Mit dem Pariser EcoTrail habe ich noch eine Rechnung offen: 2018 wurden Norbert und ich nach einer grauenvoller Matschschlacht bei km 57 aus dem Rennen genommen. Das Ziel auf dem Eiffelturm steht also noch auf der Liste.
Wir melden uns für März 2020 an. Wegen der Pandemie wird der Lauf zunächst auf Oktober, dann aber auf den 3. Juli 2021 verschoben. Aufgrund der Renovierung des Turms wird der Lauf allerdings unterhalb des Turms beendet. Die Enttäuschung darüber währt nur kurz, schlimmer ist, dass Norbert auf ärztlichen Rat hin nicht laufen darf.
Das Konzept der EcoTrail Serie finde ich genial. „Trail goes to city“ bedeutet: ein off road- Erlebnis nahe einer Großstadt mit strengen Vorgaben zum Schutz der Umwelt. Der Lauf in Paris ist sozusagen die Mutter der EcoTrails, die mittlerweile viele attraktive Ableger hat. Es gibt immer eine 80 km Distanz, einen Marathon, aber auch eine Kurzstrecke.
Zu beachten ist die umfangreiche Pflichtausrüstung: für die lange Distanz müssen 1l Wasser mitgeführt werden, dazu ausreichend Verpflegung, 2 Becher, Rettungsdecke, Stirnlampe, Mund-Nasenbedeckung und Handy. Fehlende Gegenstände werden mit Zeitstrafen belegt. Ein Müllsäckchen wird bei der Ausgabe der Startunterlagen ausgegeben und muss ebenfalls mitgeführt werden. Müllentsorgung unterwegs im Gelände ist strikt untersagt.
Wir reisen bereits am Donnerstag mit der Bahn nach Paris. Es ist sonnig, so um die 20 °C. Wir besuchen den Louvre, ich will die Mona Lisa sehen. Mit den vorab im Internet gekauften Karten gibt es keine nennenswerte Wartezeit. Überhaupt ist alles relativ leer, Abstandhalten kein Problem. Wir tragen Masken und desinfizieren dauernd die Hände. Die Gastronomie hat geöffnet.
Am Freitag holen wir die Startunterlagen in einem Sportzentrum in der Nähe des Eiffelturms. Sicherheitskontrolle am Eingang, Hände desinfizieren, auch hier ist kaum Betrieb. Mit guten Wünschen erhalte ich meine Startnummer und das Müllsäckchen. Wir schlendern noch über die kleine Läufermesse.
Am Lauftag bin ich nervös, als wäre es mein erster Marathon. Norbert wird mich mit dem Fahrrad begleiten und hat deshalb ein Mountainbike gemietet. Das Teil scheint nicht gut in Schuss, Bremsen und Schaltung sind eine Zumutung. Aber für heute wird es schon gehen. Wir verabschieden uns am Bahnhof Champs de Mars, wo ich mit vielen anderen Läufern in den Vorortzug steige. Norbert fährt mit dem Rad und wird mich auf der Strecke treffen.
Nach etwa halbstündiger Zugfahrt chauffieren uns Transferbusse an den Eingang der Freizeitanlage Ile de Loisirs in Saint-Quentin-en-Yvelines. Dieses ca. 600 ha große Areal mit Wäldern, Seen und weiten Grünflächen ist ein beliebtes Naherholungsgebiet für die Pariser. Mit Restaurant, Campingmöglichkeit, Hotel, Wellenbad, Kinderbauernhof, Go-Kart-Bahn, Golfcourt und Hochseilgarten können vor allem Familien hier ein entspanntes Wochenende oder sogar einen ganzen Urlaub verbringen. Der Parkplatz scheint aber überwiegend von den Autos der Läufer belegt.
Nach einem Fußmarsch von ca. 1 km erreichen wir das Startgelände direkt am kleinen Vergnügungspark. Ich bin erstaunt, dass es weder Sicherheits- noch Ausrüstungskontrollen gibt.
Auf der grünen Wiese haben sich bereits viele Läufer eingefunden. Man sitzt auf dem Rasen und entspannt. Musik und Lautsprecherdurchsagen runden das Bild ab. Ein Highlight ist die Naturtoilette, das Klohäuschen aus Holz mit Plumpsklo. Am Eingang bekommt man ein Eimerchen, das man selbst mit Sägespänen füllt. Das ersetzt die Toilettenspülung. Einfach aber effektiv; hier riecht nichts.
Die LKWs für die Gepäckabgabe stehen bereit. Ich habe nichts dabei. Bei knappen 20 °C ist meine leichte Regenjacke bereits im Rucksack verstaut. An einem Stand gibt es Tee, Kaffee und Wasser. Der Vorstartbereich ist noch abgesperrt.
Geplant sind 3 Startblocks: 10Uhr15, 11Uhr15 und 12Uhr15. Diese werden dann nochmal in Wellen von 250 Startern aufgeteilt. Beim Briefing auf Französisch werden die Modalitäten erklärt. Punkt 10 Uhr werden die Eliteläufer in den Vorstartbereich eingelassen und stimmungsvoll um 10 Uhr 15 auf die Strecke geschickt.
Weitere Läufer dürfen nun aufrücken. Ich stehe leider weiter hinten im Gedränge und bin froh, dass hier jeder eine Maske trägt. Nach 5 Minuten wird erneut gestartet. Dann schaffe ich es endlich durch die Engstelle. Wir rücken vor bis zum Starttor. Es vergehen weitere 5 Minuten und dann ertönt auch für uns der Startschuss.
Die Wiese ist voller Löcher. Daher habe ich Angst um meine Beine. Läufer vor mir bremsen abrupt ab. Dadurch merke ich, dass ich viel zu schnell angelaufen bin. Wir haben 80 km vor uns, und ich sprinte durchs Gelände, als gäb es kein Morgen! Also erst mal Tempo raus. Bald haben wir den See Etang de Saint-Quentin erreicht. Die Läufer vor mir biegen nach rechts ab - das kann nicht sein. Ich drehe mich um und erkenne den richtigen Weg nach links. Das ist gerade noch einmal gut gegangen.
Die Strecke führt leicht wellig, mal mehr oder weniger direkt am See entlang. Bald sind wir wieder in Sichtweite des Startgeländes und daran vorbei. Hinter jeder Kurve bietet sich ein neues romantisches Bild. Immer wieder kommen Läufer von hinten, vermutlich aus der letzten Startwelle.
Ich bin jetzt schon eine Stunde unterwegs, da kann ich vor mir Norbert erkennen. Er hat es geschafft mit dem Rad an die Strecke zu kommen. Ich gebe meinen Fotoapparat ab. Heute will ich mich nur auf den Lauf konzentrieren.
Vor uns ist Musik zu hören. Eine Percussion Gruppe macht Stimmung. Wir sind nun ca. 7 km einmal um den See herumgelaufen und verlassen den Park. Es geht an einem großen Radstadion vorbei und über Treppen auf eine Fußgängerbrücke. Da kann Norbert nicht mit. Er sucht seinen Weg außen herum. Wir durchqueren eine kleine Urbanität, dann geht es durch einen Park auf die erste steile Steigung.
Die Begleitung mit dem Fahrrad gestaltet sich schwierig. Das Läuferfeld ist dicht, und die folgenden Singeltrails sind schmal. Norbert fährt voran, und hält an passenden Stellen, wir kommen gut voran. An einem Abzweig stehen dunkel gekleidete Männer, die die Läufer interessiert begutachten. Listen werden gewälzt. Sollte das eine der angekündigten Kontrollen sein? Ich werde nicht behelligt.
Die erste VP befindet sich in Buc bei km 22. Wie waren nochmal die Coronavorgaben? Beim Betreten der VP muss man eine Maske aufsetzen, dann die Hände desinfizieren. Auf einem separaten Tisch steht Wasser in Kanistern, zum Auffüllen der Wasservorräte zur Selbstbedienung. Ich überlege kurz, ob dies nötig ist, denn in 8 km gibt es ja die nächste Wasserstelle und meine Flaschen sind noch halb voll. Wegen des bewölkten Himmels ist es nicht wirklich heiß. Aber dann siegt doch die Vorsicht und ich tanke einmal voll.
Am langen Tischen stehen Helfer und servieren Cola, Tomatensaft, Tee, Kaffee und Wasser in die mitgeführten Becher. Für das diverse Trocken- und Frischobst muss man einen zweiten Becher dabei haben. Melone und getrocknete Feigen erscheinen mir angemessen und außerdem kenne ich die Worte dafür auf Französisch.
Ein schmaler Weg führt am Flüsschen Bievre entlang. Anschließend steigen wir eine Treppe zum Stausee „Etang de la Geneste“ hinauf. Oben wartet Norbert um mich anzufeuern. Dahinter kommt nun der erste ernst zu nehmende Anstieg. Oben angelangt dürfen wir sofort wieder steil runter. Norbert hat das Ganze elegant gespart und wartet unten. Für uns Läufer geht es dafür nochmal hinauf und noch einmal nach Buc hinunter. Im Wald zurück werden die Steigungen häufiger und länger.
Es geht über eine Brücke über die Autobahn und weiter kreuz und quer durch den Wald. Meine brennenden Oberschenkel signalisieren: zu wenig Training im Trail. Um ehrlich zu sein: kein Training im Trail. Wir sind zwar einige private Marathons gelaufen, aber das war auf Asphalt oder gepflegten Waldwegen. Solange es flach bleibt, ist alles in Ordnung. Die extremen Steigungen und Gefälle machen mir leichte Probleme. Anderen geht es schlimmer, einige Läufer sehen jetzt schon sehr schlecht aus.
Bei km 35 sollte die Wasserstelle sein. Zum Entsetzten meiner Mitstreiter sind die Kanister aber leer. Den Helfern ist das sichtlich unangenehm, aber für einige Läufer eine Katastrophe. Es ist jetzt so warm, dass man regelmäßig trinken muss. Ich bin froh, vorhin meine Flaschen gefüllt zu haben. Die nächste Wasserstelle kommt erst in 10 Kilometern. Ich rationiere meine Vorräte; so wird das schon reichen.
Norbert erwartet mich wieder. Das bedeutet für mich eine schöne Abwechslung, obwohl es auch immer wieder kurze Gespräche und Anfeuerungen mit Laufkollegen gibt. Ich werde regelmäßig überholt. Die Läufer der hinteren Startblöcke rollen an mir vorbei.
Während ich so vor mich hin laufe, versuche ich mich an unser Matschdesaster von 2018 zu erinnern. Die krassesten Steigungen und Gefälle erkenne ich wieder. Auch die Stelle, an der wir uns fast verlaufen hätten, sehe ich sofort. Da zweigt die Strecke scharf links ab. Das hatten wir in der Dämmerung damals übersehen.
Heute geht es ganz gut. Ich kann alle Gefällstrecken laufen, obwohl mich manche steinige Abhänge an die Grenze bringen. Bald erreiche ich Meudon. An jedem Abzweig stehen nun Streckenposten und weisen uns den Weg. Es geht an der Chapelle Saint-Philippe vorbei scharf links in den Park, dort wieder links eine steile Treppe hinauf, oben rechts und wieder links. Auf der nächste Treppe bemitleide ich einen Kollegen, der sich auf einen im Wald gefundenen Stock abstützt, um die Stufen zu erklimmen. Das sieht nicht gut aus. Oben vor dem Orphelinat Saint- Philippe befindet sich die Zeitmessung und das ersehnte Wasser.
Maske auf, Hände desinfizieren, erst zwei Becher Wasser auf die Hand. Dann fülle ich meine Flaschen. Nun bin ich wieder ansprechbar. Wie schön es hier ist. Wir befinden uns auf dem Gelände des sogenannten “Bildungsdorf St. Philippe“. Auf 14 Hektar gibt es das Schloss mit Postkartenaussicht auf die Hauts-de-Seine, die Kapelle, die wir vorhin passiert haben und den großen Landschaftspark. Hier können Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen ihre Schul- und Berufsausbildung absolvieren.
Heute ist hier Relax- oder Ausstiegsort, für die Läufer. Einige sitzen auf den Stufen im Schatten, andere machen Selfies. Ich genieße noch ein bisschen die Aussicht, schade dass Norbert mit dem Fotoapparat nicht hier ist. Aber den Aufstieg hätte ich ihm nie zugemutet. Jetzt jogge ich erst mal in den Park auf der anderen Seite des Berges hinunter und dann einen versteckten Pfad wieder steil bergauf. An der Mauer geht es bis zu einem kleinen Tor, dort auf die Straße. Im Ort kann ich mal wieder richtig laufen. Wir werden durch ein großes Portal geleitet, dahinter liegt ein steiles Stück Kopfsteinpflaster den Berg hinauf. Oben befindet sich das stattliche Observatorium von Meudon.
Es wurde 1875 gegründet und gehört seit 1926 zur Sternwarte von Paris. Bereits 1893 wurde hier ein für damalige Verhältnisse riesiges Linsenfernrohr eingebaut. Das Gelände ist Teil der Parkanlagen des barocken Schlosses Meudon welches leider im deutsch-französischen Krieg 1871 zerstört wurde. Die Originalfassade wurde teilweise im Observatoriumsbau erhalten. Der Schlosspark steht seit 1937 unter Denkmalschutz.
Auch hier gäbe es tolles Photomotive. Aber die Bilder des Observatoriums und der grandiosen Aussicht kann man sicher auch im Internet anschauen. Wir laufen einmal im Viereck durch den Park. Der Weg ist alles andere als gut. Es ist sandig und uneben. Aber kein Vergleich zu der Pfützenrallye vom letzten Mal. Am Tor werde ich beim Verlassen des Geländes von einem Streckenposten angefeuert.
Der nun folgende Matschweg erinnert mich dann doch wieder an den Lauf von 2018. Heute aber ist es warm und hell, und die Pfützen gut zu umlaufen. Ein paar umgestürzte Bäume quer über den Weg überklettere ich fast leichtfüßig. Es geht wieder steil bergauf, und bergab. Am Ende eines leichten Anstiegs kann ich schon von weitem Norbert erkennen. Er wartet an der VP in der Nähe von Chaville, km 57. Hier mussten wir letztes Mal das Rennen beenden. Diesmal habe ich kein Problem.
Maske auf, Hände desinfizieren, Wasser auffüllen, Verpflegung aufnehmen. Es gibt hier mitten im Wald sogar Stühle und Tische um sich auszuruhen. Nach kurzem Aufenthalt geht es weiter – ein netter Trail führt mich steil bergab. Nach dem folgenden Anstieg geht es nach Chaville hinunter. Die Straße ist brutal steil. Unten macht Norbert ein Foto.
Helfer weisen die Strecke: über die Straße und hinter dem Laden rechts. Haben wir gerade 100 Hm verloren, geht es diese nun wieder hinauf. Erst auf steilen Stufen, dann im Wald. Bis zur nächsten Wasserstelle bei km 67 folgt noch ein langer und mehrere kürzere steile Anstiege. Ich hatte es vermutet: auch an dieser Wasserstelle bekommt nur noch die Läuferin vor mir etwas Wasser. Diesmal ist mir das egal. Soviel ich weiß, kommt ja bei km 70 die Vollverpflegung und laut Höhenprofil wird die Strecke flacher. So ist es auch.
Leider liegt dann die letzte VP an einem Platz mit dem schönen Namen „Rond de la Balustrade“. Das sagt eigentlich schon, dass es nochmal steil nach oben geht. Dort wartet ausgelassenes Publikum, Musik, ein Moderator und Vollverpflegung.
Der Rest ist schnell erzählt: Es wird langsam dunkel, als ich nach steilem Abstieg unten auf Norbert treffe, der auf mich wartet. Er begleitet mich auf den restlichen Kilometern am Ufer der Seine entlang.
Samstagabend, Paris lebt. Überall „Bootdiskos“ mit feiernden Menschen. Auf einer riesigen Wand kann man Fußball gucken. Vor dem Eiffelturm an dem kleinen Vergnügungspark haben die Helfer zu tun, um einen Gang für die Läufer frei zu halten. Noch ein paar Meter auf der Pont d’Iena, dann bin ich nach 12h41 im Ziel.
Sofort bekomme ich eine schöne hölzerne Medaille und eine Papiertasche mit Verpflegung. Es gibt Getränke und einen entspannten Schwatz mit den Helfern. Norbert wartet am Eingang des Zieleinlaufs. Wir machen noch ein Finisherfoto.
Was die Autorin verschweigt: Der Eco Trail Paris 2021 war Birgits 250. Marathon/Ultra und sie wurde Siegerin ihrer Altersklasse. Herzlichen Glückwunsch. (Red)
Fazit:
Es ist möglich, trotz der Pandemie, Laufveranstaltungen auszutragen, wenn die Engstellen entzerrt werden. Blockstarts und Startwellen sind hier eine gute Möglichkeit. Das ist beim EcoTrail, bis auf das Anstehen zum Startbereich, sehr gut gelungen.
Ansonsten habe ich den früheren Start und die der Sommerzeit geschuldeten lange Helligkeit genossen. Das Wetter war optimal, die Strecke trotzdem sehr anspruchsvoll. Markiert ist der Streckenverlauf optimal, sehr viele Streckenposten weisen den Weg. Die teilweise Autonomie, d.h. die wenigen Verpflegungspunkte, wird mit 3 Itra Punkten belohnt. Ich hätte mir zu Essen noch etwas handfestes, wie z. B. Brot, gewünscht. Außerdem finde ich es schade, dass das Finishershirt eingespart wurde.
Sobald Norbert wieder laufen kann, werden wir den EcoTrail Paris wohl noch einmal in Angriff nehmen. Für mich wird es aber dann nur der Marathon.