Zwei Jahre Swissalpine-Abstinenz sind genug, ich kann nicht anders. Nach dem K78, den ich schon drei Mal gefinisht habe, und dem C42 aus dem Jahr 2012, wird nun der K42 den weißen Fleck in Davos auf der Langstrecke beseitigen. Und das reicht mir auch dieses Jahr. Irgendwann werde ich wieder auf die Königsdistanz gehen.
Ganz einfach ist der Streckenverlauf des K42 nicht, denn 1840 positiven stehen 1680 negative Höhenmetern entgegen. Macht in Summe 3500 Meter Höhendifferenz, es gibt also ordentlich was zum Steigen. An Zeit rechne ich mir noch ein Stück drauf und schätze mich ein für fünf Stunden plus X. Die Sollzeit für den K42 ist großzügig bemessen. Der Start ist für die Schnelleren (unter fünf Stunden) für 10.30 Uhr terminiert. Die zweite Startgruppe geht eine Stunde später auf die Strecke. Zielschluss ist um 21.00 Uhr. Da können sogar leistungsstarke Wanderer und Senioren teilnehmen.
Ja, die Schweiz ist nicht billig für uns haben, aber was man für das Startgeld bietet, ist schon erwähnenswert: Die Zugfahrt ab Schweizer Grenze mit der Bahn ist enthalten, es gibt ein Regio-Ticket für den Urlaubsaufenthalt, mit dem man alle Bergbahnen nutzen und auch mit der Rhätischen Bahn bis nach St. Moritz fahren kann. Für die übliche Marathon-Infrastruktur ist gesorgt incl. Massage, Medaille und Funktionsshirt. Es ist an alles gedacht. Ein wenig tragen auch wir Deutsche dazu bei, denn die Zeitnahme besorgt mika-timing. Eigene gelbe Chips können benutzt werden.
Wer bezüglich der Unterkunft nicht sehr anspruchsvoll ist, kann sich in einer der Jugendherbergen einmieten. Die in Klosters hat noch Kapazitäten frei und so finde ich am Abend nach einer übermäßig langen Anfahrt (der übliche Freitagsnachmittagsstau bei München) gerade noch rechtzeitig zum Einchecken ein. Auf der Sechsmannbude sind nur Läufer untergekommen. Vom (noch) schweigsamen K78er Hans bis hin zu einem 81jährigen Waliser, der nicht aus dem Wallis, sondern aus dem britischen Wales kommt.
Am nächsten Morgen gibt es bereits um 04.45 Uhr Frühstück. Während die Ultras sich beeilen müssen, sollten sie mit dem Zug nach Davos fahren, pressiert bei mir nichts. Kurz nach sechs Uhr verlasse ich die Jugi und mache mich auf den Weg. Die Wettervorhersage ist ein wenig unbeständig. Für den Nachmittag gilt eine Regenwahrscheinlichkeit von 40 Prozent, das ist noch recht passabel, später soll der Niederschlag aber intensiver sein. Vielleicht haben wir ja auch Glück.
Mit Informationen und Musik vergeht die Zeit sehr schnell. Dirk Pretorius startet zum ersten Mal auf einem so langen Berglauf. Entsprechend hat er Manschetten und Respekt vor seinem Tagwerk. „Ich rechne mit 12 Stunden und werde viel spazieren gehen,“ unkt er noch. Er ist eigentlich viel stärker als ich, aber vielleicht können wir uns in Bergün oder später auf der Strecke sehen.
Dann werden die Läufer zum Start gerufen. Mit Vangelis „Conquest of Paradise“, der Hymne beim Swissalpine, werden nicht wenige die erste Gänsehaut bekommen. Das große Abenteuer steht unmittelbar bevor. Keiner im Startfeld weiß, wie es für ihn ausgeht. Es wird Höhen und Tiefen geben und damit muss jeder klarkommen.
Es ist für mich schon ein seltsames Erlebnis, jetzt neben dran zu stehen, zu sehen und auch für Euch brauchbare Fotoli (Bilder) mitzubringen. Es dauert einige Minuten, bis die geschätzten 1500 Sportler das Stadion verlassen haben. Für die Fans, Betreuer und Zuschauer ist es einfach, ihre Lieben noch einmal zu sehen. Wir müssen nur hoch zur Promenade und dann können wir die Sportler hinaus in die weite Welt schicken. Nur es dauert fast eine Ewigkeit, bis die Spitze kommt. Noch in einem gemächlichen Tempo. Eine C42-Läuferin befindet sich mit einem Schlussläufer hintendran. Und der Schlussläufer kann gleich noch den Kehrdienst verrichten.
Viel Zeit habe ich nicht, denn frühzeitig möchte ich mit der Bahn nach Bergün reisen (ist im Startgeld enthalten). Es werden sogar einige Sonderzüge angeboten, die die Läufer an den Startort bringen. Und auf der Fahrt nach Filisur, wo ich umsteigen muss, kann ich einige Male Läufer auf ihrem Weg in Richtung Wiesen sehen. An der Haltestelle Monstein müssen gerade ein paar Renner warten, denn der Zug hat Vorfahrt. Und kurz nach dem Bahnhof Wiesen mit dem nachfolgenden Viadukt macht sich gerade einer der Schnellsten auf dem Weg über das Viadukt.
Ich weiß nicht, ob beim Überlaufen einer mit Höhenangst stehen bleiben würde oder ob die Läuferschlange dann einen mitreißt, wenn man verweigert. 210 Meter lang ist das Bauwerk und nach unten geht es 88 Meter. 55 Meter Spannweite hat der Hauptbogen. Ich hatte bei meinen ersten Start das Glück, dass genau zur rechten Zeit ein Zug kam und ich nur noch abdrücken musste.
Knapp 500 Einwohner zählt Bergün, das seit 1943 offiziell einen Doppelnamen trägt. Bravougn, so heißt der Ort auf Rätoromanisch, das inzwischen sehr selten gesprochen wird. Aber immerhin ist dies noch eine offizielle Sprache in der Schweiz neben Deutsch, Französisch und Italienisch.
Was kann ich empfehlen? Nun, wer noch einen Tag dran hängt, der soll unbedingt auf der Albulalinie der RhB (so kürzt sich die Rhätische Bahn ab) nach Preda fahren, ein Ortsteil oberhalb von Bergün. Durch die Kühnheit der Streckenführung mit Kehrtunneln, Galerien, Brücken und Viadukten und der Steinbauweise wurde diese Linie 2008 zusammen mit der Berninalinie in das UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen.
Der Platzturm „la Tour“ stammt aus dem 13. Jahrhundert. Er wurde als Amtssitz der Herren von Greifenstein erbaut. Ich schlendere umher und schaue mir das Dorf an. Leider nicht mehr sportlich gekleidet, sondern, dank dem Regen, in einer Funktionsjacke verpackt. Und das würde ich jedem Teilnehmer empfehlen, bei unsicherer Wetterlage mitzunehmen. Es dauert nicht lange, und es kommt die Spitze entgegen. Alle sind noch knapp beieinander. Was mich wundert, kein Fahrzeug fährt da vorneweg.
An der V-Stelle wird Tee und Bouillon ausgeteilt. Die K78er greifen zu. Gegenüber werden Massagen angeboten. Einer liegt auf der Liege, lässt sich gern fotografieren und dann werde ich munter, denn der Sportler hat vorne eine grüne und hinten eine blaue Startnummer hängen. „Was ist das denn?“ will ich wissen. „Die grüne Nummer ist für C42“, sagt Dr. Norbert Struß. „4 Stunden fünf Minuten war ich unterwegs, jetzt zehn Minuten für die Massage und in zehn Minuten starte ich beim K42.“ Statt EINES Ultras (K78) hat er so ZWEI Marathons in seiner Statistik. Ein Jeder wie er mag.