Die letzten Kilometer nach Rhumspringe müssen wir entlang einer Straße laufen. Das gefiel mir noch nie, geht aber relativ schnell vorbei. Nun noch durch den Ort, an verfallenen Industriegebäuden vorbei, dann erreiche ich die Rhumequelle, die drittgrößte Quelle Deutschlands und eine der ergiebigsten Karstquellen Europas.
Nach der Verpflegungsstelle geht es nun lange Zeit auf breiten Wegen durch den Wald. Später laufen wir zeitweise auf Betonplatten durch hügeliges Gelände. 2010 war dieser Abschnitt im tiefen Schnee teilweise recht anstrengend. Heute dagegen kommt auf Beton kein richtiges Brocken-Feeling auf. Die erste Streckenhälfte ist in Jahren mit viel Schnee ein vom Untergrund her äußerst anspruchsvolles Trail-Abenteuer, in milden Wintern wie diesem aber nur ein langer Landschaftslauf auf Asphalt, Betonplatten, breiten Waldwegen und nur wenigen Single-Trails.
Wie wohl auch jeder andere Teilnehmer konnte ich mich gestern kaum entscheiden, mit welchen Schuhen ich starten soll. Eigentlich bräuchte man bei den aktuellen Bedingungen völlig unterschiedliche. Für die ersten 42 km wären leichte Laufschuhe ideal, für den Rest Trailschuhe mit gutem Profil. Da ich trotz des warmen Winters damit rechnete, unterwegs an schattigen Streckenabschnitten noch mehr vereiste Schneereste zu finden als es tatsächlich der Fall ist, laufe ich nun mit den La Sportiva Crossover GTX. Die sind im Winter wegen den integrierten Gamaschen und dem guten Grip im Schnee meine bewährten absoluten Lieblingsschuhe. Aber für so viele Kilometer auf Asphalt und Beton sind sie viel zu steif und koset viel zu viel Kraft. Daher komme ich schwerer als erwartet voran und die Muskulatur an den Waden macht jetzt schon schlapp. Gar nicht gut! Mit meinen Pearl Izumi N2 würde ich mich jetzt sicher noch sehr viel besser fühlen!
Trotzdem gefällt mir der Lauf auch heute. Wie Markus Ohlef gestern beim Briefing in seinem Brocken-Gedicht sagte, können wir notfalls auch "den Brocken in Socken rocken".
In Barbies laufen wir eine Weile quer durch den Ort entlang einer leicht ansteigenden Straße. Das letzte Stück bis zur Verpflegungsstelle fällt mir schwer. Eigentlich müsste ich hier gut laufen können, doch die Wahl der Schuhe fordert ihren Tribut und ich schleiche voran.
Bei der Verpflegungsstelle haben wir nun fast 42 km geschafft, vom Profil her ein durchschnittlicher Landschaftsmarathon. Obwohl die erste Streckenhälfte nicht unterschätzt werden sollte, stimme auch ich der Meinung der meisten Teilnehmer zu, dass erst hier die richtige Brocken-Challenge beginnt.
Gleich nach Verlassen der VP folgt ein kurzer, aber recht anstrengender Aufstieg. Dann kommen viele, sehr viele Kilometer mit meist nur leichter Steigung, die von guten Läufern problemlos schnell bewältigt werden. Das hintere Läuferfeld aber wird eher zu Walkern. Da wir nun sehr lange ohne Versorgung mit Getränken unterwegs sind, wird dieser Aufstieg in den Nationalpark Harz meist als "Entsafter" bezeichnet. Viele der Läufer, die schon mehrmals bei der BC starteten, sehen heute zum ersten Mal, dass der untere Abschnitt des Weges durch das Steinauer Tal mit Kopfsteinpflaster belegt ist.
Ab und zu kommen mir Wanderer entgegen. Manche fragen mich, wo wir heute hin wollen und sind dann überrascht oder sogar schockiert, wenn sie erfahren, dass wir um 6 Uhr in Göttingen gestartet sind und nonstop zum Brocken laufen.
Heute liegt selbst oben am Jagdkopf kein Schnee. Das kenne ich auch ganz anders. 2010 war die Route zwischen Jagdkopf und Lausebuche wegen unpassierbar tiefem Schnee und Gefahr von Schneebruch gesperrt, so dass wir eine andere Route laufen mussten. Da der Jagdkopf nicht mit privaten Autos erreicht werden kann, gab es früher hier nur eine kleine Verpflegungsstelle von einigen netten Damen, die mit ihren Pferden hinauf ritten oder Tee auf einem Schlitten hier her brachten. Dieses Mal wird vom Förster ein Anhänger voll Proviant herauf gefahren. Die netten Leute sind aber zum Glück immer noch dabei, sogar mit leckeren, selbst gebackenen Keksen. Die Abstände zwischen den Läufern sind inzwischen recht groß. Nur ab und zu sehe ich jemanden weit vor oder hinter mir. Es wechseln schneebedeckte und schneefreie Streckenabschnitte. Zwischendurch sehe ich unter mir die Oder-Talsperre, an deren Ufer wir 2010 so lange marschieren mussten, dass ein Läufer ihn als Stausee des Grauens bezeichnete.
Bei km 63 erreiche ich die VP Lausebuche, wo ich wieder mal das unglaubliche kulinarische Angebot genieße. Die Suppe wird in einem großen Kessel auf offenem Feuer zubereitet. Ich bin mit meiner Meinung, dass man bei der BC mehr Kalorien aufnehmen als verbrauchen kann, nicht alleine. Die Herzlichkeit der vielen Helfer an allen Verpflegungsstellen begeistert mich ebenfalls immer wieder.
Bis hier her ist die Strecke gut mit BC-Schildchen markiert. Auf den restlichen Kilometern kann man sich problemlos an den Wanderwegweisern orientieren. Weil es wenig Schnee gibt, dürfen wir die kürzere 80 km Version laufen.
Die schnee- oder eisbedeckten Abschnitte nehmen aber zu, allerdings ohne dass ich meine YakTrax anziehen muss. YakTrax sind so eine Art Schneeketten für Laufschuhe, die sich bei der Brocken-Challenge normalerweise sehr bewähren und auch am Abend zuvor vor dem Briefing verkauft werden. Heute reicht der Grip meiner für diesen Untergrund guten Schuhe. Im Gegensatz zur ersten Streckenhälfte bin ich nun froh über meine Schuh-Wahl. Vor der nächsten VP sehe ich, was Aschu gestern beim Briefing gemeint hat, als er sagte "Bei den Windbeuteln links". Windbeutel sind die groß beworbene Spezialität im Restaurant Königskrug.