Viele werden Brixen vielleicht nur von der Autobahn aus kennen und haben damit schon einmal viel verpasst. Ein wahres Paradies wartet auf Wanderer und Skifahrer und an diesem Wochenende auch auf Marathonläufer. Zum achten Mal wird der Brixen Dolomiten Marathon veranstaltet. Die schicke Startnummer mit Bergfoto und Vornamen des jeweiligen Teilnehmers nennt als Sponsor auch die italienische Autobahngesellschaft mit ihrer „A22“. Das habe ich noch nie erlebt. Natürlich kann man Brixen nicht nur mit dem PKW, sondern auch sehr leicht mit dem Zug erreichen.
Brixen, italienisch Bressanone, wurde 828 n. Chr. erstmals urkundlich erwähnt und bietet dem Besucher eine wunderschöne mittelalterliche Altstadt mit vielen Laubengängen. Gut 21.000 Einwohner zählt die Stadt, ein großes Industriegebiet liegt im Süden des Brixener Talkessels.
Judith und ich sind bereits am Freitagvormittag angereist und stellen fest, dass wir im Hotel Grüner Baum bei weitem nicht die einzigen Läufer sind. Der Domplatz, gesäumt von vielen Cafés, ist heute fest in Läuferhand. Die Startnummer gibt es auch hier erst nach Übergabe einer Kopie des Gesundheitszeugnisses. Der kleine blaue Starterbeutel ist mit einigen Lebensmitteln, einem Fitnessband und Leckereien gut gefüllt. Ich erhalte die Auskunft, dass man am nächsten Tag auch größere Beutel oder Rucksäcke zum Transport in Richtung Ziel abgeben kann.
Am Domplatz liegen vier Kirchen. Wir fangen bei der Besichtigung mit der Stadtkirche Sankt Michael an, deren weißer Turm ein Wahrzeichen Brixens ist. Dann in die Kathedrale: Mariae Aufnahme in den Himmel und St. Kassian. Bischofssitz von Bozen-Brixen, bis 1964 der Bischofssitz nach Bozen verlegt wurde. Interessant die klassizistische Vorhalle aus dem Jahre 1788, deren Stil so gar nicht zu den beiden Türmen passt. Angeschlossen die kleine Frauenkirche, in der Maria Magdalena verehrt wird. Auf den vielen Votivtäfelchen finde ich eine gestickte Danksagung: „Danke Grazie Maria“ - zweisprachig ist nie verkehrt.
Der Brixener Domkreuzgang zählt zu den bedeutendsten Kunstdenkmälern Südtirols. Er stammt aus vorromanischer Zeit mit Deckenfresken aus der Gotik. Das Schild „Bitte Ruhe“ kann man heute getrost vergessen, zu auffällig dröhnen die Lautsprecher von der Bühne auf dem Domplatz.
Dort tummeln sich viele Damen in orangefarbenem Shirt. Diesmal nicht die M4Y-Farbe, sondern das „Womens Run“-Equipment. Zweimal gilt es die Altstadt zu durchqueren. Warum fast alle Läuferinnen schwarze Hosen tragen, konnte ich nicht klären. Immerhin tanzte ein Fünfergrüppchen in silbernen Hotpants aus der Reihe. Nach 4,2195 Kilometern geht es auf dem Platz mit einer Zumba-Party weiter. Wir Marathonis halten uns an die Erzeugnisse, die der Nudelstand zu bieten hat.
Um 7:00 Uhr stehen wir am nächsten Morgen wieder auf dem Domplatz. Natürlich gut gestärkt mit einem zeitig servierten Läuferfrühstück. Wir treffen allerlei Bekannte. Den Brixen Marathon laufen viele Wiederholungstäter, wie man an den Finisher-Hemden der letzten Jahre erkennen kann: Das Design ist immer gleich, aber die Farbkombination ändert sich. Mal sehen, welche Farbe heuer dran ist.
Start um 7:30 Uhr. Laufend ist die Altstadt schnell umrundet. Unzählige Zuschauer feuern uns zu dieser frühen Stunde an. Dann geht es auf einen flachen Stadtparcours. Am Hotel Elefant vorbei. Wahrscheinlich hat Hannibal mit seinen Dickhäutern da schon übernachtet. Dann passieren wir die Hofburg, bis 1803 Sitz der Fürstbischöfe und bis 1973 der Bischöfe der Diözese Brixen. Heute befindet sich hier das Diözesanmuseum mit sakraler Kunst von der Romanik bis zur Moderne, dem Domschatz von Brixen, Werken Tiroler Künstler des 19. Jahrhunderts, einer Krippensammlung und wechselnden Sonderausstellungen.
Ein wenig an der Eisack entlang und dann über die Widmannbrücke am Zusammenfluss von Rienz und Eisack, die in Bozen in die Etsch münden. Kurz nach Kilometer 4 ist es mit dem schnellen Laufen vorbei. Die ersten Höhenmeter stehen an und bald danach sind wir zwischen den Bäumen auf der Karlspromenade, benannt 1903 nach Erzherzog Karl I., der hier zur Kur weilte und diesen Weg sehr schätzte. Die ersten schönen Ausblicke auf das Tal. Über Wege und kleine Straßen geht es weiter durch die Almwiesen leicht bergauf. Wobei „leicht“ für Judith und mich schon „marschieren“ bedeutet. Bei Landhäusern, Höfen oder Straßensperrungen stehen immer gut gelaunte Zuschauer. Ich komme mit Notburga aus Klausen ins Gespräch. In ihrem Heimatort verbrachten wir einen Urlaub, als ich ein Jahr alt war. Somit habe ich sicher auch den Spielwarenladen besucht, den Notburgas Familie dort betreibt.
Nach einer guten Stunde sind wir in Meluno Die erste Staffelwechselstelle ist an der Talstation der Plose-Kabinenbahn. Wir befinden uns in St. Andrä schon fast 500 Meter oberhalb von Brixen. An dem kurzen steilen Anstieg danach haben Kinder ihre Bilder vom Marathon angebracht. Dann sind wir auf der RudiRun Strecke, mit 10 Kilometern die längste Südtiroler Rodelbahn. Die vielen Metallsäulen dienen vermutlich der Beleuchtung. Ich sehe ein Smartphone in der Tasche meines Vordermanns und versuche anhand der Umrisse das Modell zu erraten, liege damit aber falsch. Uwe kommt aus Karlsruhe und ist wie Judith und ich heute zum ersten Mal dabei. Als wir bei km 16 auf einen Waldweg einbiegen, geht es bergab und Uwe ist auf und davon.
In St. Georg bei km 19 erwartet uns der nächste Staffelwechsel samt hervorragender Verpflegungsstation. Besonders die herzförmigen Bio-Kekse haben es mir angetan. Tipp: Wenn man zu viele davon in den Mund steckt, wird das Schnaufen beim Laufen anstrengender. Die 17 VPs sind perfekt ausgestattet, manche mit Bananen, Äpfel und Melonen, später gibt es mehrmals Gel-Tütchen. Da die VPs meist in Ortschaften oder an Berghütten liegen, gibt es auch Toiletten. Den Betreuern und mir macht das hier in der Sonne richtig Spaß. Manchmal sieht man auf der Straße die Feuchtigkeit verdunsten. Leicht wellig weiter durch pittoreske Wiesenhänge. Vor uns tauchen majestätisch die Gipfel der Aferer Geisler auf. Ich erkläre Judith, auf welche Spitze wir heute noch rauf müssen. Dieter aus dem Eisacktal widerspricht energisch. Natürlich geht es da nicht hinauf. Dies sind die Berge, in denen die Messner-Brüder Reinhold und Günther ihre Jugend verbracht haben. Ein Klettersteig wurde nach dem verstorbenen Günther Messner benannt.
Wir überqueren noch einmal die Würzjoch-Passstraße, die ins Gardertal führt. Oft war ich in den Dolomiten schon unterwegs, aber es gibt immer noch Gebiete, die ich nicht kenne. Für uns geht es jetzt etwa13 Kilometer an der Baumgrenze entlang, quasi wieder aus dem Seitental Richtung Brixen zurück. Der leicht wellige Parcours führt oft über Wurzeln und Steine und ist laut Streckenplan schon als alpiner Steig definiert. Dann hinauf zur Bergwertung bei der Rossalm. Die Bezeichnung „Ferienhütte“ ist wohl ziemlich untertrieben. Sogar eine Panorama-Sauna wartet hier auf die Gäste. Vier Kilometer über den Woodywalk zügig bergab. Dabei handelt es sich um einen „Holzweg“ für die ganze Familie. Viele Attraktionen aus Holz warten auf Groß und Klein, samt Tümpeln zum Abkühlen. Judith gibt jetzt Gas, sammelt einige Mitstreiter ein und ich haste unter dem Beifall vieler Woodywalker hinterher.
Unser Ziel ist Kreuztal. Ein großer Bus quert unseren Weg. Fast komme ich unter die Räder. Die Bergstation der Kabinenbahn ist vor uns. Eine große hölzerne Skulptur, die den Namen „Plose“ ergibt, wartet auf uns. Wir dürfen durch das O laufen, in dem man sonst mit dem Rad Überschläge wagen kann. Für Stefanie, die sich vom Stelvio-Marathon her an uns erinnert und in Windeseile vorbei geprescht ist, bedeutet das die Endstation. Denn hier ist wieder einmal Staffelwechsel. Eine richtig kleine Ortschaft ist das hier oben. So ein Grasberg bildet natürlich im Winter eine wunderbare Basis für ein Schigebiet. Viele Liftanlagen sieht man hier auf über 2.000 Metern Höhe.
Die Panoramakarte zeigt die 2576 m hohe Plose als einen netten grünen Hügel. Brixen liegt übrigens 538 m hoch. Die nächsten sechs Kilometer geht es abwechslungsreich über den Brixner Höhenweg Nr. 30. Richtig Spaß macht der Wechsel von schnellem, konzentriertem Bergab und gemächlichem Bergauf. Ein ganz besonderer Duft verdrängt hier den Geruch der Kiefern: An einer Hütte wird gegrillt. Für uns gibt’s Getränke und aufmunternde Worte.
Die Verbauung des Tramötschbachs fasziniert mich. Während der Schneeschmelze muss hier ganz schön was abgehen. Was ich gar nicht wahrnehme, ist der Funkmast auf dem „Hügel“. Keine 300 Höhenmeter sind es dort hinauf. Das passiert mir in Südtirol öfter: Man sieht einen netten „einfachen“ Berg mit Gipfelkreuz und plant eine Wanderung. Dass diese harmlosen Erhebungen aber über 2.000 Meter hoch sind, stellt man erst fest, wenn man nach stundenlanger Wanderung auf halber Höhe wieder umkehren muss. Wir müssen das heute aber hoffentlich nicht. Ich mahne Judith zur Eile, habe ich doch im letztjährigen Bericht gelesen, dass der Lauf wegen eines Gewitters auf der vor uns liegenden Ochsenalm abgebrochen wurde. Und gerade ziehen ein paar Wolken auf. Hinter der nächsten Kurve sehe ich über uns ein Gipfelkreuz mit farbigen Punkten auf dem Weg dorthin. Schluck. Erst mal rasant zur Alm. Km 39, wir geben uns den Rest, wie wir es auch mit dem Müllsack tun sollen, der diese Aufschrift trägt.
Ein schöner Wandersteig führt nach oben. Gute Stufen. Umdrehen lohnt, wegen des Blicks ins Tal auf Brixen und die Gletscher der Stubaier und Zillertaler Alpen. Judith forciert das Tempo. Ich fühle mich total ausgepowert. Das Aufholen nach Fotostopps fällt mir immer schwerer. Die Anfeuerungsrufe und das Kuhglockengeläut von oben kommen näher. Wir werden auch von einer Getränkestation erwartet.
Geschätzt einen Kilometer weiter steht auf dem nächsten Kamm ein blaues Brixen-Marathon-Tor. Grasberg sage ich nur. Wobei ein Blick nach unten schon ein Kribbeln in der Magengegend hervorruft. Also auf den Weg achten und weiter. Noch ein klitzekleiner Anstieg und das blaue Tor und damit der höchste Punkt der Tour ist erreicht. Plose Telegraph heißt dieser Gipfel. Bis in die 1970er Jahre gab es hier eine Nato-Radarstation samt Seilbahn. Jetzt sind die Gebäude verlassen. Dafür soll der Rundblick vom Panoramatisch sehr schön sein. Wenn man denn Zeit dafür hat. Weiter östlich gibt es noch zwei etwas höhere Erhebungen der Plose.
Der letzte Kilometer führt leicht bergab. Und dann noch um die Plosehütte herum. Ich schreie den Läufer vor uns an, er solle jetzt nicht schlapp machen, sonst werde er überholt. Und wieder feuert uns der zünftige Lederhosenträger mit dem thüringischen Akzent an, der mit seinen Bierflaschen schon mehrmals an der Laufstrecke stand. Dann das Ziel.
Die Verpflegung erhalten wir im Zelt, vor dem frischen Wind geschützt, Das Finisher-Hemd gibt es dieses Jahr in Rot. Die Medaille setzt die Serie der letzten Jahre fort: “Move like a Cat - Run like a Horse - Race like a Wolf...floW“ ist dort eingraviert. Das Design stammt von Peter Senoner, realisiert auf schwerem, poliertem Edelstahl von WF Mechanik und Weico. Befestigt ist das Ganze an einem recycelten Laufschuhband. Was ganz Besonderes. Die Kleiderbeutel gibt es im Schuppen nebenan. Vor der Hütte steht das Zelt für die Pastaparty. Duschen kann man hier oben auch.
Per Bus-Shuttle (3 Euro) kommt man zurück zur Kabinenbahn in Kreuztal. Ein Fußmarsch würde 20 Minuten dauern. Die Umlaufbahn nach St. Andrä und der Bus von dort nach Brixen sind im Startgeld enthalten.
Ein doppeltes Vergnügen - so der Slogan - bringt uns zusätzlich zum Marathon die in der Übernachtung im Hotel Grüner Baum enthaltene BrixenCard. Damit fährt man kostenlos im Südtiroler Verkehrsverbund und mit vielen Bergbahnen. Ebenso ist der Eintritt in zig Museen sowie ins aquarena-Bad in Brixen frei. Auf das Bad können wir verzichten, denn mit der Wellnessanlage mit Innen- und Außenbecken in unserem Hotel Grüner Baum sind wir bestens bedient. Aber die Zugfahrt nach Bozen und die Besichtigung der über 5000 Jahre alten Gletschermumie „Ötzi“ im Archäologiemuseum lassen wir uns nicht entgehen.
Nach seiner achten Austragung kann man den Brixen Dolomiten Marathon sicher zu den etablierten Bergmarathons zählen. Im Anschluss an eine flache Runde (ca. 6 km) zum Warmwerden geht es auf wechselndem Geläuf dem 2000 m höher gelegenen Ziel entgegen. Der Verlauf ist teilweise anspruchsvoll mit Wurzeln und Steinen, aber ohne die von mir so gefürchteten steilen Abstiege über schwierige Wege. Etwas Schwindelfreiheit sollte man in den Bergen aber schon mitbringen. Mit der Zielzeit von acht Stunden dürfte auch ein wenig bergerfahrener Marathoni keine Probleme bekommen und auch die letzten drei Kilometer, die die schwierigsten des ganzen Rennens sind, meistern. Alles in allem werden eine äußerst attraktive und abwechslungsreiche Strecke und eine perfekte Organisation geboten. Damit ist Brixen perfekt für ein angenehmes Laufwochenende.
(klaus und Margot Duwe)
-Marathon 42,195 km
-Staffel 4x4 (11 km+8km+14,5 km+8,695 km)
-Staffel 2x2 (19 km +23,195 km)
Männer
1. Bamaarouf Tariq (MAR) 3:39,21
2. Piazza Georg (ITA) 3:40,02
3. Rungger Hannes (ITA) 3.43,01
Frauen
1. Thaler Edeltraud (ITA) 4:26,50 (zwei Wochen nach ihrem Sieg bei Stilfserjoch Marathon)
2. Menestrina Simonetta (ITA) 4:28,29
3. Weissteiner Doris (ITA) 4:42,30
550 Teilnehmer darunter
285 Marathoneilnehmer/innen aus 17 Ländern