Der Swissalpin Marathon feiert Jubiläum. 25 Jahre, welch eine Zahl. Kein Mensch hatte vor 25 Jahren dem „verrückten Rennen“ eine solche Lebensdauer, geschweige denn eine solche Entwicklung zugetraut. Als Andrea Tuffli, Ideengeber und OK-Chef, seinerzeit die Gespräche mit Genehmigungsbehörden und potentiellen Sponsoren führte, war man mehr als skeptisch.
Aber der Marathonläufer Tuffli verfolgte sein Ziel mit Ausdauer und Beharrlichkeit. Manchmal nennt man das auch Sturheit. Aber in dem Geschäft braucht man das. Und ein dickes Fell. Beides hat der erfolgreiche Ingenieur offenbar. Zusammen mit dem langjährigen „Streckenarzt“ Beat Villiger und vielen Helferinnen und Helfern setzt er seinen Plan in die Tat um und am 27. Juli 1986 startet der erste Swiss Alpine Marathon.
Die Ultrastrecke ging damals über den Sertig-Pass und war 67 Kilometer lang. Das Interesse bei den Läuferinnen und Läufern und bei den Medien war von Anfang an riesig. 1.200 Teilnehmer wurden gezählt. Davon wagten sich über 900 auf die ultralange Strecke.
Bei der 10. Auflage 1995 schien der Höhepunkt mit über 3.000 Teilnehmern auf den verschiedenen Laufstrecken erreicht. Der Lauf hatte sich längst etabliert und die Ultradistanz galt als eine der härtesten Prüfungen überhaupt. Dann der große Einschnitt 1998. „Jetzt ist er endgültig übergeschnappt, der Andrea,“ war aus dem Umfeld von Tuffli zu hören. Dabei hatte er „nur“ eine Streckenänderung vorgeschlagen. Nicht mehr der Sertig-Pass (der Abstieg über das Geröll zur Chleinalp hatte vielen arg zugesetzt), sondern die Keschhütte und der Scaletta-Pass sollten auf dem Weg zurück nach Davos passiert werden. Die Laufstrecke sollte sich damit auf sagenhafte 78,5 Kilometer bei einer Höhendifferenz von 2.320 Meter addieren. Der K 78 war geboren.
2002 werden erstmals mehr als 4.000 Läuferinnen und Läufer gezählt, beim 20. sind es über 5000. Trotz des anhaltenden Erfolges ruht sich niemand auf den Lorbeeren aus. Immer neue Ideen werden geboren und umgesetzt. Alles kann man dem Tuffli vorwerfen, dass er gegen Neuerungen ist, nicht. Und wenn sich etwas nicht gewährt: „Weg damit!“ In den letzten Jahren ist er in der Hinsicht etwas ruhiger geworden. Nur eine wesentliche Änderung hat er zum Jubiläum vorgesehen – und die hat es in sich. Nachdem es für das zu „knappe Zeitfenster“ schon arge (verbale) Prügel besonders von den Hobbyläufern gab, jetzt der Hammer: „Frühstart“ um 6.00 Uhr für alle, die sich eine Zeit von 12 Stunden nicht zutrauen. Zielschluss um 20.00 Uhr. 14 Stunden Zeit. Ich glaub es nicht.
Auch ohne die geschenkten zwei Stunden hatte ich mir den Davoser Bergultra ins Pflichtenheft geschrieben. 2007, vor meiner Verletzung, war es mein letzter Ultralauf. Jetzt sollte es mein erster danach werden. Ich bin bei weitem nicht so innovationsfreudig wie der Tuffli. „Nur keine Experimente“, denke ich und quartiere mich wie immer auf der Schatzalp (1900 m) ein. Bei Pius App, einem der Besitzer des traditionsreichen Berghotels, fühle ich mich gut aufgehoben. Er ist ein Alpine der ersten Stunde und geht dieses Jahr zum 25. Mal an den Start. Leider reicht es wegen einer OP an der Achillessehne nur zum 11er. Aber Dabeisein ist alles. Wie jedes Jahr hat er spezielle Arrangements für die Teilnehmer, Pasta-Buffet vom Feinsten am Vorabend, extra frühes Frühstück und Sonderfahrt mit der Bergbahn und beste Höhenluft zum Eingewöhnen inklusive.
Apropos Höhenluft. Der deutsche Arzt Alexander Spengler entdeckte die heilsame Wirkung des Höhenklimas in Davos bei Tuberkulosekranken und gründete mit seinem Holländischen Kollegen Holsboer 1868 die Kuranstalt Spengler-Holsboer. Die Kurkliniken schossen danach wie Pilze aus dem Boden. Aber aufgrund neuer medizinischer Behandlungsmethoden ging die Anzahl der Patienten und Kurgäste zurück und die Sanatorien wurden immer mehr in Hotelbetriebe umgewandelt. So auch das 1898 bis 1900 im Jugendstil erbaute Hotel Schatzalm, Schauplatz in Thomas Mann’s Roman „Der Zauberberg“. Heute ist Davos eine weltbekannte Kongressstadt (Weltwirtschaftsgipfel) und das Kongresszentrum normalerweise auch das Veranstaltungszentrum beim Swissalpine. Leider stand es die letzten Male nicht zur Verfügung. Die Startnummernausgabe und die Messe sind daher in der Arkaden-Sporthalle.
Die ganze Woche regnet es in Davos. Aber für Samstag ist Sonnenschein vorhergesagt und nicht mehr als 20 Grad. Noch am Freitag kann man das nicht glauben. Die Berge sind in Wolken und die können das Wasser nicht halten. Obwohl ich nervös bin wie ein Anfänger, schlafe ich auf der Höhe wie ein Murmeltier. Der Wecker reißt mich aus dem Schlaf. Sofort gehe ich ans Fenster, schaue in den Himmel und sehe den hell leuchtenden Mond, tausende Sterne und keine Wolke. Ich bin hellwach.
Obwohl mir das Frühstück die liebste Mahlzeit des Tages ist und das Buffet alle Köstlichkeiten für Läufer und Begleiter bereit hält – ich kriege gerade mal ein Müsli und eine Banane runter. Die erste Bahn fährt pünktlich und ist gut belegt. Natürlich alles Alpines – meist Ersttäter, angelockt vom geänderten Zeitfenster. Die Stammläufer starten meist später. 5913 Anmeldungen registrieren die Veranstalter – und das nach dem Rekordjahr 2009. Alleine der K 78 (1661) verbucht einen Zuwachs von 42 %! Auch der K 42 (1166) und C 42 (361) liegen über dem Vorjahr.
5 Minuten dauert die Fahrt, 5 Minuten der Fußmarsch zum Sportzentrum. Zeit genug, das Gepäck nach Bergün abzugeben und mit den vielen Bekannten einen Schwatz zu halten. 500 Läuferinnen und Läufer sind es bestimmt, die sich für den Frühstart entschieden haben. Nicht alle hätten das notwendig. Manche wollen einfach nur ohne Zeitdruck und Stress die Strecke genießen. Aber bestimmt sind auch ein paar Ehrgeizige dabei, die einmal „vorne mitmischen“ wollen. Jedenfalls sehe ich einige Startnummern, die hier nicht her gehören.