Nicht, dass ich konditionell Fortschritte gemacht hätte, eher das Gegenteil ist der Fall, denn eine Woche nach meinem letzten Einsatz, der mit einem DNF geendet hatte, legte mich das Virus flach. Die Wanderungen in Schweden danach, auf anspruchsvollen Wegen über Felsblöcke, gaben mir jedoch ein gutes Gefühl und machten vor allem Lust auf mehr.
Ein Abgleich meiner Agenda und der Terminliste der Läufe lässt mich ein mir bis anhin unbekanntes Traillauf-Erlebnis ins Auge fassen: Der Weiße Ring – Die Traillaufchallenge. Angeboten werden die kleine und die große Heldenwertung sowie die Heldenstaffel. Terminlich passt es, jetzt muss ich nur noch herausfinden, ob die zu bewältigende Strecke meine Schuhgröße hat.
Es gibt erst einen Laufbericht, welcher mich aber nicht weiterbringt, denn als Anton die große Heldenwertung laufen wollte, musste das Laufprogramm aus Wettergründen auf die kleine Runde eingedampft werden. So muss ich meine Entscheidung basierend auf den heruntergeladenen GPX-Daten und Google Earth treffen. Mein Fazit: Für mich konditionell machbar – allerdings mit dem Damoklesschwert der beiden Cut Offs über mir schwebend.
Die Wetteraussichten für Samstag sind alles andere als gut und der Starkregen am Freitag macht mich nachdenklich. In meiner Mailbox finde ich am Freitagabend die Mitteilung, dass die große Heldenwertung aus Sicherheitsgründen auf den zweiten und dritten Teilstrecken auf einer Alternativroute gelaufen wird. Gleiche Distanz, jedoch 1000 Höhenmeter weniger.
Bei der Hinfahrt zeigt mir das Navi am Samstagmorgen eine beträchtliche Anzahl wegen Hochwasser gesperrter oder nur einspurig befahrbarer Straßen im unteren Rheintal an. Bregenz hat seit Beginn der Messungen noch nie eine solche Menge von Regen innerhalb von 24 Stunden abbekommen. Was mich heute wohl erwartet? Immerhin lichtet sich der dichte Nebel am Arlberg je mehr ich mich Lech nähere.
Dort angekommen, nieselt es nur noch und auch sonst ist alles überschaubar. Die Parkgarage in kurzer Distanz zum Start- und Zielbereich auf der einen und der Garderobe zur anderen Seite verlangt im Sommer eine angemessene Tagesgebühr von fünf Euros. Das Geschäft wird im Winter gemacht.
Die Startnummer halte ich in Nullkommanichts in meinen Händen, was insofern schwierig ist, als dass ich diese brauche, um den prall gefüllten Goodybag zu tragen. Wie wenn ich eine Shopping Attacke hinter mir hätte, gehe ich zurück zum Auto. Eine der Gaben muss allerdings mit der Pflichtausrüstung mitgeführt werde: Der Klapp-Trinkbecher.
Unser Start verschiebt sich um eine Viertelstunde und findet gemeinsam mit den anderen beiden Bewerben statt. Zuvor haben sich vom Rüfikopf her kurz ein paar Sonnenstrahlen gezeigt. Ein Versprechen oder ein gemeiner Stinkefinger? Wir werden es sehen.
Wer hinten startet, hat die bessere Sicht. Es ist eindrücklich, wie sich das große Starterfeld die steile Wiese hochzieht, die gleich hinter dem Startbogen beginnt. Bald schon wird der sehr saftige Untergrund durch einen gut zu belaufenden Weg ersetzt, der nach Oberlech führt, wobei das Feld schon jetzt weit auseinandergezogen ist.
Auch wenn es für uns am heutigen Tag unbedeutend ist, bin ich fasziniert davon, dass in Oberlech 1996 ein Tunnelsystem gebaut wurde, über welches die Versorgung der zahlreichen – und nicht gerade kleinen – Hotels erfolgt.
Der heftige Regen hat teilweise tiefe Furchen in den Weg gegraben, was jedoch keine Probleme beim Begehen verursacht. Auf dem Petersbodenweg geht es weiter, bis er nach bisherigen 400 Höhenmetern in einen geschotterte Güterstraße einbiegt. Wenig später ist auf der linken Seite die Bergstation der Sesselbahn Petersboden zu sehen, bevor es das erste Mal in die unmittelbare Nähe der Gipslöcher geht. Bei diesen handelt es sich um über 1000 Dolinen, wobei die größte einen Durchmesser von nahezu 100 m und einen Krater von 35 m Tiefe aufweist. Zudem wachsen hier zwanzig unterschiedliche Orchideenarten. Gut zu wissen für einen Ausflug ohne Wettkampfbedingungen.
Wenig später erwartet uns auf der Kriegeralpe die erste Verpflegungsstelle. Die ist ein Abbild aus dem Lehrbuch, für mich ist aber die Flüssigkeitsaufnahme das Hauptthema, nachdem ich einen Teil meines Vorrats bereits eingedampft habe. Noch ein kurzer Aufstieg und der höchste Punkt des ersten Teilstücks ist erreicht. Links ist ein Speichersee, rechts die dritte Stelle der Gipslöcher.
Von hier an werden die Höhenmeter wieder abgebaut. Durch das Zugertobel führt die Strecke hinab nach Zug. Zu Beginn etwas steil, doch ich vermisse die Stöcke nicht, auf welche ich heute nach langem Abwägen verzichte. Später kann ich es auf der geschotterten Güterstraße schön rollen lassen.
In Zug wartet die nächste Verpflegungsstelle mit freundlichen Helfern und die Weiche der beiden Strecken. In der Hoffnung zum großen Helden zu werden und es nicht nur zu versuchen, gehe ich rechts und hinein in den nächsten Anstieg. Auf kurzer Distanz liegen weitere 300 Höhenmeter an. Mittlerweile zeigt sich, dass die Sonnenstrahlen vor dem Start kein Stinkefinger waren, sondern ein Versprechen. Ich genieße die Rundsicht und kann dem Pferd, das auf mich zukommt, in Ruhe die eingeforderten Streicheleinheiten geben.
Dann geht es statt rechts auf der Originalstrecke in Richtung Madloch nach links, zurück nach Lech. Es ist ein wunderschöner Bergwanderweg mit echtem Trailcharakter und auch dort, wo er in einen Wirtschaftsweg übergeht, gefällt es mir ungemein. Obwohl das Abwärtslaufen keine nennenswerte Anstrengung ist, bin ich froh, dass sich kurz nach Überquerung der Hauptstraße der nächste Verpflegungsposten meiner Hydrierung annimmt.
Auf der rechten Talseite geht es auf einem Wanderweg leicht oberhalb des Dorfes in einem leichten Auf und Ab weiter. Das Grün der Wiesen bis hoch hinauf zu den Felsen ist in Zeiten des ausgedörrten Flachlands wohltuend und tatsächlich gibt es auch den grünen Ring im Angebot für die Sommergäste, von denen mir dann und wann einige entgegenkommen. Das Original des Rings mit Wettkampfcharakter trägt aber Farbe und Name Weiß. Im Uhrzeigersinn werden rund um Lech und Zürs Höhen mit den Bergbahnen erklommen, um dann auf den Latten an den Füßen schnellstmöglich die nächste Talstation zu erreichen, bis man nach insgesamt 22 Kilometer Piste und 5500 Höhenmetern am Ausganspunkt zurück ist. Die gleichnamige Trailchallenge verläuft im Idealfall in entgegengesetzter Richtung, mit der Hälfte an Höhenmetern, dafür mehr Trailkilometern.
Nun, die Ersatzstrecke bietet die Gelegenheit, einen weiteren Teil der vielen Wandermöglichkeiten rund um Lech zu erkunden, welche mir zusagen. Dass auf vielen Wasser liegt, das nach dem ausgiebigen Regen den Weg aus den Wiesen ins Tal sucht, stört nicht. Dass ich seit dem letzten Anstieg allein auf weiter Flur unterwegs bin, auch nicht.
Das Tal verengt sich und bald wird es irgendwo hinunter zum Lech gehen, bevor der nächste Anstieg kommt. Die alte Walsersiedlung Bürstegg mit der St. Martinskapelle leuchtet mir in der Höhe der anderen Talseite schon lange im Sonnenlicht entgegen. Bevor es auf einem teils schmierigen Weidepfad steil hoch geht, gibt es aber beim lauschigen Gasthaus Bodenalpe das umfangreiche Verpflegungsprogramm. Wasser ist zwar gerade aus, doch ich erhalte das Angebot, dass ich für den Notfall auch ein kleines Bier haben könne. Soll ich „Mayday“ erklären oder nur „Pan Pan“? Eigentlich weder noch. Doch ich setze mich gerne zu den freundlichen Helfern hin und stoße mit ihnen auf diesen großartigen Tag an. Die Verlockung, an diesem schönen Platz in der Sonne zu verweilen, ohne dabei gleich geröstet zu werden, ist groß, doch die Ankunft zweier weitere Läufer erinnert mich daran, dass mein Vorhaben für diesen Samstag ein anderes ist.
Von Weitem höre ich Glockengeläut und laute Anfeuerungsrufe. Am Ende des steilen Weidepfads steht die Helferin, die mir in der Früh die Startnummer und all die Goodies ausgehändigt hat. Hier ist sie als eine der unzähligen Streckenposten im Einsatz.
Auf geschotterter Straße geht es mit sanfter, aber stetiger Steigung in Richtung Bürstegg, allerdings nicht ganz bis zur Siedlung. Vorher geht es links ab auf einen schönen Wanderweg, auf welchem ich wiederum einem Pferd Wegzoll in Form von Streicheleinheiten entrichten muss. Die Beschaffenheit des Untergrunds erlaubt mir, die Aufmerksamkeit der Aussicht zu schenken.
Nun geht es hinunter in den Taleinschnitt des Kitzbachs und anschließend nochmals 60 Höhenmeter hoch in die Nähe des Skyspace des Künstlers James Turell, einer weiteren Attraktion von Lech, die auf einen Besuch ohne Startnummer wartet.
In Oberlech geht es wieder auf einen vom Morgen schon bekannten Wegabschnitt. Anders als am Morgen biegt die Strecke auf den Burgwald-Wanderweg ab. Parallel zu der Downhillstrecke für Mountainbiker nähere ich mich dem letzten Kilometer. Meine Güte, was bin ich froh, dass ich zu Fuß unterwegs bin. Beim Anblick der Downhillstrecke löst allein schon der Gedanke, auf dem Drahtesel sitzen zu müssen, bei mir Schwindel aus.
Noch ein paar Meter auf Asphalt, dann bin ich im Ziel und bekomme die edle Medaille umgehängt. Beim Angebot der Zielverpflegung beschränke ich mich auf das bleifreie Iso aus Erding.
Mit dem Eintreffen der letzten Heldinnen und Helden öffnen sich die Schleusen des Himmels wieder. Die frisch geduschten Finisher, welche es sich auf den Festbänken vor der Schneggarei gemütlich gemacht haben, könnten für die Siegerehrung darauf verzichten, keine Frage. Über den gesamten Tag gesehen kann man aber sicher sagen, dass in Sachen Wetter dem Veranstalter und allen Trailern das Glück der Tüchtigen beschieden war.
Auf die Frage des Helfers, der mir die Notfallverpflegung organisiert hat, ob ich nächstes Jahr wiederkomme, kann ich nur sagen, dass ich alles daransetze, es möglich zu machen. Wie gut bei der Trailchallenge alles organisiert ist und wie freundlich und unterstützend alle Freiwilligen sind, weiß ich nach dieser Teilnahme; nun möchte ich das Ganze auf der Originalstrecke erleben.
22.08.20 | „Hopp, hopp, as gaut scho!“ |
Anton Lautner |