Auf dem Asphalt lese ich „Allez Yves“ und „Mami und Papi renn“, umrahmt mit einem Kindergesicht. Dann sehe ich Klaus beim Fotografieren stehen. „Weitergehen, nicht stehen bleiben“, spreche ich ihn an. „Du bist zu früh“, seine Antwort. Mehr oder minder steil geht es über Teva (42,4 Kilometer 42,4; 1580 Meter) und Tours Davant (Kilometer 44,9; 1704 Meter) nach Chants (Kilometer 47,2; 1822 Meter).
Ein Franzose spricht mich mit „Süper“ an. Er kann kein Deutsch und Englisch, ich kein Französisch. Aber mit Händen und Füßen können wir uns verständigen, dass wir an einem Lauf durch die großartige Bergwelt teilnehmen dürfen. Mit einem „Allez“ schickt er mich nach vorne.
Dann führt uns der Weg nach einer weiteren Trinkstelle in den Nadelwald. Es wird zunehmend steiler, laufen geht fast nicht mehr. Aber mit einem flotten Wanderschritt kann ich doch immer wieder Läufer einsammeln. Am Berg muss ich meine Stärke ausnützen, denn später werden viele wieder nach Dürrboden an mir vorbeispringen.
Tschüvel (2290 Meter), der Wald liegt hinter uns, grüne Almweiden liegen beiderseits des Weges. Die enden aber dann, es wird steiniger. Wo ist denn die Keschhütte? Die taucht dann in der Ferne auf.
Links sehen wir den Piz Kesch (3417 Meter) und den Porchabellagletscher. Durch die Erwärmung und durch den Eisverlust erscheint jetzt ein neuer Berg, der Piz Alpin. Dann nach einem erneuten Aufschwung erreiche ich die Keschhütte (Kilometer 53, 2632 Meter). Es ist empfindlich kühl, Handschuhe wären nicht das Verkehrteste. Renndoc Andy Grünenfelder schaut hier jeden in die Augen und stellt vielleicht auch eine Frage. Ich lobe die Organisation und den schönen Kurs, der Doc schickt mich weiter.
Helfer teilen Folien aus, die gegen den Wind helfen. Ich verpflege kurz und mache mich dann vom Acker. Hinter der Hütte waren in den letzten Jahren die Keschbuäba beim Musizieren. Denen ist ‘s heute wohl zu kalt oder die Instrumente sind eingefroren. Vielleicht gibt’s für die Musik kein Freibier, denn der Platz ist verwaist. Also weiter.
Es geht bergab. Etwa nach 100 Höhenmetern kommt bei Platta Naira die Streckentrennung. Es beginnt der atemberaubende Trail. Die meisten Läufer gehen weiter nach unten. Der etwa 30 Zentimeter breite Trail ist nur mit Konzentration zu belaufen. Heuer ist sehr viel Wasser auf der diesem Teil. Andrea Tuffli versprach jedem nasse Füße bei der gestrigen Konferenz. Da hat er Recht. Immer wieder sind Murmeltiere zu hören.
Die Gegend betrachten ist unmöglich, außer man würde stehen bleiben. Ich sehe vor mir einige Stolperer und Faststürze. Hinter mit läuft der Andreas. „Das Tempo ist gut,“ sagt er, als ich ihn vorbeilassen will. An einer Stelle des Trails ist ein zwei Meter langes Sumpfloch, wo ich hineintappe.
An der V-Stelle Tagliöl fängt es aus dem heiteren Himmel zu hageln an. Dauert aber nur wenige Minuten. Etwa 300 Höhenmeter unter mir sehe ich die Alp Funtauna, von wo sich die K42-Fraktion hochkämpfen darf. Dafür ist ihre Strecke noch 1,9 Kilometer länger. Sollen wir Mitleid haben mit den armen Schweinen?
Es geht auf den Scalettapass (2606 Meter) zu. Der hat seinen Namen aus dem rätoromanischen s-chaletta, das bedeutet „kleine Treppe“. Im Mittelalter wurde hier Güter zwischen Dürrboden/Davos und Susauna auf Engadiner Seite durch Säumer transportiert. Es zieht hier wie Hechtsuppe.
Es wird wieder kontrolliert. Für den RennDoc habe ich mir ein Spässle überlegt. Ich will wissen, wie der Spruch „im Schweiße Deines Angesichts“ weitergeht. Die Ärztin ist nicht bibelfest und kennt den Spruch nicht. Ich lasse nicht locker, bis sie sagt „im Schweiße Deines Angesichts sollst Du über den Scalettapass gehen.“ Naja, dess lass ma grad no durchgehn. Und auch nur hier und heute. Kennt der Leser denn die Fortsetzung des Sprüchleins?
Etwa vier Kilometer geht es nach Dürrboden hinab. Gut 600 Höhemeter. Obwohl der Weg gut präpariert ist, ist Vorsicht erstes Gebot für mich. Daher werde ich wieder von zahlreichen Läufern überholt. Ist mit hier egal, ich will ja ohne Blessuren ins Ziel kommen.
Nach rund 40 Minuten ist das Gröbste geschafft. Dürrboden (Kilometer 64,4; 2007 Meter), für uns ist das der Ort des Heimkehrens, nur noch 14 Kilometer. Ich laufe auf Manfred Dachs auf, den seine Kniegelenke einschränken. „Du bist gut in der Zeit. Kannst in 9.15 Stunden finishen“. Da ich völlig zeitlos bin, schickt mich der Manne um 15.44 Uhr von Dürrboden weiter. Ich wittere Morgenluft.
Das Dischmatal hinaus bin ich nur am Überholen, lediglich ein einziger kommt noch von hinten. Wer jetzt meint, ja, des geht nur geradeaus auf einer Asphaltbahn, den muss ich enttäuschen. Zwar sind die Wege deutlich besser und auch gut zu belaufen, aber weiterhin sind immer wieder Unebenheiten und Singetrails vorhanden. Da nehme ich halt das Tempo heraus.
Bei Ain, Teufi und Duchlisage wird jetzt Cola gereicht. Ich greife nochmals zur schwarzen Brause. Dann folgt bei Kilometer 75 eine üble Steigung, vielleicht 200 Meter lang. Die kommt mir so vor wie die Fortsetzung der mittelalterlichen Inquisition.
Nach weiteren 1,5 Kilometer kommt der letzte Berg. Mittlerweile haben sich von rechts weitere Teilnehmer dazugesellt. Halbmarathon- und 11-Kilometer-Läufer. Ich schlage ein Kreuzzeichen, dass an uns die Walker vorübergehen. Ich bin früh dran, das ist mein Glück.
Der letzte Kilometer geht dann nach Davos hinein. Ich laufe auf das Stadion zu und dann geht es hinein. Es herrscht eine Bombenstimmung. Aus purer Freude halte ich meine rechte Hand heraus und klatsche noch viele Zuschauer ab. Richtig happy bin ich , als die Zieluhr 16.56 Uhr anzeigt. Ich bin also seit Dürrboden im 5-Minuten-Schnitt die letzten Kilometer gerannt.
Im Ziel schnappe ich mir ein isotonisches hopfenhaltiges Erfrischungsgetränk. Es dauert nicht lange, bis Daniel hereinkommt. Der schaut aus wie 2008. Mit Blutsspuren an Hand, Ellbogen und Knie. Fast wie der Heiland am Kreuz.
War die diesjährige Strecke schneller? Ich habe die Zeiten der Männer und Frauen aus 2008 und 2009 verglichen. Hier allerdings diese Läufer, die genau in der Mitte des Einlauffeldes ins Ziel kamen. Bei den Frauen differiert die Zeit etwa eine Minute (9.58.50 Stunden in 2009; 9.57.18 Stunden in 2008). Die Männer waren dieses Jahr deutlich schneller (9.31.46 Stunden in 2009, 9.45.02 Stunden in 2008). Eine Antwort bringt dieser Vergleich nicht ganz.
Fazit:
Ich habe verhalten begonnen und erst ab Filisur im Anstieg zur Keschhütte „Dampf“ gemacht. Den Panoramatrail bin ich vorsichtig gelaufen, ebenfalls die gefährliche Stellen im Abstieg. So hatte ich während des Rennes, auch wegen der reichlichen Verpflegungsaufnahme keinen Durchhänger. So hat mir das Rennen viel Spaß und Vergnügen bereitet. Schade, dass die Kamera schlapp gemacht hat. Andererseits, mit Fotografieren wäre meine gute Zeit wohl nicht möglich gewesen.
Finisher-Impressionen (Fotos: Margot Duwe)
Ergebnisse
K 78 Männer
1 Buud, Jonas (SWE) Mora 05:48:43
2 Rey, Jean-Yves (SUI) Crans-Montana 06:07:15
3 Armuzzi, Antonio (ITA) Capiago Intimiano 06:09:26
K 78 Frauen
1 Gavelin, Lena (SWE) Frösön 06:41:30
2 Hawker, Elizabeth (GBR) Grossbritannien 06:57:51
3 Nunige, Jasmin (SUI) Davos Platz 06:58:35
1022 Finisher
K 42 Männer
1 Bundi, Gion-Andrea (SUI) Davos Frauenkirch 03:12:43
2 Dai, Matsumoto (JPN) Gunma 03:25:47
3 Strothmann, Dirk (GER) Borgholzhausen 03:28:44
K 42 Frauen
1 Lehmann, Diana (GER) Potsdam 04:05:34
2 Reiber, Carolina (SUI) Zürich 04:06:21
3 Loonen, Kristijna (NED) Vaals 04:06:35
987 Finisher
C 42 Männer
1 Gonzalez, Giovanni (MEX) Distrito Federal 02:32:44
2 Jaunin, Marc-Henri (SUI) Neuchâtel 02:44:26
3 Graf, Noldy (SUI) Speicher 02:51:09
C 42 Frauen
1 Schelbert, Bettina (SUI) Stallikon 03:14:25
2 Zwahlen, Edith (SUI) Davos Platz 03:17:27
3 Schödler, Bianca (SUI) Mülligen 03:22:08
273 Finisher
Erste Kilometer durch die Graubündner Landschaft
Start und Lauf durch Davos
Vor dem Start
Davos, am Vortag
Ausflug nach St. Moritz