Fernreisen sind ja voll im Trend, doch das Gute liegt manchmal näher. Wo kann man denn Laufen und Familie noch ideal unter einen Hut bekommen? Eine Chance bietet sich jedes zweite Jahr am Ostermontag auf einer kleinen Insel. Ruhe und Entspannung sind angesagt? Ein kleiner Familienurlaub ist da eine gute Lösung. Und wenn der das Budget nicht sprengt, umso besser.
Groß genug zum Laufen sollte sie aber schon sein, die Insel.
Schön genug zum Wandern auch, Palmen sind kein Muss.
Ruhig genug zum Entspannen.
Interessant genug für die gesamte Familie, auf jeden Fall.
Gibt es das? Ja, auf Texel (liegt vor Nord Holland). Dort habe ich schon immer all das gefunden.
Holland steht natürlich für Wohnwagentourismus, also fällt die Quartierwahl auf so etwas Ähnliches, aber ziemlich Komfortables. Es nennt sich „Chalêt“ und ist ein festinstallierter Wohnwagen ohne Räder mit gut 40 qm Wohnfläche und Zentralheizung.
Gebucht, losgefahren und nach knapp 5 Stunden, inklusive der kurzen Fahrt mit der Autofähre, sind wir auf der Insel. Die Tage vor dem Lauf können wir bei phantastischem Wetter und strahlendem Sonnenschein genießen und einige geführte Wanderungen mit dem Staadsbosbeheer (Naturpark-Ranger) zur Löffler-Kolonie machen. Jetzt ist Brutzeit, deshalb sind einige Nistgebiete nur mit Rangern zu betreten. Das Erlebnis ist einzigartig, weil man sehr nah dran ist.
Am Ostersonntag kann man schon die Startunterlagen im Zielbereich abholen. Das Ganze spielt sich in der „Jugendherberge“ Stay Okay ab, wo man auch günstig für 19 Euro übernachten kann. Die lange Schlange an der Startnummernausgabe ist schnell abgearbeitet und ich erhalte meine Startnummer mit dem Wunschnamen: X-Ray Peter. Naja, ich bin halt mit Leib und Seele der Röntgenmann. Diesmal gibt es ein tolles Funktions-Poloshirt als Geschenk. Mal was Anderes.
Dann ist er auch schon da, der Ostermontag. Diesmal nehme ich den Shuttlebus vom Ziel zum Start, wo sich die Läufer, die erst heute ankommen, im NIOZ (Nationales Niederländisches Ozeanographisches Institut) die Startunterlagen holen können. In deren Kantine kann man in alle Ruhe frühstücken. Ich gebe meine Verpflegung für die 3 Hauptversorgungspunkte bei km 15, 30 und 45 ab. Ist aber eigentlich gar nicht notwendig, die offiziellen Verpflegungspunkte alle 5 km sind sehr gut bestückt.
Zwei Strecken stehen zur Wahl - was soll ich laufen? Die 120 km oder die 60 km (zestig) werden von Piet Bakelaar und Martien Baars angeboten. 120 km, das sind 2 Runden um die Insel (einmal gegen und einmal im Uhrzeigersinn). Die 60 km sind „nur“ 1 Runde im Uhrzeigersinn.
Für mich keine Frage, die geforderte Zeit von 11 Stunden für die 120 km entspricht nicht meinem Leistungsniveau. Also darf ich etwas länger schlafen, denn die 120 km werden noch in der Dunkelheit um 4.35 Uhr gestartet.
Da ich die Strecke kenne, weiß ich, auf was ich mich einlasse. Auf mich und alle anderen wartet eine der schönsten und abwechslungsreichsten Ultrastrecken der Niederlanden, wenn nicht gar Europas. Die Streckenlänge, ähnlich wie beim Röntgenlauf (den ich organisiere), jedoch ohne „unsere“ Höhenmeter, gaukelt eigentlich einen leichten Parcours vor. Das täuscht, denn Dünen und Sand sind natürliche Hindernisse. Also auch diesmal respektvoll ans Werk gehen. Aber nicht zu defensiv, denn die Sollzeit liegt bei kernigen 7 Stunden.
Neu ist der Chip in der Startnummer. Bisher waren ja nur 350 Teilnehmer zugelassen, diesmal 750! Am Start, der diesmal unten im Dorf t’Horntje stattfindet, wird uns die Durchgangszeit des Führenden über 120 km mitgeteilt: 4 Stunden 37 Minuten, das ist einfach Klasse.
Um 10.35 Uhr geht es dann los. Wir erhalten die letzten Instruktionen, dann fällt der Startschuss.
Die ersten 4 km geht es flach rund um eine große Bucht zum Strand, den man zwischen den Horspoldern, 2 kleinen Seen in den Dünen, erreicht. Hier ist die erste Verpflegungsstelle. Vom Meer jedoch noch keine Spur, denn der Strand ist hier mehr als 3km „tief“. Außer feinem, fast weißem Sand sieht man nun die nächsten Kilometer nichts mehr. Die Teilnehmer schlängeln sich, geleitet nur von kleinen roten Fähnchen im Sand, durch diese surrealistisch „Wüsten-Einöde“, bis man dann endlich das Meer erreicht und nun einige Kilometer am Wasser entlang läuft. Alle 5 km gibt es eine Markierung, die uns anzeigt, wie viele Kilometer noch zu laufen sind.
Heute lässt es sich an der Wasserlinie gut laufen, da endlich einmal Ebbe ist. Bei 8° Lufttemperatur und starkem Wind herrschen trotzdem keine idealen Bedingungen. So geht es im Gänsemarsch an den rauschenden Wellen vorbei. Nach 12 km biegen wir dann vom Strand ab und es geht in die Dünen.
Recht bald kommen wir in den Wald und einige Kilometer kann man sich tatsächlich etwas erholen. Es regnet inzwischen und wird die nächste Stunde auch so bleiben. Nach einem weiteren Verpflegungs- und dem ersten Staffelwechselpunkt, geht es weiter und wir dürfen den ausgedehnten Dünengürtel erneut durchqueren. „De Duinen van Texel“, also das Dünen- und Strandgebiet an der Westseite der Insel mit einer Ausdehnung von fast 30 km, ist ein ausgewiesenes Naturschutzgebiet, das seines Gleichen sucht. Ich finde es immer wieder erhebend, durch solche vom Menschen weitestgehend unberührte Gegenden zu laufen, um sich gedankenverloren mit der Natur im Einklang zu finden. Das ständige Auf und Nieder der Wege, die Stille, die nur durch Vogelgeschrei unterbrochen wird, das Brechen der Wellen am Strand, das alles macht die Westküste von Texel aus.
Wir durchqueren die Nederladen, ein flaches, beweidetes Gebiet in den Dünen, und kommen zur de Muy. Hier grasen die schwarzen, stark behaarten Wildrinder, die sich durch die Läufer keineswegs gestört fühlen, obwohl fast „hautnah“ an ihnen vorbeilaufen. Das ganze Gebiet ist durch eine lange Dünenreihe, die hier in weiten Teilen künstlich angelegt wurde, vor dem Meer geschützt.
1851 brach diese Dünenreihe während eines sehr schweren Sturms an drei Stellen, und zwar im Bereich des Muy, des kleinen Slufter und etwas südlich des Weges beim Krim (großer Slufter). 1878 wurde der Durchbruch beim Muy wiederhergestellt, der große Slufter wehte zu, während es den kleinen Slufter immer noch als idealen Lebensraum für viele Vögel (z. B. Löffel- und Graureiher) und seltene Pflanzen gibt. Wegen des Salzwassers, das regelmäßig in den Slufter eindringt, wächst hier zum Beispiel viel Strandflieder, der den Slufter in den Monaten Juli und August auf weite Flächen violett färbt. Andere Pflanzen sind Salzgras, etwas seltener ist die Grasnelke. Auch hier her kann man sich von den Naturpark-Rangern führen lassen.
Von der Laufstrecke aus hat man einen schönen Blick auf dieses Gebiet. Der hohe Deich macht‘s möglich. Wir laufen die Sluftertrap hinuter zur zweiten Staffelwechselzone. Die Staffeln sind übrigens 30, bzw. 60 Minuten später gestartet. Insgesamt laufen in 175 Teams 700 Läufer und Läuferinnen mit. Ab hier ist die Strecke „fahrradtauglich“. Gut für viele Begleiter, so auch für meine Frau Martina, die mich mental unterstützt.
Nach 32 km erreichen wir den Leuchtturm an der nördlichsten Spitze der Insel. Der kräftige, rote Turm an der Nordspitze der Insel ist so etwas wie ein Wahrzeichen der Insel Texel. Er kann fast das ganze Jahr über besucht werden. Nach einem Anstieg über 153 Treppenstufen hat man einen herrlichen Ausblick über die Nordsee, das Wattenmeer und auf die nahe gelegenen Nachbarinsel Vlieland.
Erbaut wurde der Leuchtturm 1864, nachdem sich der Texeler Notar Kikkert jahrelang dafür eingesetzt hatte. Die Gewässer waren dermaßen gefährlich für die Schifffahrt, dass vor dem Bau des Leuchtturmes hier jedes Jahr Schiffe sanken. In einer kleinen Ausstellung kann man sich hierüber informieren, ebenso über die bewegte Geschichte des Turmes, wie z. B. vom blutigen Aufstand der Georgier am Ende des Zweiten Weltkrieges. Damals, kurz vor Kriegsende, fielen 800 Georgier über 400 Deutsche her, die in der gleichen Brigade dienten, und töteten fast alle. Einige Überlebende riefen Truppen vom Festland zu Hilfe, die fast alle Georgier töteten, dazu als Repression noch 10 Texeler. Heute Morgen gab es eine Gedenkfeier an der Mok, in der Nähe von Km-Punkt 4.
Von hier geht es nach de Coksdorp. De Cocksdorp ist das jüngste Dorf auf Texel. Es entstand 1835 bei einem kleinen Hafen. Nun lernen wir den „bewirtschafteten“ Teil Insel kennen. Es geht über Deiche und am Watt vorbei. Das Wattenmeer ist übrigens UNESCO Weltnaturerbe und einzigartig. Die vielen Krebse, Muscheln und Wattwürmer ist schon ein tolles Erlebnis. Weiter geht es durch kleine malerische alte Dörfer wie Oost und Osterend, wo wir von zahlreichen Schaulustigen trotz des kalten Wetters lebhaft gefeiert werden. Ich finde, dass Oosterend mit seinen malerischen Straßen, den alten Giebelhäusern und der mittelalterlichen Maartenskerk, das schönste Dorf auf Texel ist. Einige Geschäfte, Restaurants und ein Café beleben das Dorf, das etwa 1300 Einwohner hat.
Wir verlassen Oosterend und laufen nach Süden in Richtung Oudeschild. Der Ort ist jetzt schon zu erkennen, wegen dem hohen Windrad. Zuerst sehen wir die Industriebebauung mit der Schafwoll-Fabrik, bevor wir uns dem eigentlichen Hafengebiet nähern. Im Hafen von Oudeschild, wo es auch ein tolles Schifffahrtsmuseum mit Windmühle gibt, laufen wir an vielen Schiffen vorbei, die auf günstigen Wind warten, um mit einem Lotsen an Bord in See zu stechen. Hier begannen viele Entdeckungs-, Kriegs- und Handelsreisen. Bei Stürmen ist es aber nicht ungefährlich hier. An Heiligabend 1593 gingen fast 200 Schiffe unter.
Direkt hinter dem Hafen geht es leicht bergauf. Wir verlassen den Ort am Kilometerschild 55 und überlassen uns für die letzten 5 km dem Wind. Riesige Narzissen- und Tulpenfelder lenken uns etwas ab. Dann sehen wir in der Ferne Ben Burg, das größte Dorf der Insel. Hier wohnt etwa die Hälfte der fast 14.000 Insulaner. Texel als Ganzes hat seit 600 Jahren Stadtrechte, was Anlass vieler Feierlichkeiten ist.
Vor dem Ziel wird es noch einmal beschwerlich, der Hooge Berg, mit 15 HM nach den Dünen die höchste Erhebung auf der Insel, will erklommen sein. Der Empfang im Ziel ist eher verhalten, da ich die vorgeschriebene Sollzeit um 12 Minuten verpasse. Weit über 100 Läuferinnen und Läufern geht es ebenso. Trotzdem bleibt mir nicht dieser kleine Schönheitsfehler in Erinnerung, sondern der herrliche Lauf in einmalig schöner Landschaft.
In zwei Jahren bin ich wieder dabei.
Ergebnisse:
120 Km Männer:
1. Paul Giblin, Paisley, 9:24:15 std
2. Daniel Orálek, Brno, 9:59:29 std
3. Christiaan van Meurs, NL, 10:39:30 std
120 km Frauen:
1. Leonie van den Haak, Stitger, 10:47:00 std
2. Mildred Haans, Lommel, 10:53:51
3. Jannet Lange, VN; 12: 38:28
60 Km Männer:
1. Iwan Kamminga, Aquilo, 3:59:29 std
2. Pascal van Norden, Gouda, 4:00:23 std
3. Huub van Noorden, AV’56, 4:00:57 std
60 km Frauen:
1. Marieke Janssen, Milsbeek, 4:33:56 std
2. Irene Kinnegim, Voorschoten, 4:42:14 std
3. Marjan Oostings, VN, 5:01:27 std