Die Markierung weist uns in Val Tuors, wo es auf der nur mäßig ansteigenden Straße gut zu laufen ist. Das Tal ist wunderschön, die Wiesen bunt, die Berge allerdings teilweise in dichte dunkle Wolken gehüllt. Ich fürchte, meine Jacke habe ich mir nicht umsonst umgebunden. Jetzt aber ist zuerst einmal Laufgenuss entlang des rauschenden Tuorsbachs angesagt. Nur einmal verlassen wir kurz die Straße, um auf einem schmalen Pfad eine weitläufige Kurve abzuschneiden. Ernesto Sicurelli beobachtet meine Fotoarbeit und meint, ihn solle ich auch ablichten, schließlich sei er ein Bergkönig. Stimmt, ich erkenne ihn. Er ist einer von sieben Läufern, die heute zum 26. Mal dabei sind. Wir sind ungefähr gleich alt, allerdings ist Ernesto heute fast 9 Stunden unterwegs, 72 Minuten länger als ich. Ok, er läuft den K 78.
Schon bald erreichen wir die Sennhütten von Davant und wenig später Chants (1822 m, 10 km) mit der bereits dritten Verpflegungsstelle. Während man inzwischen bei vielen extremen Bergläufen wie zum Beispiel beim UTMB teilweise selbst für die Verpflegung sorgen muss, ziehen beim Swissalpine die Veranstalter alle Register. Wasser, Iso, Tee, Obst, Alpine-Brötli, Boullion, Gel, Riegel und zum Schluss auch Cola sind im Angebot. An heißen Tagen sollte man trotzdem eine Trinkflasche dabei haben.
Man ist gut beraten, sich hier ausreichend zu versorgen, denn jetzt wird es alpin. 5,5 km und 810 Höhenmeter liegen vor uns. Gleich nach der Holzbrücke werden im schattigen Wald in ein paar Serpentinen die ersten Steigungen noch relativ bequem genommen. Dann wird der Weg schmaler, rustikaler und steiler, die Schritte langsamer. Die Alpines werden zu Marschierern. Bald finden auch die zähen Latschenkiefern keinen Lebensraum mehr und um uns ist nur noch spärliches Grasland, in dem man aber wie eingestreut viele wunderschöne bunte Blumen entdecken kann. Während es sich hinter uns immer bedrohlicher eintrübt, gibt es vor uns in Richtung der Keschhütte noch große blaue Wolkenlücken.
Das ändert sich dann schnell. Als man bei km 15 die Keschhütte schon deutlich sehen und die Alphornbläser hören kann, fallen die ersten Regentropfen. Es wird windig und kalt. Jetzt haben wir den Salat. Ob es mir gut geht, fragt der Rennarzt. Natürlich geht es mir gut. Ich bin ja erst losgelaufen. Neben der Hütte (2632 m) ist windgeschützt der Verpflegungsposten. Helfer verteilen Schutzumhänge, die reißend Absatz finden.
Die Schweizer Fahne knattert im Wind, vom Piz Kesch und dem Gletscher sieht man kaum was. Ein paar Fotos noch, dann hau ich ab, gerade als die Sonne eine kleine Wolkenlücke findet. Durch die Nässe ist der steile Weg abwärts jetzt mit noch größerer Vorsicht zu genießen. Kaum einer hat einen Blick auf die herrliche Felsen- und Gletscherkulisse, die sich jetzt hinter uns auftut. Die meisten entledigen sich ihrer Folie wieder, die Helfer werden sie mühsam entlang der Strecke einsammeln müssen. Eine halbe Stunde später, es regnet und windet wieder, werden neue ausgegeben.