter zu kloppen, da gibt der Kerl mir nen Tritt und ich lande mit der breiten Windschutzscheibe unten in der Sülze: „ Geht doch, du dicker Schlammspringer!“
Immer, wenn ich aus einer Grube raus bin, lecke ich das Objektiv sauber. Aber der Auslöser funktioniert nicht mehr. Ich beise und sauge den Dreck aus den Tasten, spucke im hohen Bogen den körnigen Dreck weg, der sich vom Kunstblut rotfärbt. Der Schlamm der Hölle lässt nicht locker, er zerrt an deinen Schuhen, reisst dir die Schnürsenkel auf, will dich in seinen Schlund hineinsaugen. Kuckident drei Phasen Haftcreme. Wie oft geht es noch in so eine Grube? Einen Fuss heben, der andere bleibt stecken, flatsch! Aufraffen, flatsch! Erinnerungen sind weg, die Kraft auch. Wir sehen scheiße aus, verdammt scheiße. Kein Zuschauer lacht mehr. In der letzen Schlammgrube kippt einer um, bleibt in der Pappe liegen.Ich ziehe ihn aufs Ufer, lasse den Sterbenden hinter mir. Es ist entwürdigend.
Der Röhrenparcours sieht easy aus, doch wir sind taumelde Drecksleichen. Der Veranstalter kennt keine Gnade und wir sterben hier in den Stinklöchern den Heldentod.
Knochenhartes Kletterhindernis „Wood Wheels“, nein der Baum ist nicht mein Freund. Glitschige Stämme, kraftlose Arme und die falschen Handschuhe, auf geht es zum Tal des Todes und hinauf zum See des Grauens. Mein Vermögen für eine Pizza. Mein Zuckerspiegel ist auf Grundeis und es gibt nur Bananen. Bananen für Bravehearts, das ist wie Slipeinlagen für Afghanistankämpfer.
Bei Eiseskälte durch das „Tal des Todes“, Steine, verrottende Bäumen, Dornen und immer wieder durch den knöcheltiefen Matsch. Ein tödliches Tal, an jeder Stelle mit neuen Fiesheiten.
„Vorsicht Strom!“ brüllen die Kinder. Ich steh noch da, schiesse Fotos, da recken dort unten die Kameraden ihre Ärsche wie Stromabnehmer einer Märklinbahn den Elektrodrähten entgegen, um augenblicklich schreiend ihren Genitalbereich wieder in den Schlamm zu drücken. „Wendel Power“ wird das Kriechhindernis liebevoll genannt. Ich liege hier drunter, schiesse Fotos nach oben in die Zuschauer und neben, hinter und vor mich, es ist nur grausam, will nur Ruhe, Gnade und Frieden, während meine Mitstreiter bei jedem Stromschlag ihren Schritt in den Dreck drücken und laut aufstöhnen, als würden sie einen Porno drehen.
Nach dem Lauf durch die Dornenhecken öffnet die Hölle ihren feurigen Schlund. Der ist garniert mit brennenden Autowracks. Drüber, durch und wieder drüber. „Gabold Feuer“ zwischen Holzstücken, Autoreifen und Strohballen. Borat hinter mir. Gelungenes Foto voll in den grünen Schritt. Neun Kilometer, zwei Stunden und ich bin am Arsch des Borats. Rechts der Friedhof, da lege ich mich jetzt ab.
Der Höhepunkt des Laufes, der ultimative Härtetest, das berüchtigte „Loch Ness“, das härteste, perverseste Hindernis, das man sich vorstellen kann. Hier gibt es keine Pussy Lane, hier musst du durch. Letzte Woche haben die Schweinehunde und Sklaventreiber das Eis aufgesägt, um noch ein paar Schweinereinen ins Wasser zu bringen. Jetzt kriechen wir durch einen dreckigen Holzverschlag, strecken unsere Finger aus dem Gitter, wie der sterbende Hänsel der Hexe entgegen. Ich erwische ein Bier und krieche in Richtung Drecksbrühe.
Der Schlamm stinkt nach Hundescheisse, die sich in die wunden Knie einreibt.
Langsam wate ich in die kalten Fäkalien. Fotos schiessen ist mein Auftrag. Das kostet Zeit, die ich mir in dem 2 Grad kalten Münnerstädter Güllesumpf nicht leisten kann. Als sich der Securitiytaucher umdreht, versinkt ein Mädchen vor mir ohne was zu sagen, die Pussy! Fotoaparat zwischen die Zähne und Rockzipfel greifen. Ich brülle wie am Spiess, doch mit dem Fotoaparat in der Fresse und dem Rockzipfel in der Hand schwappt mir der Siff über die blauen Lippen. Niemand hört mich und unter meinen Füßen die vollgeschissenen Babywindeln oder sonstige Hygieneartikel. Wenn ich jetzt hier kotze, dann versinkt meine Kamera mit allen Beweisen. Ich muss hier durch und irgendwo die ertrunkene Pussy anlanden!
Das rettende Ufer. Der fiese Sheriff wollte ja des Erstrecht von der Jugundliebe vom Mel Gibson, unserem Wallace wahrnehmen. Das gefiel dem Braveheart nicht. Ich pflocke also die Pussy auf einen Baumstumpf und verzichte großzügig auf mein Erstrecht, muss weiter. Oben gröhlen die Perversen, die Sauberen. Die Fahrradhandschuhe haben freie Finger, gut fürs Fotografieren, schlecht für den Aufstieg ans Ufer. Ich kralle meine Finger in den schlammig-harten Abhang , als tausend feine Nadeln sich blitzartig unter meine Fingernägel bohren. Ich verfluche den Tag, an dem ich mich angemeldet habe. Dies ist die grausameste Folter.Ich betrachte sprachlos, wie das Blut aus den Fingernägeln sickert, will wieder runter zu der Rockträgerin. Soll die doch bluten!
Es geht wieder zurück ins Wasser. Das ist zuviel! Irgendjemand hat das steile Ufer mit einem Gleitprodukt von Beate Uhse eingeschmiert. Wie Kanonenkugeln rutschen die Bravehearts hier runter. Abgeschnittene Baumstümpfe können nicht bremsen, es gibt dumpfe Schläge, als weiche Teile auf harte Bäume treffen. Das erste Mal, dass ich feststelle, dass es von Vorteil sein kann, ein Mädchen zu sein. Aus Bravehearts werden Knaben, aus Mädchen werden krumme Gestalten mit gebrochenem Steiss. Drei oder vier Mal müssen wir die Ufer rauf und runter und etwa 60 Meter durchs Wasser schwimmen. Die Verluste sind enorm. An den Ufern liegen goldfolienbedeckte Kriegsversehrte. „Wir brauchen Wolldecken“, rufen die Sanitäter und ordern per Funk Verstärkung aus den Nachbarkreisen an. Und wir brauchen Eier!
„Jeder stirbt, aber nicht jeder hat gelebt.“ Wir haben etwa 12 Kilometer geschafft. Allein an dieser Stelle werden etwa 300 Kämpfer den Heimurlaub antreten. Wie ich mich fühle? Nebel! Viel, viel Nebel im Kopp.