Nun liefen wir in einem Schlosspark, von dem ich jetzt weiß, dass er zum „Observatoire de Meudon“ gehörte, dem ehemaligen Schloss Meudon, das heute als Observatorium dient. Hier hatte man das erste Mal einen ausführlichen Blick auf Paris, sogar der Eiffelturm war im Dunst noch zu erkennen. Weiter ging es durch den Park und da sah ich in der Ferne einen hell beleuchteten Bogen. Hurra! Wir hatten 19.30 Uhr, eineinhalb Stunden vor dem Zeitlimit war die Verpflegungsstelle erreicht! Toll!
Welch eine Enttäuschung, als ich den Bogen erreicht hatte. Ein riesiges Schild zeigte 46 km an, noch ganze 10 km bis zur Verpflegungsstelle! Hier war lediglich eine Kontrollstelle, an der der Inhalt des Rucksacks auf Vollständigkeit kontrolliert wurde. Noch 10 Kilometer und nur noch 1:30h Zeit – das war nicht zu schaffen!
In Wirklichkeit hatten wir hier km 48 erreicht. Ganz offensichtlich ist es Methode, die Teilnehmer mit falschen Zahlen zu verwirren. Bereits an der ersten Verpflegungsstelle stand ein Schild mit km 21, dem Roadbook und der Ergebnisliste nach war das aber km 22. Auch der Trail selber heißt „Le Trail 80 km“, im Road Book sind 82 km bis ins Ziel vermerkt, auf der Ergebnisseite im Internet wurden schlussendlich 83 km angegeben. Für schnelle Läufer sind solche falschen Angaben nicht besonders störend, für uns aber, die wir mit dem Zeitlimit kämpfen, können sie „kriegsentscheidend“ sein.
Da es bereits dämmerte, holten wir jetzt unsere Stirnlampen aus dem Rucksack, befestigten das reflektierende Armband und liefen dann, ohne zusätzlich kontrolliert worden zu sein, weiter. Meine Hoffnung auf Ankommen aber war gering, ging ich doch immer noch von 10 Kilometern und 1:30h bis V2 aus.
Es ging weiter wie bisher auf und ab, lange Strecken auch eben, die Wege waren gut, Untergrund auch, kein Regen mehr und unsere Stirnlampen leuchteten die Strecke bestens aus. Auch die Pfade im Wald waren gut zu erkennen. An den meisten Bändern waren Leuchtstreifen angebracht, die hell unser Licht der Stirnlampen reflektierten. Auch waren immer noch Läufer vor uns, an denen man sich orientieren konnte. Wenn man also etwas aufpasste, konnte man auch in der Nacht problemlos den Weg finden und laufen.
Immer wieder hatte man bisher auch Straßen überquert, stets gut gesichert durch Streckenposten, die die Autos stoppten. Auch jetzt kam solch eine Überquerung. Im Vorbeilaufen fragte ich den Streckenposten nach den Kilometern bis zur Verpflegungsstelle. Seine Antwort – 3,5 km – weckte wieder meine Hoffnung, dass es noch reichen könnte.
Tatsächlich kamen wir 14 Minuten vor dem Limit an. Nun hieß es in aller Eile die leeren Flaschen wieder zu füllen und etwas zu essen. Nach vier Minuten bereits verließen wir die Station wieder, gegessen hatte ich wenig, Flaschen waren aufgefüllt und meinen Energieriegel hatte ich im Rucksack gelassen – keine Zeit, den jetzt zu suchen. Die Zeit wurde übrigens wieder bei der Ankunft und nicht beim Verlassen der Station gemessen.
Die nächste Etappe würde etwas leichter werden, nur noch wenige Auf- und Abstiege und gegen Ende ging es hinunter zur Seine und dort eben weiter. Trotzdem mussten wir uns beeilen, denn es waren immerhin 17 Kilometer, für die wir nur zweieinhalb Stunden plus unseren Puffer von 12 Minuten Zeit hatten.
Mehr als acht Stunden waren wir bereits unterwegs und schon seit Stunden schmerzten meine Füße, auch die Oberschenkel signalisierten Erschöpfung und jetzt machte mir auch noch mein Magen zu schaffen. Angelika übernahm in dieser Phase die Führung, bestimmte das Tempo, so dass es doch noch angemessen flott vorwärts ging.
Das Profil war so einfach wie ich es vermutet hatte, der Untergrund wieder recht griffig und der Schlussabstieg, der auf dem Höhendiagramm so drohend steil aussah, erwies sich als leicht zu laufen. Ganz sanft ging es auf besten Wegen abwärts, teilweise sogar auf Asphalt. Kleine Schlucke aus meiner Flasche, die ich mit Cola gefüllt hatte, hatten mich wieder etwas aufgebaut und nur die Ungewissheit, wie weit es noch war machte mich nervös. Die Zeit rückte unerbittlich vorwärts Richtung 23.30 Uhr, dem Limit an V3 und ich konnte überhaupt nicht einschätzen, ob wir die Station noch rechtzeitig erreichen würden.
Ein Streckenposten, den ich wieder fragte, erlöste mich dann mit seiner Kilometerangabe. Um 23:26 Uhr kamen wir tatsächlich noch rechtzeitig an V3 an. Schnell füllten wir die Flaschen, ich nahm ein Stück Kuchen und schon hatten wir die Station wieder verlassen, zwei Minuten vor dem Limit und ohne vernünftig gegessen zu haben.
Um 1.00 Uhr spätestens mussten wir am Fuße des Eiffelturmes sein, damit wir noch nach oben zum Ziel auf der ersten Plattform gelassen wurden. Für die restlichen neun Kilometer bis dorthin hatten wir 1.32 h Zeit, also 6 km pro Stunde, das müsste zu schaffen sein, das konnte doch kein Problem sein! Dass es ein Kilometer mehr war wusste ich da ja noch nicht!
Da es jetzt nur noch der Seine entlang ging, musste die Strecke recht flach sein. Aber ich hatte die Zacken im Höhendiagramm nicht bedacht. Ganz offensichtlich gibt es keinen durchgängigen Weg dem Wasser entlang. Immer wieder wurde man über Treppen hoch geführt, musste den Fluss über-queren und auf der anderen Seite weiter laufen. Dann wieder ging es auf holprigen Wegen der Straße entlang, oder unten am Fluss. Die Streckenauszeichnung war auch nicht mehr gut erkennbar, so dass wir uns einmal sogar kurz verlaufen hatten. Zum Glück aber waren immer noch ein paar Läufer vor und hinter uns, so dass wir uns an denen dann orientieren konnten.
Um 0.35 Uhr sah ich endlich den Turm zum Greifen nahe vor mir: „Angelika, wir haben gewonnen!“ Pustekuchen, geschlagene 25 Minuten mussten wir noch laufen, über Treppen und Rampen rauf und runter, hin und her. Zum Schluss warteten wir auch noch an einer roten Ampel an der Hauptstraße vor dem 50 m entfernten Turm, wo doch die Sekunden drängten!
Um 1:00:28 Uhr liefen wir dann am Fuße des Turmes ein, 28 Sekunden nach dem offiziellen Limit, wurden aber noch durch gelassen. Hurra! Am Eingang bekamen wir eine Fahrkarte, mit der man wieder herunter fahren konnte und dann machten wir uns an den Aufstieg. Besser als gedacht kamen wir die vielen Treppen hoch, überholten dabei noch zwei Läufer und liefen dann 5:45 Minuten später auf der ersten Plattform des Eiffelturmes in 58 m Höhe über die Ziellinie.
Was für ein Gefühl! Die ganze Anspannung der vergangenen sechs Stunden Hetzerei war weg und wir waren nur noch glücklich.
Ganze fünf Läufer wurden nach uns noch hoch gelassen und erreichten das Ziel. Alle anderen, die ebenfalls noch am Eiffelturm ankamen, wurden nicht mehr gewertet: um 1:03:00 Uhr wurde der Durchlass zum Turm geschlossen. Insgesamt 23 Läufer waren das, die danach noch ankamen und abgewiesen wurden. Wie haben die sich wohl gefühlt?!
Fazit: Ein schöner, anstrengender Lauf durch noch nie gesehene Gegenden vor und in Paris. Wer nur einen Tick schneller ist als ich, hat auch mit dem Limit kein Problem, genügend Ausdauer vorausgesetzt. Wenn das Wetter schlecht ist, wie häufig um diese Jahreszeit in Paris, sollte man mehr als einen Tick schneller sein als wir. Da wären dann auch Stöcke sicher hilfreich, heute wären sie nur störend gewesen. Auch ein genauer Entfernungsmesser (z.B. GPS) ist unbedingt zu empfehlen, hat man dann doch Anhaltspunkte und Rückmeldung für sein Tempo.
Damit man abschätzen kann, was „einen Tick schneller bedeutet, hier ein paar Daten von Angelika und mir aus 2010:
Davos (78 km, 2.250 Hm): 12:18:41h
Fidelitas Nachtlauf (80 km, ca. 800 Hm): 11:36:18h
Rennsteig (73 km, ca. 1.400 Hm): 10:00:36h
Paris Trail (83 km, 1.500 Hm): 12:36:13h
6-h-Lauf Nürnberg 2011: 51,3 km.
Unterwegs hatte Angelika gemeint: „Diesen Lauf muss ich wirklich nicht noch mal machen!“ Das war aber zu der Zeit, als es regnete und die Bedingungen miserabel waren. Jetzt, nach den Glücksgefühlen beim Zieleinlauf und mit dem Wissen, was man noch optimieren könnte, kann ich mir durchaus vorstellen, dass wir nächstes Jahr wieder mit dabei sind!
Am nächsten Tag humpelte ich mit den Freunden durch Paris, wir schauten uns Verschiedenes an und vor allem löste ich mein Versprechen ein und zündete in der schönen Kirche Sankt Eustache eine Kerze an.
Noch ein paar Zahlen zum Lauf:
2008 waren es 896 Teilnehmer, davon sind 152 nicht im Ziel angekommen;
2009 waren es 1.181 Teilnehmer, 180 davon sind nicht angekommen;
2010 waren es 1.578, von denen 309 vorzeitig ausschieden und
2011 waren es 1.893, von denen 415 nicht angetreten, oder ausgeschieden sind