Dann aber, am Ochsenstall (2085 m/km 39), einem herrlichen, friedlichen Aussichtpunkt, wo kein Mensch schlimme Gedanken hat, trifft Dich der Hammer. Dreimal frage ich: „Ist das wahr?“ Dreimal bekomme ich die Antwort: „Ja, es stimmt.“ Es geht darum, wohin der Weg jetzt führt. Stumm zeigt das Mädel senkrecht nach oben zum Kreuz. 300 Höhenmeter auf einem Kilometer. Und als sie mir dann sagt, dass das hier die letzte Verpflegungsstelle vor dem Ziel ist, schütte ich nacheinander das ganze Getränkesortiment in mich hinein, verstärke die Mixtur mit einem Gel und setze mich in Bewegung.
Für alpine Verhältnisse ist der Weg ok, keine Seile und so. Aber es geht nur in kleinen Schritten vorwärts, wie im Leben halt. Dort ist es auch so, dass man von den Dingen, die man sich hart erarbeitet, mehr hat, als von denen, die einem zufliegen.
Was ist das, ich spüre dicke Regentropfen auf meiner heißen Haut. Irgendwo am blauen Himmel muss eine schwarze Wolke sein. Ich will nicht nach ihr suchen, steige einfach weiter. Ich sehe, wie Tropfen für Tropfen auf die Steine fallen und augenblicklich verschwinden, verdunsten, oder sonst was. Kein Stein wird nass. Ist die Plose ein Vulkan? Nach einer Minute ist der Spuk vorbei.
Zwei junge Männer der Bergwacht kommen mir entgegen. „Geht’s noch, willst Du was zu trinken?“. Fünf Minuten später der nächste Sicherheitsposten mit der gleichen Frage und dem gleichen Angebot. Und als ich endlich das Leonharder Kreuz (2365 m) erreiche, muss ich mich in alle Richtungen fotografieren lassen. „Damit Du’s nicht vergisst.“ Wie sollte ich.
Man kennt sich ja aus in den Bergen. Das Gipfelkreuz steht immer oben. Das Leonharder Kreuz aber ist ein Wetterkreuz. „Der Gipfel ist dort“, zeigt mir der Bergwachtmann. 121 m weiter oben. Als ob es mir jetzt noch darauf ankäme.
Wieder wird mir Wasser gereicht, wieder schaue ich mich um. Herrlich. Es lohnt sich, nach oben zu kommen. Jetzt noch das Schaulaufen. Karl-Ernst, Peter und ich tun uns zusammen. Wir laufen auf die Plosehütte (2448m/42,195km) zu, im Hintergrund wieder die Geisler und der Peitlerkofel, weiter hinten der Schlern und viele weitere bekannte Dolomitenberge. Ein Gedicht. Drei Läufer auf einmal, da erhebt sich die Sonnenterrasse und applaudiert und sofort will die Sprecherin wissen: „Gratuliere, wie war’s.“ „Schön, wunderschön, aaaaber schwer.“
Ehrlich, die angegebenen Höhenmeter stimmen nicht. Es werden um die 2400 sein. Der Graubünden Marathon hat auf seiner Originalstrecke mehr. Aber kein Marathon, den ich kenne, hat mehr Aufwärts-Kilometer als der hier. Das behaupte ich. Und wer sich davon abschrecken lässt, ist selber schuld. Ich sage Euch, den hier muss man gemacht haben. Aber lest weiter.
Stillschweigend hat man die Zielzeit auf 8 Stunden verlängert. Und zwar aus Überzeugung und aus Respekt vor der Leistung aller, die hier ankommen. Wenn anderswo schon mit den Aufräumungsarbeiten begonnen wird, bereitet man hier dem letzten Läufer einen ganz großen Bahnhof. Der Sieger, Hermann Achmüller, hält das Zielband, es gibt Blumen und ein Interview. Einen schöneren Abschluss dieses einmaligen Lauferlebnisses kann man sich nicht vorstellen. Die Verantwortlichen haben gleich bei der Premiere alle Register gezogen.
Hut ab und danke.
Mit Kleinbussen wird man zur Bergstation der Seilbahn gebracht. „1:0 für Deutschland“, ich brauche gar nicht fragen. Public Viewing in den Bergen. Argentinien hat keine Chance, alle sind für Deutschland, Italiener, Holländer, wir natürlich. 4:0 – super, das Spiel, der Lauf.
Mit der Seilbahn geht’s nach St. Andrä. Dort ist das Abschlussfest mit den Siegerehrungen. Dort treffe ich auch die Freunde aus den Niederlanden, die gestern in Brixen den Sieg ihrer Mannschaft feierten. „Wenn ihr jetzt alle laut BRAVO DEUTSCHLAND ruft, mache ich ein Bild und bringe es im Internet,“ schlage ich vor. Schaut Euch den Jubel an.
Streckenbeschreibung
Von Brixen (560 m) auf die Plose (2486 m), Anstieg ca. 2400 m. Sehr schöne und abwechslungsreiche Strecke, mit herrlichen Blicken in die Dolomiten, ins Tal und auf die Stubaier-, Ötztaler- und Zillertaler Alpen
Logistik
Gepäcktransport ins Ziel, Shuttle vom Ziel zur Bergstation, Talfahrt nach St. Andrä, Shuttle nach Brixen
Auszeichnung
Sehr schönes und hochwertiges asics-Funktionsshirt, Medaille, Urkunde (Internet)
Verpflegung
20 Getränke- und Verpflegungsstellen (Verpflegungsplan) mit Wasser, Iso, Tee, Eistee, Cola, Gel, Bananen, Äpfel, Kekse
Marathonsieger
Männer
1. Achmüller Hermann, Pfalzen (BZ) 3:37.04,7
2. Mair Alfred, Sexten (BZ) 3:51.32,8
3. Gschliesser Paul, Ratschings (BZ) 3:53.45,2
Frauen
1. Senfter Irene, Lana d'Adige (BZ) 4:47.11,6
2. Perathoner Astrid, Bozen (BZ) 5:01.05,3
3. Pivetta Daniela, Bressanone (BZ) 5:01.30,0
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