Sonntagmorgen, 5:41h, Eisstadion Davos - Die Morgendämmerung hat bereits eingesetzt, aber die tiefstehenden Wolken hindern noch die Sonne, den Schauplatz des Triumphes zu erhellen. Die Gedanken wandern zurück:
In den dunklen Wald zwischen Sertig Dörfli und Clavadel, in dem ich mich von einer Stirnlampe verfolgt fühlte, die aber nicht zu einem Läufer gehörte, sondern der Vollmond war, der immer wieder zwischen den Baumwipfeln durchblitzte. Vor beinahe 4 Stunden der steile Abstieg vom Sertigpass über eine Felswüste, immer wieder leicht wegrutschend – fluchend, sich selbst zur Konzentration aufrufend. Das Lagerfeuer am Sertigpass, wo wir Läufer uns kurz aufwärmten. Trotz Langarmshirt, Mütze und Handschuh (wie froh war ich, die Ausrüstungsempfehlungen des Veranstalters berücksichtigt zu haben) war es dort oben auf über 2700 m mitten in der Nacht mit 9 Grad recht frisch.
Das Hochtal zwischen Keschhütte und Sertigpass, eine Lichterschlange vor und hinter mir, und ein rauschender Bach unter mir – nur hör- aber nicht sichtbar. Schon 6 Stunden ist es her, dass ich von der Keschhütte aufbrach.
Der Beginn des Anstieg zur Keschhütte, kurz nach der Verpflegungsstation Alp digl Chant, das steile Stück, das jeder, der den K78 kennt, fürchtet. Vor 8 Stunden dachte ich dort, dass es nicht mehr weitergeht – alle 20 Höhenmeter eine kurze Sitz- und Verschnaufpause waren nötig, um zu die Krise meistern. Oberhalb des in Wolken gehüllten - jedem K78er bekannten - Val Tuors der grandiose Höhenwanderweg am Piz Darlux in der abendlichen Sonne.
Der endlose Anstieg dorthin im Regen, wo mir einige Läufer entgegenkamen, die sich nachträglich zum Ausstieg mit Sonderwertung in Bergün entschieden haben (beinah 25% der Starter haben davon Gebrauch gemacht).
Und schon unglaubliche 12 Stunden ist es her, dass ich in Bergün aufbrach, wo wir Läufer uns in einer Halle ausruhen und vom ausgezeichneten Verpflegungsangebot Gebrauch machten - wobei es trotz des guten Angebots auf der ganzen Strecke klug war, Selbstversorgung mit sich zu führen, denn für die meist 10 km auseinanderliegenden „Posten“ brauchte ich schon mal 3 Stunden.
Der Weg davor kommt mir schon vor, als ob es Tage her ist. Der lange Abstieg von dem Pass Fuorcla Crap Alv nach Bergün im Albulatal auf dem Bahnerlebnispfad, wo die Wanderer vor stark auftretendem Läuferverkehr gewarnt wurden, und zuvor steil hinab durch ein Felsenmeer. Ganz zu schweigen von dem Aufstieg zu diesem Pass, der steilste des T88, 500 Höhenmeter auf 1,5 Kilometer Distanz. Auch dieser im Regen und schon an meine Leistungsgrenze gehend. Was aber auch daran lag, dass ich 3 Stunden zuvor den Auf- und Abstieg zum Muottas Muragl , dem ersten Berg des Tages, natürlich auch hier beides steil und trailig, unlaufbar – zumindest für mich – zu schnell angegangen bin.
Die ersten Kilometer des Laufes bis Pontresina, laut Profilbild flach, aber ein Straßenlauf auch das nicht. Und der Start in St. Moritz, „erst“ 21 Stunden 11 Minuten und 2 Sekunden zurückliegend.
21 Stunden 11 Minuten und 2 Sekunden zuvor dachte ich beim Start zum T 88 … ja was dachte ich eigentlich?
Ich dachte, dass ich gut vorbereitet bin mit dem gefinishten Thüringen Ultra vor 3 Wochen, mit 100 Km und 2150 Höhenmetern auch nicht ohne.
Dass ich es etwa in der gleichen Zeit von 15 Stunden wie vor drei Wochen schaffen könnte, da es ja heute 15 km weniger wären.
Dass es auf den ersten 46 km bis Bergün eher einfacher werden würde mit nur 1.500 Höhenmeter – also nicht mehr als am Rennsteig. Und ab da kenne ich ja den Weg vom K42 aus dem vorletzten Jahr.
Also alles kein Problem. Zudem war ich erstmals mit Laufrucksack und Stöcken gut ausgerüstet.
(Klaus und Margot Duwe)
Das ist aber nur die halbe Miete, denn was mir fehlt, ist Trailerfahrung. Aber da befinde ich mich in guter Gesellschaft. Denn genau wie ich wollen zahlreiche Läufer „eigentlich“ den K78 laufen. Vor 2 Jahren hatte ich ihn fest eingeplant, musste dann aber wegen mangelnder Vorbereitung infolge orthopädischer Probleme auf den K42 ausweichen. Und dieses Jahr sollte nun ein neuer Anlauf auf den K78 her. Aber, oh Schreck, es gibt ihn nicht mehr, sondern stattdessen den T88.
Andrea Tuffli hat vor mehr als 30 Jahren den Swissalpine ins Leben gerufen. Der K 78 war für viele der erste Bergultra überhaupt und dann lange Zeit das Nonplusultra unter den Bergläufen. Mit 78km (daher die Bezeichnung K78) und ca. 2.500 HM eigentlich für den normalen Flachlandmarathonläufer wie mich unvorstellbar. Weswegen es eben mit dem K42 den kleineren Bruder gab, der aber ebenso über die hochalpine Landschaft zwischen Keschhütte (2629 m hoch) und Sertigpass (2739 m) führte.
Jedoch, die Zeiten ändern sich und Andrea Tuffi passt seinen Lauf den veränderten Bedürfnissen an. Zuletzt gingen die Teilnehmerzahlen beim K78 zurück, dagegen nahmen die Trailruns immer mehr zu. Also wurde die Idee geboren, aus dem K78 einen Traillauf zu machen. Aber Moment mal, war der K78 denn kein Trailrun? Nicht wirklich, denn bis auf das beschriebene hochalpine Stück nebst Auf- und Abstieg ging es meist über Forstwege oder gar Straßen, zwar durchaus mit anspruchsvollem Profil, aber eben kein Trail.
Und das sollte nun anders werden. Neben der Streckenverlängerung um 10 km und der zusätzlichen mehr als 1000 Höhenmeter - daher auch die Bezeichnung T88, T für Trail und 88 für 88km (tatsächlich waren es aufgrund einer Streckenänderung „nur“ 85 km). Das stellt nun einige der anwesenden K78-Stammläufer vor ungeahnte Herausforderungen. Ich kann unterwegs in so manches Klagelied mit einstimmen. Dabei muss man nur das „T“ ernst nehmen, statt zu glauben, 10 km und 1000hm machen bei der ohnehin langen Strecken so viel auch nicht mehr aus. Oder auf die Namensänderung zu achten: Der SwissAlpine trägt jetzt den Zusatz Irontrail.
Und so begann morgens um 5 Uhr am Samstag auf der Schatzalp, einst Kurklinik und jetzt schon lange ein Hotel, dessen Eigner Pius App selbst begeisterter Alpine mit fast ununterbrochener Teilnahme, ein ungeplant langer Tag. Die Schatzalp, bekannt durch die Romanverfilmung von Thomas Mann’s Zauberberg, liegt oberhalb von Davos, ist autofrei und nur mit einer Standseilbahn (und Wanderwegen) mit Davos verbunden. Als ich mich gegen 5.30 gemeinsam mit einer Handvoll anderen T88er in die Bergbahn setze, wird es gerade hell. 10 Minuten sind es von der Talstation bis zum Bahnhof. Wieso Bahnhof? Weil der T88 nicht wie der K78 in Davos beginnt, sondern in St. Moritz. Wir dürfen kostenlos mit einem von zwei extra bereit gestellten Zügen nach Sankt Moritz fahren und treffen dort gegen 07.15 ein. Kostenlos ist übrigens auch die Anreise nach Davos mit der Bahn von jedem Bahnhof der Schweiz aus.
Und nun also Sankt Moritz, noch eine Stunde bis zum Start. Dort treffe ich Klaus, den M4Y-Chef und bedanke mich für die vielen Impulse und Informationen, die ich durch Marathon4you und Trailrunning.de schon bekommen habe. Auch am Start ist das Autorenpaar Andreas Judith, beide habe ich zuletzt auf dem Rennsteig getroffen.
Noch schnell etwas trinken (bereits am Start gibt es Iso-Tea). Zu loben ist das Getränkeangebot generell, denn obwohl es heute nicht mehr als 20 Grad wird, ist viel Trinken in den Bergen angesagt – Sankt Moritz liegt immerhin bereits auf 1822 m Meereshöhe. Und dann die DropBags abgegeben, einmal für das Ziel und einmal für Bergün. Dort befindet neben dem erwähnten Verpflegungsposten auch eine Wechselstation, für Kleider- und Läuferwechsel. Letzteres gilt nur für die Staffelläufer (T88couple oder T88four), nicht aber für mich.
Bergün liegt günstig nach 46 km in der Mitte des Laufes. Oh weh, noch gar nicht gestartet und schon Probleme mit dem Rechnen? Nein, gemeint sind nicht die Kilometer. Die sind für einen Trailrunner alleine nicht so wichtig. Die Höhenmeter machen den Unterschied und die daraus resultierende Belastung bzw. Laufzeit. Beim T 88 erwarten uns die meistern Höhenmeter erst auf der zweiten Streckenhälfte. Das Streckenprofil habe ich fast auswendig gelernt.
Ein Alphornbläser sorgen für typisch Schweizerische Folklore. Dann wird das Duo von Vangelis und Conquest of Paradise abgelöst, der Hymne des Swissalpine. Mir läuft ein Schauer den Rücken runter. Wie oft habe ich mir dieses Stück, beinahe in einer Endlosschleife, angehört.
Gemeinsamer Countdown und START.
21 Stunden 11 Minuten und 2 Sekunden bis zum Ziel – gut, dass ich nicht wusste. Aber auch dann wäre ich gestartet….
T88 Sieger Frauen, 61 Finisher
1. Bleasdale Julia, 1981, Pontresina 9:42.14,4
2. Nunige Jasmin, 1973, Davos Platz 10:09.11,5
3. Hediger-Weiss Katharina, 1972, Berg TG 11:18.37,5
T88 Sieger Männer, 239 Finisher
1. Castanyer Tofol, 1972, E-Soller mallorca 8:20.43,0
2. Armstrong Vajin, 1980, NZL-Christchurch 9:08.23,3
3. Cathry Patrick, 1981, Andermatt 9:08.55,0
Ca. 80 Sonderwertungen in Bergün
T127 Sieger Frauen, 21
1. Zimmermann Denise, 1975, Wangs 18:47.17,4
2. Förster Basilia, 1980, D-Neuried 20:25.12,8
3. Ogi Helene, 1976, Kandergrund 21:06.01,1
T127 Sieger Herren, 92
1. Casanovas Ramon, 1980, Biel/Bienne 15:40.36,4
2. Willcock Patrick, 1976, Müswangen 17:23.32,7
3. Gyger Oliver, 1969, Zweisimmen 18:13.05,3