Drei Dinge gibt es in Niederösterreich, die viel verprechen, aber sehr schwer zu knacken sind. Und alle drei nennt man Dirndl: Das Mädchen, das Kleid, die Kornelkirsche. Alle drei machen Schmerzen, es sei denn, man macht daraus Marmelade.
Aus dem Dirndltal Extrem lässt sich keine Marmelade machen. 111 Kilometer mit 5000 Höhenmetern machen aus dem Läufer Marmelade. 3 UTMB Qualipunkte. Rundkurs.
Ausgangspunkt des Dirndltal Extrem Ultralaifes ist Obergrafendorf. Per Flieger nach Wien, dann weiter mit der Bahn nach St. Pölten, dann die Schmalspurbahn Richtung Mariazell in der Obersteiermark.
Organisiert wird der Lauf von Gerhard Lusskandel, der dieses Jahr den europäischen Rekord beim Badwater abgeben musste. Seine Erika fing erst kürzlich an zu laufen, belegte im Dezember auf Anhieb den zweiten Platz beim Boavista.
Letztes Jahr schrieb Gerhard den Dirndltal Extrem Ultramarathon noch mit 18 Stunden Zeitlimit aus (“Ich ging einfach von mir aus”), erhöhte dann auf 28 Stunden, obwohl Hund Luna mit 15 Monaten schon die gesamte Strecke in seiner Zeit mitläuft.
Die 3 UTMB Qualipunkte werden nicht durch das Fehlen von Verpflegung erreicht, die gibt es etwa alle 10 km. Für mich gibt es isotonische Eigenverpflegung, liebevoll von Karl und Gerhard mit Totenkopf verziert, dazu die Startnummer Eins als Dank für letztjährigen Bericht.
Start/Ziel/Startnummernausgabe etc sind am Vereinshaus des Eisenbahner-Sportverein in Obergrafendorf. Der Sport wird im alten, vor Hitze flimmernden Rund-Heizhaus mit der Drehscheibe ausgeübt: hier werden alte Dampflokomotiven der Marienzeller Bahn bei einer 2 Liter Flasche Wein restauriert.
1157 kam ein Mönch mit einer hölzernen Marienstatue nach Mariazell. Die Statue teilte der Legende nach einen Felsen, der den Weg versperrte. Aus “Maria in der Zelle” wurde Mariazell.
Der Weg zur Kirche ist eingerahmt mit Dirndlbäumen, deren Früchte noch quietschgrün sind. Die Kirche ist das einzige Gebäude des Ortes, welches 1683 von den Türken verschont geblieben ist. Außen am Seitenschiff ein römischer Gedenkstein, der an einen im Krieg gegen die Parther gefallenen römischen Soldaten erinnert. Die Parther waren die Skythen, das Reitervolk im heutigen Syrien. Dieser Römer aus Obergrafendorf starb wohl 160 n. Chr. in der Schlacht am Euphrat.
Schlaflose, verschwitzte Nacht. Jürgen ist vor der Hitze des Dachstuhls auf die Wiese geflüchtet, dem fallen heute Morgen die Augen zu. Gequälter Kaffe im Morgengrauen. Ich mag Frühstücksbegeisterte nicht, ich mag dieses laute “Joe, gut geschlafen?” nicht. Es gibt Tageszeiten, da genügt ein falscher Satz, um eine Freundschaft aufzukündigen, vor allem wenn er anfängt wie: “ Bist du fit?”
Einer der wenigen Ruhigen ist Andreas. Er wird genauso ruhig heute Abend seinen wichtigen Termin wahrnehmen können. Unglaublich, wie termingenau Siegertypen sind!
Start 6 Uhr. Der Lauf ist eine Sinfonie, steigert sich unmerklich aber unmenschlich zu einem unglaublichen Crescendo in den Bergen. Viele vergessen das, legen zu hohes Tempo vor. Bei manchen der 57 Läufer mache ich mir schon jetzt besorgt Gedanken, Oliver fällt mit seinem Ganzkörperanzug auf. Er und 17 andere werden das Ziel nicht erreichen.
Ab Dietmannsdorf geht’s scharf hinauf. Hier quert die Hochquellwasserleitung nach Wien unsere Laufstrecke. Sechs Quellen speisen die Leitung. Wunderbare Landschaft, herrliche Ausblicke hinunter in die Ebenen.
CP 1 in Hofstetten-Grünau an der Kirche. Die alte Burgkapelle wurde im Laufe der Jahrhunderte dreimal erweitert. Am rechten Kirchenbogen ist die alte Kapelle der Herren von Hofstetten noch erkennbar. Das barocke Langhaus wurde 1683 unmittelbar nach der Zerstörung durch die Türken errichtet. Im Hochaltar das Bild vom heiligen Georg (1757), dem Drachentöter. Kühle Kirche, leider geschlossen.
CP 2 ( km 23) Kirchberg. Für Begleitpersonal wäre hier das Modellbahnmuseum interessant mit dem schönen Überblick über das Dirndltal.
Vier Mädchen kreuzen meinen Weg, ich glaube ein bewunderndes Angebot zu hören. Liegt wohl an dem von Gerhard Börner erwähnten Ultraduft. Mir fällt in dem Moment das Zitat vom John Wayne ein: “Lady, der Sattel, den ich reite ist älter als sie!”
Der Hof heißt “Großer Brandgraben”, alles was hier mit dem Namen Brand versehen ist, ob Höfe oder Flurnamen weist auf die Ergebnisse des Türkeneinfalls 1683 hin.
Die folgenden Kilometer bereiten mit ihrer Härte langsam auf den Tag vor. Wir laufen auf dem schmalen, mit uralten Buchen bewachsenen Grad, bis wir in der Höhe von 740 m das Schwabeckkreuz erreichen. Eine rekonstruierte Pieta auf hoher Säule steht unter der knöchrigen Buche, mitten auf der Römerstraße, die dem Säumerweg aus der Hallstattzeit aus vorkeltischer Zeit folgt.
Das Kreuz wurde 1647 errichtet zum Dank dafür, dass eine Heuschreckenplage hier endete und nicht das Dirndltal erreichte. Die Burg Schwabegg gab dem Kreuz seinen Namen, sie gehörte Henricus Suevus de Tessingen, dem Schwaben von Texing. Sie verfiel nach seinem Tode 1227, aber wegen der extremen Steillage war sie nicht dem Steinraub preisgegeben, so dass der Steinhaufen noch deutlich sichtbar ist.
Oft führt der Weg durch die alten Hohlwege, doch der Regen hat unangenehme Steine freigelegt, sodass der Pfad bald auf die Grenze zwischen Wiese und Wald ausweicht. Auf der Südseite wurde der Wald vor tausenden von Jahren gerodet und quält uns mit kochenden Bergwiesen. Rechts ist der steile Hang dicht bewaldet. Heißt für uns: Pralle Sonne und tief bücken, wenn Äste entgegenschlagen.
Die weißen Kühe produzieren die weiße Schokolade, glaub ich.