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11.02.12 - Brocken-Challenge

Hart - Kalt - Schön

Autor: Joe Kelbel

Nein, heute fällt die typische Kulturtour aus. Ich kämpfe. Das Wetter ist beschissen, der Harz nicht sichtbar. Die Landstrasse nach Rollshausen geht ja noch, aber dann die Kraxelei auf den Hellberg hinauf ist wirklich die Hölle. Foto von der Tilly-Eiche, die Story dazu bitte selbst recherchieren. Meine Hände sind taubgefroren, fotografieren ist ein Willenskampf, oft drücke ich Ausversehen auf den Videoknopf, es wäre schlimm den Speicherchip wechseln zu müssen. Der Schneefall wird stärker, und auf dem freien Gelände fegt der kalte Ostwind.

Der Ort Rhumspringe. Dampfendes Wasser zwischen den Häusern. Hier soll bald eine Verpflegungsstelle sein, bei km 31, doch lange zieht sich der Weg durch den frostigen Ort. Irgendwie kommen wir in eine urige Landschaft aus dem Film „Herr der Ringe“.

Die Rhumequelle ist die drittstärkste Quelle Deutschlands (nach Aachtopf und Blautopf). Die Wassertemperatur liegt konstant bei 9 Grad, daher friert der Quellsee nicht ein.  Der Quellnebel  wirft frostigen Reif auf die Inseln der Auenlandschaft, hart, kalt, schön.

Vor 12 Jahren schürfte man den Quelltopf aus,  fand Opfergaben aus mindestens 6000 Jahren. Egal, denn jetzt fängt der Challenge an und ich dreh auf. Den Jungs, die ich hier verabschiede, werde ich im Ziel eine Stunde abgenommen haben. Es geht aufwärts, immer aufwärts.  Ich bin jetzt hellwach. Der Weg ist nicht einfach zu finden, 5 Waldwege, welchen nehme ich?  Ich könnte die Wegbeschreibung rausfriemeln, aber lieber laufe ich auf Risiko, als mir die Handschuhe auszuziehen. Große Karsttrichter im Wald, mache mir Gedanken, bei der Kälte stürzt vielleicht wieder so ein Ding ein und zieht mich in die warme Unterwelt.

Der Beberteich ist so ein größeres Ding. Herrmann Löns (1908) schrieb über diesen Ort:  „Er liegt auch in gar keiner dankbaren Gegend. Um ihn herum sind lauter sanfte, waldgekrönte Kuppen und nichts als Felder und Wiesen, dazwischen rote schattenlose Wege, tief aufgeweicht bei Westwind, knochenhart und schlecht zu gehen, wenn der Wind von Osten steht. Die Nachtigall zog fort aus dem kahlen Land und der Krebs starb im schattenlosen Wasser. Alles, was nicht bar Geld brachte, schlug man tot.“

Ich hab Kohle dabei, und wenn, dann bringt mich die Kälte um. Die Wege sind so trostlos weit durch diese karge Landschaft. Der Wind fegt den Schnee fort, meine Füße platschen auf den blanken Feldweg, pulverisieren die letzen Glitzerfetzen.

Barbis km 42, der Weg war weit.  Im Jahre 1761 gelang es 6000 französischen Soldaten nach tagelanger Belagerung  die Burg Scharzfels einzunehmen. In Paris war der Jubel groß, da die Burg in  800 Jahren nie erobert wurde. Die Freude wurde dann aber ziemlich gedämpft, als bekannt wurde, dass lediglich Invaliden die Burg verteidigt hatten. An der Dreymannsmühle ergattere ich ein aklfreies Bier am Verpflegungspunkt. Essen kann ich immer noch  nichts, die Geschmacksnerven sind erfroren, was soll ich machen? Nichts! Weiter laufen.

„Der Entsafter“ wartet. Du weisst plötzlich genau, wann er da ist.  Grausamer, stundenlanger, ewig stetiger Anstieg. Irreführende Wege, die ich mich in meinem Ultraschlappschritt hinaufquäle, kein schöner Stil,  aber effektvoll. Ich muss irgendwie an meine Thermoskanne, brauche dringend etwas von dem Orangensaft. Aber es ist ein enormer Aufwand, sich den Rucksack auszuziehen. Dicke Flocken fallen herab, die Sonne kämpft sich durch. Schritt für Schritt, immer weiter, immer härter, immer schöner wird die Landschaft. Höher und höher der Schnee, heller und leuchtender die Sonne, die die Schneelandschaft in eine herrliches Glitzermeer verwandelt. Prallgefüllte Tannenäste, die tiefhängend sich mit der Schneefläche verbinden. Ein Traum wird wahr und ich bin mittendrin.

 
© trailrunning.de 28 Bilder

Jagdkopf, km 54, die Mädels haben es geschafft, hier einen Not-Verpflegungspunkt im Tiefschnee zu errichten. Ich entwickele mich zum Teetrinker, Zimttee, Kamillentee, roter Tee, guter, warmer Tee. Ab jetzt hört die Beschilderung auf, jetzt muss man sich an Hinweisschildern des Nationalparks orientieren. Nicht einfach. Der potentielle Gewinner, acht Mal dabei gewesen, verlief sich, kam eine Stunde später an. Es geht auf der Loipe weiter. Schwieriger Laufuntergrund. Yak-Tracks anziehen, ist  eine Generalunternehmung, wenn man bei km 54 ist. Ich weiss nicht wer es ist. Jemand erklärt mir die Dinger, als ich hilflos mitten auf der Loipe sitze. Es dauert nicht lange und eine Gruppe Ultraläufer sitzt dort, verdammt uncool im kalten Schnee, mit den Füßen in der Luft rudernd wie sterbende Käfer, mitten auf der Loipe und versuchen mit hartgefrorenen Flossen,  sich die Schneeketten über die nassen Schuhe zu ziehen.

Tipp: erstmal zuhause die Yak-Tracks ausprobieren. Die Dinger kann  man aber noch bei der Startnummernausgabe kaufen, sind Gold wert!

Mir war das  so peinlich, dass ich die Dinger irgendwie nur drüber spanne, natürlich verkehrt, nur schnell weg. Aber läuft sich super. Bloß nicht in die Loipenspur treten, sonst dürfen wir nächstes Jahr hier nicht mehr laufen. Ich schau auf die Uhr: Super, ich schaff es unter 10 Stunden.

Herrlicher Sonnenblick auf den Oderstausee. Nicht die große Oder, die entspringt in Tschechien. Diese Oder verliert das meiste Wasser im Karst, es erscheint dann wieder in der Rhumequelle, wo wir vorhin waren. Vorhin? Oh, das ist Stunden her.

„Unser Untergang ist gewiß auf dieses plötzlich eintretende Wetter zurückzuführen, für das es keine Erklärung gibt“ schrieb Robert Scott. Und bei all diesem schönen Sonnenschein, es ist brutal, es wird kälter. Die Füße in den nassen Schuhe schwellen in der Kälte an, wollen mehr Platz. Irgendwelche Lagen der schweissnassen Zwiebelschalen an meinem Oberkörper fangen an zu gefrieren und entwickeln häßliche Reibung. Die Ohren spüre ich nicht mehr, das Stirnband ist in den Haaare festgefroren, lässt sich nicht mehr über die Ohren ziehen. Die Schweisszapfen klatschen mir ins Gesicht.

Wir sind auf dem Kaiserweg, von dem ich beim Marathon von Bad Harzburg berichtet hatte. Viele Handelsleute, Heere und Herrschaften zogen über diesen Stieg. Der Weg ist mehr als 2000 Jahre alt, Granitplatten, Findlinge und Baumstämme befestigten ihn. Mit acht Pferden wurden die Karren über den Harz gezogen. Tiefe Fahrspuren in den Granitplatten (heute unterm Schnee) zeugen zwischen Königskrug und Oderbrück, unseren nächsten Punkten, von der Vergangenheit des Kaiserweges. Kaiser Heinrich IV gelang in einer Nacht-  und Nebelaktion die Flucht über diesen Weg, daher der Name. Heinrich der Löwe, König Philipp, Kaiser Otto, Kaiser Friedrich II und Joe der Erste, alle waren sie hier!

Viel fragen mich, was denkt man bei so einem Lauf? Nun, nicht viel. Ich denke nicht über das Laufen, über Schmerzen oder Probleme nach, ich denke beispielsweise über diesen Weg nach, lasse meine Gedanken über die Jahrtausende schweifen, schreibe an meinem Bericht, wobei vieles  nie erscheinen wird.

Ein bißchen anders ist es heute schon: Es ist unheimlich schwer an den Rucksack zu kommen. Was du nicht an der Körpervorderseite hast, das kostet Überwindung  und Kraft, um dranzukommen.  Stehenbleiben bedeutet frieren, sekundenschnell. Es ist das, wovor wir alle Angst haben: Du darfst dir keine Pause gönnen, dir wird sonst jämmerlich kalt. Du wirst winseln und zittern wie ein junger Hund. Doch es muss sein, ich muss an meinen Rucksack, versuche in der Unordnung zu orten, was ich brauche. Großhirn an tiefgefrorene Hand im nassen Handschuh: „Verdammt, finde was!“   Abgestorbene Finger an Großhirn: „Hand will nicht!“ Magen an Großhirn: „Darf ich etwas beitragen?“

„Die ganze Zeit über musste man sich auch Nasen, Wangen und Ohren auftauen, an denen einen erbärmlich fror. Natürlich hielten wir dafür nicht an, dazu hatten wir keine Zeit. Wir zogen einfach während des Marsches einen Fausthandschuh aus und legten die warme Hand auf die erfrorene Stelle.“ So schrieb  Roald Amundsen  und so halte ich es heute, denn er hat sein Ziel erreicht, und ich werde es auch erreichen, koste es was es wolle.

Beachvolleyball, so nannte jemand die 13 Kilometer lange Strecke: Knietief sacke ich ein, falle hin, stehe auf, knicke um und pflüge auf allen Vieren durch das weisse Pulver. Wäre ja lustig, aber hier geht es ums reine Überleben. Kann mir nicht vorstellen, in meinem erbärlichen Zustand mehr als 10 Minuten im Schnee liegend überleben zu können. Ich muss mich bewegen, muss weiter.

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