Am Abend fahren wir zum etwa 3 km außerhalb der Stadt gelegenen Jägerhaus, wo wir wieder sehr gut mit leckerer Pasta und Salat versorgt werden. Viele von uns übernachten hier oben in Schlafsäcken. Ich schlafe dieses Mal wie einige anderer Starter lieber heute und morgen unten in der Jugendherberge.
Wie gewohnt gibt es am Samstag ab 5 Uhr im urigen Alten Tanzsaal Frühstück. Kaffee, Milch und Tee, Sojadrinks, Rote Beete Saft und andere Getränke, Müsli, Brötchen mit Nutella, Honig, Käse, Marmelade und veganen Brotaufstrichen sowie Obst lassen hier keine Wünsche offen. Die Warteschlange vor den Toiletten ist aber so nervtötend wie vor jeder anderen Laufveranstaltung. Zwei Minuten vor dem Start stehe ich endlich draußen in der Läufermenge.
Um 6 Uhr erfolgt dann der bekannte Ruf: "Brocken Challenge - Here we go!", und etwa 150 mit Stirnlampen gekrönte Läufer starten in die Nacht.
Auf den ersten Kilometern stehen neben dem breiten Weg einige Fackeln. Im Gegensatz zu vielen anderen Jahren ist hier der Weg heute meist schneefrei. Nur ganz vereinzelt liegen noch ein paar eisige Reste. Ich will die schöne Stimmung mit den vielen Stirnlampen und den Fackeln fotografieren, doch das Ergebnis könnte als expressionistisches Kunstwerk in einer Galerie ausgestellt werden.
Nach ein paar vergeblichen Versuchen, doch einen guten Schnappschuss zu schaffen, fährt schon das Besenfahrrad an mir vorbei. Letzter Läufer nach 0,6 km - diese Position kenne ich. Doch heute fühle ich mich fit und bin davon überzeugt, dass ich dieses Jahr schneller als bisher das Ziel erreichen werde. Platzierungen sind mir immer völlig egal, aber ich will heute erstmals den Brocken bei Tageslicht fotografieren. Also gebe ich Gas und arbeite mich langsam nach vorne.
Als wir über das Kerstingleröder Feld laufen, sehe ich viele Sterne am Himmel. Dieses Gelände war bis 1992 Truppenübungsplatz und steht seit 2007 unter Naturschutz. Während wir bald darauf in Richtung Mackenrode bergab laufen, schimmert in der Ferne schon der erste Schein der Morgendämmerung. Ich fühle mich einfach nur glücklich, hier und jetzt unterwegs sein zu dürfen. Vermutlich strahlt das zufriedene Grinsen in meinem Gesicht mit der Stirnlampe um die Wette.
An der ersten Verpflegungsstelle ist es schon hell genug, die Lampe auszuschalten. Dank vieler Sponsoren, vor allem aus der Bio-Branche, ist die BC fast auch ein kulinarisches Erlebnis. An sieben großen VPs, dazu einer kleinen am Jagdkopf, gibt es kalte und warme Getränke, Obst, Kuchen, Riegel, Schokolade, vegetarische Brühe, echte Würstchen und nachgeahmte aus Tofu, und ein entsprechend markiertes veganes Angebot. Hier kann man auch viele Produkte testen, die man zwar schon oft in Naturkost-Läden gesehen, aber noch nie probiert hat. Bei jeder Station werden unsere Startnummern notiert, damit niemand unterwegs verloren geht.
Bald darauf folgt ein kurzer Hindernis-Parcours auf gefällten bzw. vom Sturm umgestürzten Baumstämmen. Dann erreichen wir beim Aussichtspunkt Seulinger Warte offenes Gelände mit guter Fernsicht. 2011 sah ich hier den schönsten Sonnenaufgang seit Jahren und zu meiner großen Freude färbt sich der Himmel auch dieses Mal wieder wunderbar rot. Meine Begeisterung kennt keine Grenzen.
Wieder ist es mir völlig egal, wie viele Leute mich überholen, während ich fotografiere und filme. Ach wie schön, dass ich nicht auf Bestzeiten fixiert bin!
Als ich den Seeburger See erreiche, schiebt sich die Sonne über den Horizont und färbt die Umgebung in goldgelbes Licht. Der 85 Hektar große, aber nur maximal 3,5 Meter tiefe See entstand vor etwa 2500 Jahren durch Einsturz eines unterirdischen Hohlraumes in einem Salzsteinlager. Heute können wir hier ganz normal laufen, doch ich erinnere mich noch sehr gut an das Jahr 2010, als wir auf einer viele Kilometer langen, spiegelglatten Strecke rannten, balancierten und rutschten. War das ein Spaß!
Kurz darauf höre ich, wie zwei Läufer neben mir spekulieren, ob ich wegen der vielen Fotos für ein Laufmagazin arbeite. Einer der beiden ist M4Y-Kollege Mario Bartkowski.
Die nächsten Kilometer über flurbereinigte Landwirtschaftsflächen gefallen mir nicht besonders. Erst der Single-Trail hinauf zum Hellberg trifft wieder meinen Geschmack. Am liebsten laufe ich durch Schlamm, auf steinigen Pfaden oder stark verwurzelten Single-Trails. Asphalt und Betonplatten unter den Schuhen mag ich überhaupt nicht.
Oben auf dem Berg steht die Tilly Eiche, wo im Dreißigjährigen Krieg Feldherr Tilly mit seinen Leuten lagerte.
Bald darauf erreichen wir die Stelle, auf die beim Briefing jedes Jahr ausdrücklich hingewiesen wird, an der aber dennoch immer wieder Leute in die falsche Richtung laufen. Kurz nach Ortsanfang von Rüdershausen muss man von einer breiten Straße nach rechts auf einen schmalen Weg abzweigen. Die an beiden Straßenseiten angebrachten BC-Schildchen mit Richtungspfeil werden gerne übersehen.
Gleich darauf erreichen wir einen Aussichtspunkt mit Brockenblick. Das Ziel erscheint noch sehr, sehr fern zu liegen.