Mit „Conquest of paradise“ und guten Wünschen geht es auf die Strecke. Ich hätte nicht gedacht, dass so früh so viele Zuschauer da sind. Auch in der Stadt sind viele Fans an der Straße, Gäste stehen auf den Balkons der Hotels, es ist fast wie immer. Auch Andrea Tuffli sammelt seine ganz persönlichen Eindrücke. Der Zuruf eines Läufers freut ihn bestimmt ganz besonders: „Danke für die zwei Stunden!“
Es ist kalt, bestimmt deutlich einstellig. Die Sonne erreicht zunächst nur die höchsten Berggipfel, fast herbstlich mutet das Tal an. Ideal zum Laufen, schlecht für Fotos. Aber die Finger sind sowieso klamm. Bis Filisur verlieren wir ungefähr 500 m an Höhe, was aber nicht heißt, dass der Bergultra mit einem schnellen Abwärtslauf beginnt. Gefällstrecken wechseln sich mit teilweise kräftigen Anstiegen ab, die Wege über Wiesen und durch kleine Waldstücke sind meist schmal und rustikal. Ohne den Frühstart hätte ich zumindest bis Chants mächtig Zeitdruck. So aber genieße ich den Luxus, alle Zeit der Welt zu haben. Und jede und jeder, mit der/dem ich rede (und das sind viele), sieht das genauso. Die meisten sind sogar nur deshalb hier. Ohne die „Zugabe“ hätten sie sich den Lauf nicht „angetan“.
Der sonore Treichel-Klang ist schon von weitem zu hören. Es hat Tradition, dass der Bauer vom Spina-Hof die Riesen-Glocke schwingt (die ja keine Glocke, sondern eine Treichel ist) und die Alpines begrüßt. Er ist fit, seine Söhne, die ihn sonst unterstützen, liegen wohl noch in den Federn. Obwohl, wer kann bei dem Lärm schon schlafen? Getränke gibt es auch, dann geht es weiter. 30 Minuten später kommen wir zur Hööhalde mit der St. Peter-Kirche in Monstein (1626 m – km 17) , 1896/97 im Jugendstil erbaut und ein Fotomotiv erster Güte.
Auf dem geteerten Fahrweg laufen wir teilweise ziemlich steil abwärts, bis wir nach der Bahnüberquerung Schmelzboden (1340 m - km 20) erreichen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde hier in mühevoller Arbeit Erz abgebaut. In einem Museum kann man sich darüber ausgiebig informieren. Die Bedingungen waren hart. So sah 1845 die Arbeitszeitregeleung aus: „Die Schicht besteht aus 12 Stunden, um 6.00 Uhr wird angefahren (also der Stollen betreten), um 7.00 Uhr abends wird ausgefahren. Von 12 Uhr bis 1 Uhr ist Ruhestunde.“
Der jetzt folgende Weg durch die wildromantische Zügenschlucht ist überaus reizvoll. Steil aufragende Felswände, wilde Bäche, schmale Stege und dunkle Tunnels bilden die Kulisse. Bilder zum Staunen und Genießen. Der Weg hat leichtes Gefällte, das Laufen fällt leicht und macht richtig Spaß. Bis 1974 war dieser Weg noch als Kantonstraße eine wichtige Verbindung nach Davos.
Etliche Brücken der Rhätischen Bahn sind zu bewundern, die kühnste ist das Wiesner Viadukt, 88 Meter hoch und 210 Meter lang. Kurz nach dem kleinen Bahnhof laufen wir parallel zur Bahnlinie auf den schwingenden Gitterrosten in luftiger Höhe über die Brücke. Wer Glück hat, wird bei seiner Passage von einem Zug begleitet und von den Fahrgästen angefeuert. Ich habe Pech, der Zug kommt mir gerade entgegen. Dafür werde ich vom Bahnsteig her gegrüßt: „Hallo Klaus, wegen Dir bin ich hier!“ „So, und warum stehst Du dann hier rum?“, frage ich den Unbekannten. „Ich nehme den K 42, fange klein an.“ „Gute Idee. Viel Spaß.“
Am Ende der Brücke steht Röby mit zwei großen Kuhglocken und wie immer bunt kostümiert. Was der Didi für die Tour de France, ist der Röby für den Swissalpine. Hat er hier seinen Job getan, geht er auf die Walkingstrecke, um den Zieleinlauf als Aktiver zu erleben. Ein echtes Original.