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28.06.14 - Brixen Dolomiten Marathon

Laufabenteuer im Wolkenmeer

Von Alm zu Alm

 

Zehn Kilometer haben wir von der Rossalm aus noch vor uns. Und zumindest die nächsten sieben via Kreuztal und Ochsenalm sind dank geringer Höhenunterschiede gut zu belaufen. Die erste Etappe bis zur Bergstation der Plose-Kabinenbahn (2.050 m üNN) geht sogar fast nur bergab.

 
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Wieder tauchen wir hinein in die Wolkensuppe. Der auch als „Woody Walk“ bekannte familienausflugstaugliche Erlebnisweg nach Kreuztal hält allerhand zum Gucken im Nahbereich bereit. Aus Holz ist alles, was hier zum Spielen, Relaxen oder einfach nur Anschauen einlädt: Sei es ein klapperndes Wasserrad oder ein holzochsengezogene Kletterbaum, die aus einem einzigen krummen Stamm geschnitzte Riesenschlange oder die Kneippanlage im Wildbach. Teil des Erlebnisprogramms wäre zudem eine wildromantische Hochgebirgskulisse. Nur muss dieser Programmteil heute leider ausfallen.

So sind wir Läufer auf dem Weg fast unter uns. Flugs ist die Bergstation in Kreuztal nach 33,7 km erreicht. Im Gegensatz zur Rossalm tobt hier geradezu das Leben. Gleichermaßen Staffelläufer und Zuschauer begrüßen uns und feuern uns entlang der bannerverkleideten Durchlauftrasse an. Anders als die durchgestylte Rossalmhütte – wobei Hütte eine gelinde Untertreibung ist - ist die deutlich kleinere Berghütte an der Bergstation in Kreuztal eher vom urtümlichen Typ, mit traumhafter Sonnenterasse und zünftig ohne Ende.

Kaum angekommen, lassen wir den Rummel auch schon wieder hinter uns. Für mich beginnt hier läuferisches Neuland. Gut fünf Kilometer zieht sich in stetigem leichten Auf und Ab erneut ein ausgesetzter, schmaler Höhenweg über Wurzelwerk und Felsen durch die wunder- und geheimnisvolle, nebelumwaberte Bergvegetation dahin. Wundervoll muss von hier auch der Blick ins Tal der Eisack und weit in die Ferne, hin zu den sich bis auf 3.500 m auftürmenden Gipfeln der Stubaier und Zillertaler Alpen, sein. Sagt man. Wir dürfen uns jedoch heute voll und ganz auf unseren Gemsengalopp über Stock und Stein konzentrieren.

Erst im letzten Moment entdecke ich den großen Baldachin des Verpflegungspostens auf der Ochsenalm (2.085 m üNN) aus dem Wolkennebel auftauchen. Exakt 39 km sind geschafft, eigentlich läppische 3 km stehen noch an. Mental sollte man sich aber dennoch schon mal darauf einstellen, was der "Schlussspurt" für uns bereit hält: 400 Höhenmeter auf den nächsten beiden Kilometern hinauf zur Plose.

 

Gipfelsturm im Schleichgang

 

Die letzten Kilometer sind schon bei einem normalen Marathon die härtesten. Hier wird noch eins draufgesetzt. Schon im Vorfeld ist mir zugetragen worden, dass der Blick von der Ochsenalm nach oben ein eher entmutigender sein soll. Gefühlt senkrecht soll es nach oben geben. Und vom Gipfel selbst soll noch lange nichts zu sehen sein. Insofern kann man man das Wolkenmeer durchaus auch als Gnade empfinden, dass einem ein solches optisches Schreckenszenario erspart bleibt.

 
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Das ändert aber nichts daran, dass ich mich in die Reihe kopfgesenkter, luftjapsender Gestalten einreihe, die sich daran machen, den Gipfel mehr zu erschleichen als zu erstürmen. Sogleich geht es auf steinigem Pfad durch karge, niedere Vegetation heftig bergan. Ein kleines Flachstück erlaubt nochmals kurz eine Durchschnaufpause, nur um danach noch heftiger ins weiße Nichts nach oben zu führen.

Ein kräftiger, kühler Wind signalisiert: Es tut sich was. Ich kann es kaum glauben. Wie von Geisterhand teilen sich die Wolkenschwaden und geben den Blick frei, zunächst nach oben, dann auch immer wieder in die umliegende Bergwelt. Kaum ist ein Sichtfenster geöffnet, drängen aber schon die nächsten Wolken nach und schließen es, dafür tut sich an anderer Stelle ein neues Wolkenfenster auf. Weit oben sehe ich nun bunte Pünktchen durch das felsübersäte hochalpine Gelände eines Berggrates irren. Das müssen wohl die Läufer sein, stoisch den blauen Wegmarkierungen folgend. Eigentlich ernüchternd, aber doch auch motivierend, wenn man den ganzen Tag nur das Wolken- statt das Gebirgsmeer gesehen hat.

Hoch über mir thront das Leonharder Kreuz auf 2.365 m üNN. Es wirkt schon wie ein Gipfelkreuz, ist es aber nicht, sondern nur ein Wetterkreuz. Dankbar nehme ich das Wasser, das Helfer mitten in die Bergeinsamkeit bei km 40 geschleppt haben. Und stapfe weiter. Schritt für Schritt.

Auch wenn uns vom Gipfel noch weitere 120 Höhenmeter trennen, so ist die Anhöhe mit dem Wetterkreuz bei km 40,5 für mich die Schlüsselstelle des heutigen Laufs. Wäre ich heute schon  panoramaverwöhnt gewesen, hätte ich vielleicht gesagt: Nett ist es – und wäre weiter gezogen. So aber halte ich inne und genieße diesen besonderen Moment, die Sonnenstrahlen, die mich hier auf einmal wärmen, den sich öffnenden Ausblick in tiefe, einsame Täler. Und auf die bunten Punkte, die nun weit unter mir durch den Fels turnen.

Vor mir sehe ich den Pfad, der über den zunächst abfallenden Grat weiter hinauf zur Plose führt. Zur Rechten tosen undurchdringliche Wolken wie eine Brandung gegen den Grat, links lässt die Sonne den grünen Wiesenhang erleuchten. Was für ein Anblick, was für eine Szenerie!

Voller Hochgefühl mache ich mich zum finalen Gipfelsturm auf, der auf einmal jeden Schrecken verloren hat, auch wenn es auf der Schlusspassage nochmals heftig zur Sache geht. Schon von Ferne höre ich die Aufmunterungsrufe der Männer von der Bergwacht unterhalb des Gipfels. Mit kräftigem Händedruck ziehen sie uns über die letzten Felsstufen hoch. Und auf einmal stehe ich, nach 41 km und 2.486 m üNN, auf dem flachen Gipfeltisch des Monte Telegrafo, der höchsten Erhebung unseres Streckenkurses. Mit einem Becher Cola proste ich mir selbst zum Vor-Finish zu. Auch wenn die Wolken bereits wieder die Himmelhoheit übernommen haben und ich von hier oben auf die legendäre 360° Dolomitenrundumsicht verzichten muss, ist es einfach ein wunderbares Gefühl, es hier hinauf geschafft zu haben.

 

Finish in luftigen Höhen

 

Der letzte Kilometer ist nur noch Formsache. Auf einem bequemem Pfad geht es leicht bergab bis zur Plosehütte und, vorbei an den flatternden Bannern des Zielkanals, über blauen Teppich direkt ins Ziel. Über Lautsprecher wird jeder Einläufer persönlich willkommen geheißen, ein Alphornbläser-Trio spielt auf. Ein wunderbarer Empfang so hoch oben. 

 
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Gerade pünktlich bin ich im Ziel, um die Flower Ceremony der Tagesbesten zu erleben. Ein packendes Kopf an Kopf-Rennen hat es bei den Männern gegeben: Der Berglauf-Weltmeister von 2012, der Eritreer Petro Mamo, gegen den „local heroe“, den Sarntheimer Hannes Rungger. Besonders stolz dürfen Veranstalter und alle Südtiroler sein, dass „ihr Bua“ der sonst so übermächtigen ostafrikanischen Konkurrenz in 3:25:28 nicht nur mit 2,5 Minuten Vorsprung enteilt ist, sondern gleich auch noch Streckenrekord aufgestellt hat. Bei den Damen steht bereits zum vierten Mal die Südtirolerin Edeltraud Thaler aus Lana d'Adige ganz oben auf dem Treppchen. Mit ihren bunten Blumensträußen geben die beiden Sieger ein überaus fotogenes Paar ab.

Trotz des panoramischen Handicaps im Wolkenmeer – es war ein Laufabenteuer der ganz besonderen Art. Und für mich der beste Grund zu sagen: Da muss ich auch ein drittes Mal wieder herkommen. Und dann klappt es auch mit dem Gipfelpanorama.

 

 

 

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