Eigentlich hätte mir die Strecke ja bekannt sein müssen: vor einem Jahr bin ich bereits am K42 gestartet. Damals waren die Vorzeichen jedoch irgendwie anders, vor allem die wettertechnischen.
Ich kann mich erinnern, dass unmittelbar vor dem Start ein Gewitter über Bergün zog und das Startfeld durchwegs nass bis auf die Haut war. Der nächste Eckpunkt meiner Erinnerung setzt erst etwa bei Kilometer zehn ein, wo ich mich noch super fühlte. Den Anstieg zur Keschhütte konnte ich mehr oder weniger laufend bewältigen. Eigentlich war ich sogar dazu gezwungen, weil die Temperaturen frostig waren. Zudem versteckten Nebelschwaden den Ausblick auf die bevorstehenden zu bewältigenden Höhenmeter – wovon ich psychologisch betrachtet wohl erheblich profitierte. Dass bereits vor dem steilen Anstieg zur Keschhütte einige Höhenmeter zurückzulegen waren, hatte ich entweder verdrängt, oder einfach nicht wirklich wahrgenommen.
Bevor ich wieder die Hälfte der Strecke vergesse, möchte ich nun meine noch frischen Erinnerungen den Lesern und Leserinnen von MARATHON4YOU.DE/TRAILRUNNING.DE vermitteln.
Also, es sind sich alle bewusst, dass die hohen Temperaturen einen grossen Teil der Herausforderung ausmacht. Diesbezüglich herrscht unter Läuferinnen und Läufern sowie unter den Organisatoren bereits in der Woche vor dem Lauf Einigkeit. Es werden entsprechend zusätzliche Wasserstellen und Duschen eingerichtet. Ausserdem ist der Zuschauer-Support entlang der Strecke und insbesondere in den Dörfern fantastisch: zahlreiche Wanderer bieten den Läufern Wasser an, in den Dörfern stehen Familien am Dorfrand, die Schwämme und Duschen anbieten.
Das hitzebedingte „Upgrade“ an Läufer-Versorgung von außen passt. Wenn jetzt der Veranstalter noch für das stattliche Startgeld das eine oder andere Gel springen lässt und dazu am Vorabend sogar noch einen Teller Nudeln spendiert, wäre das nicht schlecht.
Dieses Jahr reise ich bereits am Vorabend an und stimme mich an der Expo mit der Startnummer in der Hand auf den Lauf ein. Die Unterhaltung und der Austausch mit anderen Läuferinnen und Läufern sowie die – verglichen mit anderen flachen Läufen – doch sehr lockere Atmosphäre, können meine Nervosität etwas mindern. Seit meinem ersten Berglauf vor zwei Jahren weiss ich das besonders zu schätzen.
Das Startfeld ist in zwei Gruppen aufgeteilt – je nach erwarteter Laufzeit: Wer eine persönliche Laufzeit von unter fünf Stunden erwartete, startete um 10:30 Uhr, wer seine Laufzeit auf über fünf Stunden einschätzt, startete um 11:30 Uhr. Aufgrund meiner letztjährigen Laufzeit fällt für mich der Startschuss um 10:30 Uhr – wiederum vom „Conquest of Paradise“ begleitet.
Ja, ich gebe es zu: Der Start jagt mir immer etwas Gänsehaut über den Rücken – die Berge als Kulisse, die bevorstehende Strecke vor dem inneren Auge und die Musik, die mich schon vor dem Lauf in Helden-Stimmung versetzt.
Doch die Gänsehaut hält an diesem Samstag, an dem in der ganzen Schweiz Rekordtemperaturen verzeichnet werden, nicht lange an: Auch in Bergün, auf 1380 m.ü.M. ist es bereits um 10:30 Uhr sehr warm. Ich reihe mich ganz hinten ein. das Feld rollt langsam an und wir begeben uns auf die „Aufwärm-Runde“ um Bergün, um nach 4,5 km nochmal durch den herrlichen Ort zu laufen und uns vom Applaus der Zuschauer ermutigen zu lassen.
Während dieser Schlaufe – ca. bei km 2 oder 3 – stossen übrigens die K78-Läuferinnen und -Läufer zur Strecke des K42. Oder umgekehrt, je nach Betrachtungsweise. Von da an läuft man also mit den K78ern zusammen bis nach Davos, so dass man eigentlich nie ganz allein auf der Strecke ist. Die einen sind froh darüber, andere – wie ich – würden auch etwas mehr „Einsamkeit“ auf der Strecke hinnehmen. Das ist Geschmackssache und „überladen“ ist der Weg ja selten.
Auf der Schlaufe um Bergün gibt es bereits einige kleinere Steigungen. Für mich ist das ideal, denn ich laufe für einen Marathon jeweils kaum oder gar nicht ein und benötige solche kleinen Steigungen, um „auf Touren“ zu kommen. Vergeblich warte ich auf das „km 1“-Schild, und auch „km 2“, „km 3“ etc. wollen einfach nicht auftauchen. Dann auf einmal das Schild „km 35“! Aha, jetzt erinnere ich mich, dass beim Swissalpine die Kilometer rückwärts in fünfer Schritten gezählt und angezeigt werden. Die nächste Tafel kommt also erst etwa bei Km 12, nicht mehr weit weg vom Aufstieg zur Keschhütte.
Bei den meisten Läufen werden ja die gelaufenen Kilometer gezählt und angezeigt. Es ist sicherlich Geschmackssache, aber für mich persönlich ist das hier irgendwie motivierender. Gerade bei steilen Streckenabschnitten ist das andere meist etwas frustrierend.
Die Steigung in Bergün ist bei dieser Hitze bereits eine erste kleine Herausforderung für mich. Danach kommt ein Streckenabschnitt, auf dem sich der Weg in Serpentinen den Hang hinauf schlängelt. Wenig Schatten und die noch relativ geringe Höhe lassen die Läuferinnen und Läufer mächtig schwitzen. Viele werden bereits zum flotten Geher. Einige K78er geben auf und laufen den aufsteigenden Läufern entgegen. Ich fühle mit ihnen. Es braucht doch einiges an Leidensdruck, aber auch Stärke, ein Rennen aufzugeben.
Positives Denken ist für mich angesagt, denn ich habe ja gerade mal etwa zehn Kilometer zurückgelegt. Ich trinke vom ersten Verpflegungsposten an immer einige Schlucke Wasser. Besonders und erschwerten Bedingungen, wie z. B. bei diesen Temperaturen heute, sollte man bei seinen Gewohnheiten bleiben und nichts Neues ausprobieren. Das Wasser trinken in kleinen, wenigen Schlucken hat sich bei mir bewährt, es ist jedoch sicherlich auch Übungssache. Die Verpflegung vor, während und nach einem Lauf ist ohnehin eine Wissenschaft für sich und eine höchst individuelle Angelegenheit.
Nach Chants bei Km 13 auf 1822 m.ü.M. geht es dann los mit dem steilen Anstieg, zunächst noch durch den Wald, also schattig und auf einigermassen breitem Weg. Gut, dass ich hier den Läufer überholen kann, der wahrscheinlich schon tagelang keine Seife mehr benutzt hat. Uff, atmen, es ist auch ohne Gestank und Atemprobleme anstrengend genug.
Zu früh gefreut, der Stinker bleibt dran und überholt mich sogar wieder. Das Ganze wiederholt sich ein paar Mal. Durchhalten, Atmung kontrollieren, ipod aufdrehen, ablenken. Dann kommt der nächste Verpflegungsposten und der grosse Aufstieg zur Keschhütte. Valzana, 1952 m.ü.M., Wasser trinken, Banane essen und Riegel mitnehmen und auf geht’s! In reiner Luft, denn der Stinker braucht eine längere Pause.
Ich habe Respekt vor diesem Aufstieg. Es gibt zunächst nur kaum noch, dann gar keine schattenspenden Bäume mehr, die Mittagssonne brennt erbarmungslos. Der Aufstieg scheint endlos. Mir hilft es, wenn ich mich auf den Weg unmittelbar vor mir zu konzentriere. Wenn ich den Blick hebe und hinaufschaue auf die Läuferschlange auf dem endlosen, steilen Weg, wird mir fast schlecht. An Laufen ist nicht mehr zu denken, ich bin schon froh, wenn ich marschierend irgendwie hinaufkomme. Der Weg ist relativ anspruchsvoll, gespickt mit Wurzeln und grossen Steinen. Auf jetzt über 2000 m.ü.M. werden die Temperaturen halbwegs erträglich. Jedenfalls ist es nicht mehr so heiss, wie gerade noch in Bergün. Außerdem trocknet ein permanentes Lüftchen den Schweiss, der nicht mehr in Bächen herunterläuft. Ab und zu verdeckt eine Wolke die Sonne und es ist sogar ganz angenehm. Obschon „angenehm“ meines Erachtens einfach nicht zu diesem Aufstieg passt.
Tschüvel, ein Verpflegungsposten, welche Wohltat! Wasser und Riegel und weiter. Es ist noch immer kein Ende absehbar, nur die „Wand“, der Weg, der sich in engen Kurven den Hang hinauf schlängelt und die Läuferinnen und Läufer, alle mit sich und dem Weg beschäftigt, viele, mich eingeschlossen, am Kämpfen .
Der Weg wir ein klein wenig bequemer, sogar kurz einmal eben, dann wird er gleich wieder steil. Brücken führen über den Ava da Salect, manchmal überqueren die Zuflüsse auch den Weg. Der Boden ist sehr steinig, man muss sich konzentrieren. Und dann, irgendwann, endlich, kommt die Keschhütte. Vom Speaker namentlich begrüsst eile ich zur Verpflegung. Die Bouillon und das Alpine-Brötchen – einfach himmlisch!
Ich will nicht viel Zeit verlieren, der Aufstieg war zeitraubend genug. Ich nehme sogleich auf den Panoramatrail in Angriff. Der steinigen Trail führt zunächst abwärts, und wird geht dann in ein ständiges Auf und Ab über, bevor dann schliesslich der Aufstieg zum Sertigpass folgt.
Der Panoramatrail ist wunderschön, die Berge rundherum faszinierend. Laufen und schauen geht nicht, man sollte anhalten und die herrliche Bergwelt bewundern. Der hochalpine Trail ist sehr anspruchsvoll und wird von viele kleinen Bäche gekreuzt. Hier ist im Vorteil, wer in solchem Terrain trainieren kann, vor allem auch das Abwärtslaufen. Auf alle Fälle sollte man für den Swissalpine etwas Berglauferfahrung mitbringen.
Beim Aufstieg auf den Sertigpass muss man dann wieder richtig „beissen“. Die Unterstützung der vielen Wanderer unterwegs ist gross: Alle machen brav Platz und lassen die Läufer vorbeiziehen, sie feuern an, klatschen und sie bieten immer wieder Wasser an.
Oben auf dem Sertigpass überqueren wir auch dieses Jahr Schneefelder. Ausserdem sind die Temperaturen hier auf über 2500 m.ü.M. absolut erträglich und sehr angenehm. Da sollte, Photo!, ein Lächeln in die Kamera möglich sein. Auch weil der höchste Punkte der Strecke erreicht ist.
Was folgt ist ein happiger Abstieg auf sehr felsigem und rutschigem Boden, Vorsicht ist geboten. Sicherheitshalber läuft man eher langsam den Hang hinunter, denn die Beine sind vom Aufstieg müde, allenfalls ist auch die Konzentration nicht mehr so gut, wie sie anfangs war, und es wäre äusserst schade, hier zu stürzen und sich zu verletzen.
Etwas mehr als die Hälfte ist streckenmässig geschafft: 23.5 km hat man bis zum Sertigpass zurückgelegt. Die Alpines sind auf dem Trail gut verteilt, manchmal sehe ich weit und breit niemanden. Einmal bin ich mir, trotz sehr guter Markierung, nicht sicher, ob ich noch richtig bin. Dann sehe ich ein paar Läufer vor mir und beeile mich, sie einzuholen. Hier oben, mitten in den Bündner Bergen, möchte ich mich dann doch nicht verirren. Ich muss nämlich gestehen, dass ich mich in unbekanntem Gelände „gerne“ mal verlaufe und auch schon mal erst Stunden später wieder den richtigen Weg gefunden habe.
Kurz vor der Chüealp kam das Schild, das uns signalisierte, dass noch 15 km bis zum Ziel zurückzulegen sind. Das beflügelt mich regelrecht und ich fühle mich verhältnismässig gut. Immer noch trinke ich gewohnter Weise Wasser bei den Verpflegungsstellen.
Eine Weile laufe ich mit einem K78-Teilnehmer ganz flott bergab, bis er mich fragt, ob ich auch den K78 laufe. Als ich verneine und scherze, dass ich also in keiner Weise eine Konkurrenz für ihn sei, wird er tatsächlich sofort langsamer.
Fast die gesamte zweite Hälfte läuft relativ gut für mich. Kurz vor dem „km 10“ Schild steht eine Frau plötzlich mitten auf den Weg und streckt mir ihre Hand entgegen. Erst mit einiger Verzögerung erkenne ich die ehemalige Arbeitskollegin. Die Überraschung ist geglückt und ich bekomme einen zusätzlichen Schub.
Kurz nach Sertig Dörfli ist wieder ein Fotograph stationiert, also kurz versuchen, ein Lächeln hinzukriegen, oder zumindest nicht grade völlig abgekämpft auszusehen. Danach folgt ein Stück auf schmalen Wegen, glücklicherweise meistens durch den Wald. Der Trail geht hier ständig leicht auf und wieder abwärts. Wer noch etwas Energie hat, kann hier aber gut weiterlaufen, muss einfach nur das Tempo etwas anpassen.
Eine längere Zeit bin ich inmitten einer Gruppe K78-Läufer. Eine eigenartige Ruhe, Vertrautheit und so etwas wie Fürsorge ist in der kleinen Gruppe sofort spürbar. Jeder achtet auf den anderen, keinen lässt man zurückfallen. Alle laufen wir den gleichen Rhythmus und fast ist es so, als ob sich die Gruppe als Ganzes bewegen würde – das ist mir noch nie passiert bei einem Lauf. Dennoch löse ich mich dann bei einem der kleinen Anstiege von der Gruppe. Schliesslich haben sie bereits 35 Kilometer mehr als ich in den Beinen und ich spüre, dass ich das Tempo auf den letzten fünf Kilometern eher noch etwas erhöhen kann.
Die Strecke zieht sich dahin und das Schild, das die letzten zwei verbleibenden Kilometer anzeigt, will einfach nicht erscheinen. Als ich es endlich erspähe, versuche ich nochmals Gas zu geben, aber dann sehe ich einen letzten kleinen Anstieg. Bevor ich gehen muss, schaue ich stur auf meine Füße und kann im Laufrhythmus bleiben.
Dann kommt der letzte Kilometer durch Davos, kräftig unterstützt und angefeuert von den Zuschauern, schliesslich die letzten paar Meter durchs Sportstadium. Das Ziel! Endlich! Wow! Es ist wieder ein tolles Gefühl ,die Ziellinie zu überqueren. Ich brauche immer eine kurze Zeit, um mir klar zu machen, dass ich nun nicht mehr zu laufen brauche. Heute steuere ich jedoch schnellstens die Getränketische an und stürzte einige Becher Eistee runter – super lecker und perfekt in diesem Moment!
Ich bin gespannt, ob mir auf dem Finisher-Video ansieht, wie froh ich bin, das Ziel zu erreichen ..
Noch im Zielbereich erhält man die Finisher-Medaille und –Shirt. Ich stakste mit etwas steifen Beinen zum Gepäck und zu den Duschen. Danach fühle ich mich wie neu geboren und gekräftigt genug für den Marsch zum Bahnhof. Die Fahrt heimwärts verbringe ich zufrieden schlafend, wie fast immer.
Schön ist es in Davos, eine tolle Stimmung, das Wetter zwar warm aber herrlich und die Strecke einmalig! In diesem Sinne: Bis nächstes Jahr am Swissalpine…
1 Buud, Jonas (SWE) 06:13:28
2 Armstrong, Vajin (NZL) 06:21:10
3 Hugenschmidt, Stephan (GER) 06:26:47
Frauen
1 Nunige, Jasmin (SUI) 06:53:00
2 Huser, Andrea (SUI) 07:34:29
3 Benson, Bernadette (AUS) 08:21:07
877 Finisher
Männer
1 Bundi, Gion-Andrea (SUI) 03:29:30
2 Van Rie, Koen (BEL) 03:43:43
3 Manser, Walter (SUI) 03:44:54
Frauen
1 Matrasova, Katerina (CZE) 04:24:47
2 Schlegel, Sonja (SUI) 04:28:48
3 Ek Gilgien, Sabine (SUI) 04:40:31
1038 Finisher
Männer
1 Eisenring, René (SUI) 03:18:19
2 Mertens, Gert (BEL) 03:19:16
3 Schär, Sven (SUI) 03:27:14
Frauen
1 McCarey, Bridie (USA) 03:17:04
2 Sobrino, Karen (RSA) 03:48:48
3 Girsberger, Valerie (SUI) 03:52:56
257 Finisher