Man sagt den Menschen nach, dass sie mit zunehmendem Alter Neuerungen gegenüber eher nicht mehr so aufgeschlossen sind. Dann muss der OK-Chef vom Swissalpine ein recht junger Spund sein. Denn als einer, der vor Veränderungen zurück schreckt, war Andrea Tuffli ja noch nie bekannt.
Nachdem er im letzten Jahr für die Verlängerung des Zeitfensters um zwei Stunden jede Menge Zustimmung bekam, bleibt es jetzt natürlich dabei. Damit die Teilnehmerzahlen nach dem grandiosen Alpine-Jubiläum nicht abstürzen, muss er sich aber wieder was Neues einfallen lassen.
Und das kommt dabei heraus: Andrea Tuffli legt die Strecke über den Sertigpass um. Auf dem Papier existiert diese Variante ja immer, als Ersatzstrecke nämlich, wenn der Panoramatrail einmal nicht passierbar sein sollte. Da das bisher nie der Fall war, will er nun einmalig die Ersatz- zur Hauptstrecke machen, um sie in der Praxis zu erproben.
Seine Idee zündet: Die meisten kennen diese Strecke aus den Anfängen des Swissalpine nicht und sehen in der Maßnahme einen zusätzlichen Anreiz. Und die, die sie kennen, freuen sich über das Revival und schreiben sich ebenfalls ein. Das Ergebnis: Die zweithöchste Meldezahl, gleich nach dem Jubiläumsrekord.
Ursprünglich war die Sertigstrecke ja „nur“ 68 km. Weil die Marke „K 78“ nicht angetastet wird, muss die Strecke geändert werden. Das Resultat: „Der schwerste K 78 aller Zeiten“, versichern mir glaubhafte Experten nach dem Lauf. Ich kann nicht mitreden, ich buche vor Ort auf den K 42 um, ohne natürlich, das müsst Ihr mir einfach glauben, solches zu ahnen. Aber, da bin auch ganz ehrlich, ich bedauere es keinen Moment.
Aber langsam, ich mache es immer und fange vorne an.
Sommer in Graubünden war dieses Jahr im Mai, seither ist das Wetter schlecht, bestenfalls durchwachsen. Kaum ein Tag der Woche vergeht, ohne dass es regnet. Auf der Keschhütte liegen am Montag 25 cm Neuschnee. Die Entscheidung zugunsten der Sertigstrecke scheint doppelte und dreifache Berechtigung zu bekommen. Dann kriegt Petrus doch noch die Kurve und das Wetter bessert sich.
Für Expo, Startnummernausgabe und Rahmenprogramm stehen dem längst zum Topereignis avancierten Laufevent im jetzt umgebauten Kongresszentrum wieder angemessene Räumlichkeiten zur Verfügung. Die Teilnehmer freut’s. Hier treffen sich 5.382 Läuferinnen und Läufern aus 62 Nationen. Unter ihnen natürlich der Seriensieger Jonas Buud aus Schweden. „Ja, das ist der Plan“, antwortet er auf die Frage, ob er ein fünftes Mal gewinnen will.
Etwas kleinere Brötchen backt inzwischen die Britin Lizzy Hawker. Vor Jahren gewann sie die Langstrecken nach Belieben (zweimal auch den K 78) und meist in Rekordzeit. Dann riss die Siegesserie fast zeitgleich mit ihren immer häufigeren Starts bei extremen Läufen wie dem UTMB. Ob es da einen Zusammenhang gibt?
Nicht am Start, jedenfalls nicht am K 78, ist Jasmin Nunige. Die ebenfalls zweifache K78-Siegerin verzichtet aus gesundheitlichen Gründen auf die Titelverteidigung auf ihrer Hausstrecke und startet beim Halbmarathon. Die Schweizer Hoffnungen lasten nun auf den zarten Schultern von Maja Meneghin-Pliska, erst kürzlich Siegerin beim Graubünden Marathon und letztes Jahr Zweite beim K 78 hinter Jasmin Nunige.
Sonniges Wetter am Vormittag, Regenschauer am Nachmittag. Alpines mögen solche Vorhersagen. Die Frage, was anziehen, lenkt vom Rennfieber ab. Dabei sollte in den Bergen bei jedem Wetter Wind- und Regenschutz obligatorisch sein. So ein Windstopper oder Goretex-Jäckchen wiegt doch nur ein paar Gramm. Und das bisschen Mehrgewicht eines Trailschuhs gegenüber einem Hochgeschwindigkeitstreter gibt bei 99 % der Starter wohl auch nicht den Ausschlag. Beides gibt es auf der Expo in großer Auswahl, aber nur für teure Fränklis.
Zum Eingewöhnen und zum Akklimatisieren, aber auch zum Schlemmen und Genießen habe ich mich wie immer auf der Schatzalp einquartiert. Schon seit Jahren sind am Alpine-Wochenende Gäste mit bunten Finisher-Shirts aus aller Welt deutlich in der Überzahl in dem 1800 m hoch gelegenen Nostalgie-Hotel. Deshalb richtet der ausgezeichnete Küchenchef seinen Speiseplan auch danach aus. Das im Jugendstil-Restaurant aufgebaute Pasta-Büffet am Freitagabend bekommt von mir vier Sterne. Und das Steinpilz-Risotto sogar fünf.
Soll ich doch den K 78 laufen? Jeder erwartet von mir eine Erklärung, wenn ich mich als K 42er oute. Es hat sich seither nichts geändert, der Swissalpine ist der K 78 (siehe Laufbericht: Der ungeliebte Lauf). Dabei ist es definitiv so, dass der K 42 der schwerste aller Schweizer Bergmarathons ist, vor allem wegen seiner steilen Abwärtspassagen. Gäbe es die Ultrastrecke nicht, wäre er das Maß der Dinge.
Es ist wie immer: Das Frühstücks-Buffet ist vom Feinsten und ich kriege nichts runter. Ein Marmelade-Brötchen, ein Schälchen Müsli, mehr geht nicht. Bei meinem ersten Marathon 2002 in Berlin war es genauso. Geht die Aufregung nie weg?
Ich sitze in der ersten Bahn, die die Alpines in 5 Minuten nach Davos bringt. In weiteren 5 Minuten geht man gemütlich zum Sportzentrum. Gleich zwei Kleiderbeutel können die K 78er deponieren. Einer wird nach Bergün gebracht, einer verbleibt im Ziel. Das ist sehr praktisch. Die Strecke hat bis Bergün nämlich eher Mittelgebirgs-Charakter und man braucht keine extremen Witterungsbedingungen zu befürchten. Ab dort sieht es anders aus. Gut, wenn man bei Bedarf kleidungstechnisch aufrüsten kann.
Bei der Alpine-Hymne „Conquest of Paradise“ bedauere ich, nicht im Feld zu sein. Was soll da aber erst Heike sagen? Sie muss mit kaputtem Bein und feuchten Augen zusehen, wie ihr Thomas und 1400 andere Läuferinnen und Läufer sich auf den langen Weg machen. Dabei sind auch die Teilnehmer am C 42 und K 30.
Mein Start ist um 10.30 in Bergün. Ab und zu hat man als m4y-Reporter ein paar Privilegien. Dazu gehört, dass ich mit dem Pressebus zu meinem Startplatz gebracht werde. Das Interessante ist, dass der Bus in Monstein und Wiesen hält, wo ich das vordere Feld beobachten und Fotos machen kann.