In Egg (km 29) bekommen wir wieder Wassernachschub, aber nicht zum Nachfüllen. Die Vorräte sehen für mich aber schon arg begrenzt aus, ob da noch alle Nachfolgenden richtig nachtanken können? Vielleicht kommt ja Nachschub. Ein paar hundert Meter tiefer ist es jetzt schon wieder spürbar wärmer und die ersten Wolkenlücken sind auch bereits auszumachen. Scheinbar ist die Schlechtwetterfront wieder durch.
Den spektakulären Grat der Panoramatour zur Schnynigen Platte erreichen wir über eine Stahltreppe. Dort empfängt uns eine der schönsten Aussichten der Alpen mit der Berner Gipfelparade und dem wunderschönen Seenpanorama von Thuner- und Brienzersee mit dem dazwischen gelegenen Interlaken. Ich muss hier etwas von der Laufstrecke abweichen und näher an die Abrisskante und ein paar Fotos schießen.
Am Ende der Tour zweigen wir nach links vom Panoramaweg ab und es geht auf einem Schotterweg bergab zu unserer nächsten VP. Meine Oberschenkel sind jetzt wieder erholt, meine Form steigend und ich will hier bergab wieder Tempo aufnehmen. Die Straße ist ein Alptraum: steil und grob geschottert. Meine Oberschenkelmuskulatur ist bald am Anschlag und brennt wie Feuer, die Fußnägel stehen an der stabilen Zehenkappe des Laufschuhes an. Wer hier stürzt, muss anschließend zum Schönheitschirurgen. Glücklicherweise sind es nur ein paar hundert Meter zur Station.
Die Cut-Off-Zeit an der Schynigen Platte beträgt 10 Stunden, da bleibt mir viel Zeit für die Reststrecke. Die Labe ist wieder ausgezeichnet bestückt und wir können endlich unsere eigenen Wasserflaschen auffüllen. Es ist wieder richtig warm geworden und bis Burglauenen liegen 9 km steilster Abstieg vor uns.
Über Almwiesen geht es in den Wald, wo wunderschöne Single-Trails auf uns warten. Schöne Sachen haben aber auch oft Schattenseiten, die Pfade sind meist brutal steil und unwegsam. Durchsetzt von hohen Wurzelstöcken, ist oft nur mehr Absteigen statt Laufen möglich. Je wärmer es wird und je länger ich unterwegs bin, umso besser fühle ich mich. Es läuft wieder. So kann ich einige der Kameraden einsammeln, die mich während meiner Schwächephase überholt haben. Viele davon sind auf dem 100er, haben ungefähr die Hälfte ihres Pensums bewältigt und teilen sich ihre Kräfte ein.
Aber die Strecke geht nicht durchgehend abwärts. Zwischendrin ist auch noch eine einen Kilometer lange Klettereinheit mit 150 Hm eingestreut. Über 1000 Höhenmeter im Abstieg beinhaltet der letzte Abschnitt bis Burglauenen. Im Tal sind die Heizstrahler bereits wieder voll in Betrieb und das schlechte Wetter vergessen.
Unmittelbar nach der VP in Burglauenen nach Überquerung der Bahngleise führen die 7 Schlusskilometer des E51 nur mehr mäßig ansteigend, meist der schwarzen Lütschine folgend, ins Ziel nach Grindelwald. Der E101 führt nach rechts. Über Wengen geht es laaange hinauf zum Berghaus Männlichen. Die paar Meter bis zur Streckentrennung gehe ich mit Jan. Er hat einen Heidenrespekt vor dem anstehenden Anstieg, ist lieber auf flacheren Strecken unterwegs.
Etwas wehmütig muss ich mich von ihm trennen. Mein ursprünglicher Plan sah ja anders aus und im Moment bin ich auch gut drauf. Aber es hilft alles nix, im Laufschritt packe den Schlussabschnitt bis kurz vor dem Ortsanfang von Grindelwald. Die Rampe in das Zentrum geht so ziemlich jeder nur noch hoch. Die letzten Meter führen durch das Zentrum von Grindelwald, dann geht’s links ab in den Zieleinlauf. Von oben führt eine Holzrampe hinunter in den Zielkanal. Was für ein geiler Zieleinlauf. Der Eventbereich ist voll besetzt, man empfängt auch bereits die Ersten des E101.
Ich muss am Treppenansatz noch meine bayerische Fahne mit 100er-Aufschrift hissen, dann stürze ich mich hinunter und mein hundertster Marathon/Ultra ist unter Dach und Fach. Natürlich bin ich stolz und glücklich, diese magische Zahl erreicht zu haben, aber lieber noch hätte ich sie am Sonntagmorgen erreicht. Jeder Finisher bekommt auch heuer wieder das Unikat aus Stein, ein handverlesenes Stück Eiger am Band.
Um 20 Uhr stehe ich frischgeduscht und gestärkt wieder im Zielbereich und verfolge die Zieleinläufe der E101-Finisher. Wir haben jetzt wieder, wie heute Morgen beim Start, wolkenlosen Himmel. Etwas sehnsüchtig denke ich daran, wie schön es doch jetzt wäre, bei diesem herrlich lauen Sommerabend noch auf dem Eiger Trail unterwegs zu sein. Die Rennleitung und der Meteorologe denken ähnlich, wie wir noch erfahren sollten.
Aus heiterem Himmel wird es urplötzlich duster, schlagartig verdichten sich die schwarzen Wolken und ein schweres Gewitter zieht in kürzester Zeit auf. Um 22 Uhr blitzt und donnert es und es schüttet wie aus Eimern. Ich muss an Dieter denken. Ob er bei seinem dritten Versuch wohl die komplette Strecke laufen kann?
Bei der Siegerehrung am Sonntag um 10 Uhr werden wir von OK-Chef Ralph Näf aufgeklärt. Der Rennleitung blieb nichts anderes übrig, als das Rennen an den Bergstationen zu unterbrechen. Etwa zwei Stunden dauerte die Unterbrechung, dann konnten die aufgehaltenen Läufer/innen ihr Rennen auf einer verkürzten Strecke fortführen. Die Durchgangsstationen Lauberhorn, Eigergletscher und Pfingstegg wurden gestrichen und die betroffenen Trailer in einer gesonderten Liste gewertet.
Wieder einmal zeigte sich, wie schnell sich das Wetter in den Bergen ändern kann und wie wichtig eine angemessene Pflichtbekleidung wirklich ist. Die Organisatoren haben schnell gehandelt und alles richtig gemacht. Ich habe von niemand gehört, dass er gerne bei dem Gewitter oben weiter gelaufen wäre. Die Macher haben auch heuer wieder bewiesen, dass hier schnell und umsichtig gehandelt wird und man beim Eiger Ultra Trail in besten Händen ist. Da kommt man doch gerne wieder.
E 101
Männer
1. Jenzer Urs, Frutigen 11:44.30,6
2. Schlarb Jason,USA-Durango Colorado 11:50.58,2
3. Quelhas David, P-Povoa do Concelho 12:27.36,6
Frauen
1. Chaverot Caroline, F-Allonzier la Caille 12:45.41,4
2. Huser Andrea, Aeschlen ob Gunten 12:52.43,5
3. Canepa Francesca, I-Aosta (AO) 13:13.47,0
452 Finisher
E 51
Männer
1. Schedler Martin, D-Eppelborn 5:22.53,6
2. Herrmann Sandro, Domat/Ems 5:30.14,7
3. Kläusli Manuel, Nidau 5:32.47,3
Frauen
1. Schlump Regine, D-Immenstadt 6:07.05,9
2. Kahl Claudia, Meiringen 6:24.02,1
3. Eggerling Brigitte, Chur 6:26.03,6
641 Finisher