Ganz im Zeichen der Kirche findet dieser Laufevent seit nunmehr 10 Jahren statt, ein Jubiläum. Aber auch St. Maurice feiert in diesem Jahr ein großes Jubiläum, die dortige Abtei besteht seit 1500 Jahren. St. Maurice ist ein kleines Städtchen, vom Genfer See kommend in Richtung Martigny gelegen, unweit der Rhonetal-Autobahn. Die dortige Abtei zählt zu den ältesten der Schweiz und wurde nach ihrer Gründung im Jahr 515 bald ein wichtiges Ziel für viele Pilger.
An diesem Wochenende sind es Läufer aus nah und fern, die zum Défis du Jubilé pilgern, um auf „les Chemins Bibliques“ (biblischen Wegen) mit einer Gesamtlänge von 62 Kilometer und einer beachtlichen Höhendifferenz von insgesamt 3579 m unterwegs zu sein. Die Gesamtstrecke teilte sich dann noch einmal in acht verschieden lange Teilstrecken. Es bestand die Möglichkeit, nur einzelne Teilstrecken zu laufen oder nach einer Etappe seinen Wettkampf beenden. Wer zum Schluss noch austeichend Energie hatte, konnte auch noch auf die Défi +- Strecke gehen, einer 2,5 Kilometer langen Schleife über Alesse mit 500 zusätzlichen Höhenmetern.
Die Strecke führte entlang des Rhonetals und bis fast nach Martigny mit dem tiefsten Punkt in St. Maurice bei 414 m und dem höchsten Punkt kurz vor Finhaut bei 1303 m. Die vielen Höhenmeter sammelten die Läufer auf den Abstechern nach Vérossaz und Mex oder über Salvan, Finhaut und die Schlucht von Trient zurück nach Vernayaz. Zum Schluss waren dann noch 8 lange Kilometer entlang der Rhone zu bewältigen.
Bereits am Vorabend reiste ich an und bezog mit meinem Schlafsack ein Bett im Schlafsaal der Abtei. Am nächsten Morgen konnte ich dann ab 5:30 Uhr im Speisesaal frühstücken, wo dann auch all die anderen Défis-Starter eintrafen. Noch war es dunkel draußen und wir mussten zum Start unsere Stirnlampen anknipsen. Zwanzig Minuten vor dem Start begrüßte uns das Orga-Team in der angrenzenden Turnhalle, die zum Gymnasium der Abtei gehört. Dann ging es über den Schulhof zur Startlinie, wo uns der Abt mit Gottes Segen auf den Weg schickte.
Kaum hatten wir die Häuser von St. Maurice hinter uns gelassen, ging es auch schon auf einen steilen Wurzelpfad hinauf nach Vérossaz (km 6/811 m). In jedem Dorf führte die Strecke an der Kirche, dem christlichen Zentrum einer Gemeinde, vorbei.
Unmittelbar bei der Kirche befanden sich auch meist die Kontrollstellen und die Verpflegungspunkte, gleichzeitig auch das Ende einer Teilstrecke. Der Scheitelpunkt unserer ersten Bergetappe lag etwa 1 Kilometer vor Mex bei 1200 m. Von hier aus ging es dann wieder steil hinunter ins Rhonetal, wo wir von Evionnaz (km 15/484 m) auf einem breiten, teils asphaltierten Radweg bis zum 114 m hohen Pissevache-Wasserfall nahe bei Vernayaz eben liefen.
Nun verließ ich das Rhonetal in Richtung Mont Blanc-Gebiet auf einem steilen Schottersträßchen in 37 Serpentinen bis nach Salvan. Immer wieder hörte ich das Pfeifen der Martigny-Chatelard-Bahn, die von Martigny über Salvan und Finhaut nach Chatelard, Grenzort zu Frankreich, führt. Oft wurde dabei die Zahnradbahnstrecke überquert. Über 5 km zog sich meine Serpentinenstrecke bis hinauf nach Salvan dahin. Durch die bunten Herbstbäume konnte ich immer mal wieder hinunter ins Rhonetal blicken. Dann trennten mich noch knappe 7 Kilometer von Finhaut (km 31,3/1224 m), vorbei an Marécottes und Trétien immer entlang der MC-Bahnlinie.
Bei km 30 hatte ich den höchsten Punkt mit 1303 m und die Hälfte meiner Strecke passiert. Gleich dahinter ging es weg von der Asphaltstraße auf einen rutschigen Pfad, der in etwa einem Kilometer in engen Steilkurven in die Schlucht von Trient führte. Über eine Holzbrücke (910 m) ging es dann auf der gegenüberliegenden Seite durch die „Gorges Mystériques“, die geheimnisvollen Schluchten, ebenso steil wieder hinauf. Nach dem Aufstieg durch den lichtdurchfluteten Blätterwald mit moosbedeckten Felsen erreichte ich die Fahrstraße von Trient nach Vallorcine, der ich etwa einen Kilometer in Richtung Trient folgte. An der Pont de Litro (km 34) wechselte ich die Talseite auf eine Schotterstraße, die mich über La Crêtaz und weiteren 6 Kilometern zurück ins Rhonetal brachte.
Die letzten zwei Kilometer vor Vernayaz, einem weiteren Kontroll- und Verpflegungspunkt (km 46,3/460 m) befand ich mich auf einem steilen Felsenweg hinunter ins Rhonetal. Noch schien die Sonne, aber ein kräftiger, frischer Wind kam vom Rhonetal herauf, der mir später das Laufen im flachen Rhonetal erschwerte.
Unter der Bahnlinie und der Rhonetal-Autobahn hindurch lief ich über eine Fußgängerbrücke auf die andere Uferseite. In Dorénaz (km 48,0) konnte ich mich ein letztes Mal entscheiden, ob ich den steilen Weg nach Alesse, also den Défi +, machen wollte. Das sollten noch einmal etwa 2 extrem steile Kilometer sein, auf denen 500 Höhenmeter zunächst hinauf und genauso steil wieder hinunter zu bewältigen waren. Das fühlte sich endlos lang an, weil ich nur sehr langsam vorankam. Endlich verließ ich den Wald, kam ich auf eine steile Wiese und konnte auch schon die wenigen Häuser von Alesse sehen. An der Bergstation der Seilbahn musste ich mich am Kontrollpunkt melden, bevor ich den Abstieg in Angriff nehmen konnte.
Kurze Stücke auf der Asphaltstraße wechselten sich mit anspruchsvollen, steilen Trails hinunter nach Collonges ab. Etwa einen Kilometer vor Collonges (km 53,8) vereinten sich beide Strecken wieder. Aus Collonges heraus traversierte ich erneut die Rhone und blieb nun auf der linken Uferseite bis nach Vérolliez. Dort verließ ich das Flussufer, um zurück nach St. Maurice zu laufen. Gleich hinterm Bahnhof erreichte ich das Zielportal am Tor zum Gymnasium der Abtei - gottfroh, dass ich das Ziel noch unter 10 Stunden gemeistert hatte! Als ich meine Tasche zum Duschen holte, duftete feines Raclette aus dem Speisesaal. Damit musste ich mich nachher noch unbedingt vor der Heimfahrt stärken!
Die Strecke war sehr abwechslungsreich, führte über eindrucksvolle Wege durch Täler und Schluchten und durch malerische Orte. Der Asphaltanteil war zwar recht hoch, aber der Défi war ja auch nicht ausdrücklich als Trail ausgeschrieben. Aber wenn die Strecke dann auf einem Trail wechselte, musste ich mit voller Konzentration dabei sein, um nicht zu stürzen. Oft war der Trail dann auch gleich so steil, dass künstliche Stufen mit hohen Tritten die steilen Hänge hinauf oder hinunter führten. Manchmal waren auch steile Holztreppen notwendig, um eine Felswand zu überwinden.
Auch wenn ich gerne auf Trails hoch oben im Gebirge unterwegs bin, störte es mich diesmal nicht, mir die Berge einmal von weiter unten zu betrachten. Die Strecke war eindeutig markiert, die Verpflegungspunkte waren mit allem versehen, was sich ein Ultraläufer wünscht. Die Kontrollposten und Helfer waren stets um unser Wohl bemüht. Vielen Dank allen, die zum Gelingen des Défis beigetragen haben. Ich werde wohl im nächsten Jahr wieder dabei sein!