Ich kann mich noch gut an meine erste Teilnahme am Eiger Ultra Trail (EUT) erinnern, mussten wir uns doch auf dem 51 Kilometer langen Panoramatrail E51 (3000 Höhenmeter) auf der höchsten Stelle am Faulhorn durch hüfthohen Schnee wühlen. Da scheint der E35, den ich diesmal ausgewählt habe, eine leichtere Nummer zu sein. Nicht mal Marathonlänge hat das Ding. Aber er ist nicht zu unterschätzen, denn auf die Trailer warten 2500 positive Höhenmeter. Die größten Kämpfer aber sind auf dem E101 mit 6700 Höhenmetern. Sie absolvieren eine weitläufige Runde um Grindelwald.
Das interessante an meiner Entscheidung für den E35 ist, dass ich nach dem Finish des E51nahezu die gesamte Strecke des E 101 kenne, und das auch noch bei Tag. Nur so kann ich die Strecke und vor allem den Eigertrail unter der Nordwand fotografisch dokumentieren.
Meine Anreise nach Grindelwald ist spottbillig. Ich sage den Preis nicht, es glaubt mir eh keiner. Allerdings muss ich dabei acht Mal umsteigen. Die kürzeste Fahrtstrecke dauert eine Minute (von Friedrichshafen Stadt zum Hafen), die längste etwas über zwei Stunden (von Romanshorn nach Bern). Im Preis ist auch noch eine Fährverbindung über den Bodensee enthalten. Hoffentlich werde ich jetzt bei der DB und SBB nicht zur „persona non grata“, die haben bei meiner Reise nämlich garantiert nichts verdient.
Der Zielbahnhof liegt keine 100 Meter vom Eventgelände und der Ortsmitte weg, also kurze Wege. Bevor es die Startnummer gibt, muss man zur Ausrüstungskontrolle. Mogeln geht da überhaupt nicht. Im 17seitigen Wettkampfreglement ist genau beschrieben, was man zu tun und zu unterlassen hat. Allein das mitzuführende Material wird auf einer Seite genau beschrieben. Es reicht vom eingeschalteten Handy, der Sicherheitsausrüstung mit Rettungsdecke, Pfeife und elastischen Binde bis hin zu warmer Kleidung, Wasserflasche, Becher und Regenjacke. Stöcke können auch mitgeführt werden. Das empfehle ich auch ausdrücklich. Die nette Kontrolleurin ist mit meiner Ausrüstung einverstanden, gibt mir Startnummer und wünscht mir viel Glück.
Das Studium des Reglements sollte man nicht vernachlässigen, denn der Lauf wird in teilweiser Autonomie stattfinden. Das heißt, man muss teilweise erhebliche Zeit zwischen den Verpflegungspunkten verpflegungstechnisch überbrücken können. Mit Zeitstrafen wird das Wegwerfen von Abfällen bestraft, und wer unterwegs die Kontrolle seiner Ausrüstung verweigert, wird disqualifiziert. Im Gegenzug bietet das OK über 700 Helferinnen und Helfer auf, um einen reibungslosen, professionellen Lauf in einer grandiosen Bergwelt zu gewährleisten.
Am nächsten Tag, es ist noch dunkel, wirft mich ein Donnerschlag aus der Koje. Im ersten Moment denke ich, ein Gewitter, doch es ist der Böllerschuss für den Start der langen Distanz um 04.00 Uhr. Viel Schlaf finde ich danach nicht mehr. Nach dem Frühstück fahren die E35er mit der Bahn das kurze Stück hinunter nach Burglauenen. Um 07.19 Uhr startet der Zug, ich erwische gerade noch die E51-Trailer vor ihrem Start zum Panoramatrail.
Kurz nach 07.30 Uhr stehe ich dann bei erstem Sonnenlicht in Burglauenen. Dort erhalten wir letzte Infos, die Ausrüstung wird noch überprüft, Schuhe gebunden oder noch ein letzter Kaffee getrunken. Die nicht benötigten Klamotten werden auf einen Lkw geworfen, der sie zurück nach Grindelwald bringt. Eigentlich lässt mich sonst ein das Startprozedere recht kalt, doch heute bin ich etwas nervös. Ich weiß nicht, was auf der Strecke auf mich zukommt. Der Start wird in zwei Blöcken erfolgen, um 08.15 Uhr Läufer mit einer avisierten Zeit von unter 6.30 Stunden, fünf Minuten später die restlichen Trailer. 500 Teilnehmer sind auf dem E35 zugelassen, ich gehe davon aus, dass fast alle an der Linie stehen. Drei hammermäßige Steigungen weist das Streckenprofil aus: zur Spätenalp, zum Männlichen und auf der Gletschermoräne zur Eigernordwand.
08.15 Uhr, die Straße wird gesperrt und recht unspektakulär wird der erste Block losgelassen. Die Protagonisten in den ersten Startreihen schlagen ein gehöriges Tempo an. Dann werden wir aufgerufen, uns aufzustellen. Es will so recht keiner sich an die Startlinie stellen. Mir fallen zwei zierliche Japanerinnen auf, die mit ihren breitkrempigen Hüten ausschauen, als hatten sie einen Spaziergang vor. Aber da kann man sich auch täuschen.
Start! Die Sonne hat sich mittlerweile wieder hinter den Wolken versteckt. Eigentlich ist die Vorhersage recht gut, lediglich am Spätnachmittag sollen leichte Gewitter möglich sein. Mit den ersten Läufern des Startblockes biege ich auf die Hauptstraße ein, die wir aber nach dem Überqueren der Bahntrasse und der Brücke über die Schwarze Lütschine wieder verlassen. Nach einem kurzen Stück zweigt der Kurs des E51 ebenfalls nach links ab. Diese haben, sollten sie in einigen Stunden hier ankommen, nur noch das letzte Stück entlang der Lütschine bis Grindelwald vor sich, vielleicht sechs bis sieben Kilometer.
Unser Trail, eigentlich ist es noch keiner, da der Weg asphaltiert ist, steigt nun an. Die ersten marschieren bereits, andere laufen hinauf - noch. Dann gebe auch ich der Steigung nach und marschiere den Schindelbodenweg hinauf und hole mir so die ersten Höhemeter. Der Asphalt endet, ein fahrbarer Weg schließt sich an. Es ist Platz für alle, wir können zu zweit, manchmal auch zu dritt nebeneinander laufen.
Einige Hütten und Scheunen sind zu sehen, an einer werden wir sogar von zwei Anwohnern begrüßt und angefeuert. Dann endet der befestigte Weg, es geht nun auf einem Pfad weiter hinauf. Ich schätze die Steigung auf 10 Prozent, der Talgrund liegt schon deutlich unter uns. Immer wieder werden wir vor gefährlichen Stellen gewarnt, die ich erst auf dem zweiten Blick als gefahrvoll einschätze, denn mitunter sind an der Bergseite Drahtseile gespannt. Also ein wenig Konzentration schadet jetzt nicht.
Im Norden schauen wir zur Schynigen Platte, wo eine Bahn hinauffährt. Der E51-Kurs wird dort in unmittelbarer Nähe vorbeiführen. Im Tal können wir Gündlischwand sehen und Zweilütschinen erahnen, inzwischen fast 1000 Höhenmeter tiefer. Im letzteren Ort vereinigen sich sie Schwarze und Weiße Lütschine zur Lütschine, die das Tal hinaus entwässert und in den Brienzer See mündet. An der Spätenenalp endet der Bergtrail. Es tut mir gut, wieder anzutraben. Ich bin eine Stunde gut unterwegs und habe fünf Kilometer hinter mir, vielleicht auch nur vier. Die Wolken haben sich nun verzogen, die Sonne wärmt gehörig.
Der Kurs dreht auf südliche Richtung, wir können nun das Lauterbrunnental sehen mit den Wasserfällen bei Stechelberg. Ganz hinten im Tal grüßen uns die Hörner. Nicht das Matterhorn, das ich viel weiter westlich, sondern Breithorn (3780 Meter), Großhorn (3754 Meter) und Mittaghorn (3892 Meter), alle im Eispanzer und tief verschneit. Ab dem Leiterhorn (1525 Meter) fällt der Kurs, es geht hinunter nach Wengen (1274 Meter). Ich bin überrascht, wie schnell wir den Skiort erreichen, erst vor kurzem hat ein Wegweiser den Ort in zwei Stunden angezeigt.
400 Meter oberhalb dem Lauterbrunnental liegt der 1300 Einwohner zählende Ort. Im Winter sind es mit 10.000 deutlich mehr und auch im Sommer kommen viele Urlauber. Der Ort ist verkehrsfrei, lediglich ein paar landwirtschaftliche Fahrzeug und die Elektrokarren der Hotels sind auf den Straßen unterwegs. Berühmt ist Wengen für das Lauberhornrennen, ein Klassiker, der neben der Streif in Kitzbühel als eines der schwierigsten Abfahrtsrennen gilt. Wer beim Jungfrau Marathon unterwegs ist, hat hier in Wengen die erste gescheite Rampe ab Lauterbrunnen schon geschafft.
In der Ortsmitte wartet die erste Verpflegung mit Isogetränken und Bananen. Später werden auch Cola, Riegel und Gel ausgegeben. Wichtig ist es für die Teilnehmer, dass jeder seinen eigenen Becher dabei hat, sonst bleibt die Kehle trocken. Ich schütte mir zwei, drei rein und mache mich dann weiter auf den Weg. Achtung, auch hier gilt eine Regel: Man darf sich nur innerhalb des als „Food Station“ ausgewiesenen Bereiches Nahrung reichen lassen. Außerhalb davon muss man aus dem Rucksack leben. Also zwei, drei Riegel mitzunehmen, ist nicht verkehrt. Und noch etwas: Es gibt Zeitlimite. Spätestens um 10.45 Uhr muss man diese V-Stelle verlassen haben, andernfalls droht ein DNF. Ich bin über 45 Minuten im Haben und brauche mir jetzt noch keine grauen Haare wachsen lassen (passiert von alleine).
Nun folgt der gewaltigste Aufstieg auf unseren Kurs: Wir müssen zum Männlichen hoch. Auf vier Kilometer Länge stellen sich uns fast 1000 Höhenmeter entgegen. Touris schaffen das mit der Luftseilbahn mühelos. Für einen Trailer ist das keine Option.
Zwei, drei Minuten kann ich noch joggen, dann folgen erste Treppen. Der Wegweiser markiert den Gemsenweg hinauf über die Ussii Allmi (Äußeren Allmend), Parwengi und Mossenegg zum Männlichen. Zwar lässt uns ein Fahrweg ein paar Meter wieder laufen, doch dann zweigt ein übel steiler Bergpfad nach rechts ab. Es gibt wieder einige Gefahrstellen, die ersten schon im Wald, aber mit Konzentration sind die zu bezwingen. Nur der fotografierende Reporter hat es hier schwerer als seine Laufgefährten. Er bräuchte eine dritte Hand, zwei für die Stecken und eine für die Kamera.
Wir befinden uns im Lawinenschutzwald, in dem der Schnee durch Wind kaum verfrachtet und die Schneedecke stabilisiert wird. Einige Tafeln informieren über den Lawinenschutz. Ich müsste Zeit haben, das zu lesen. Heraus aus dem Wald wird es an den Hängen deutlich steiler, 30 Grad und mehr werden es sein. Sonnenöl wird aufgetragen, damit der Sonnenbrand keine Chance hat. 70 Minuten soll es für einen Wanderer noch nach oben gehen, wir werden nicht viel schneller sein.
Dreibeinböcke (nach dem Alt-Bundesrat Ogi auch Ogi-Böcke genannt) sind ein wirksamer Lawinenschutz. Der alte Herr und Förster hat entdeckt, dass solche Stahlkonstruktionen in Verbindung mit frisch gepflanzten Fichten das Abgleiten einer Schneedecke verhindern können. Noch weiter oben sollen Stahlschienen das Abreißen von Lawinen hindern. Fast ist es Kunst, wie sich der Gemsenweg durch die Schienen schlängelt. Ein Helfer hat eine Hängematte daran befestigt und will mit mir nicht tauschen. „Hättest du was anderes gebucht, dann konntest du hier liegen“, meint er nur.
Wir sehen schon die Bergstation, als ein Schild das Ziel des Bergpreises in 500 Meter anzeigt. Mit der Wertung werde ich definitiv nichts zu tun haben. Immer weiter führt uns der Gemsenweg hinauf, dann sehe ich das Ende der Steigung, wo viele Zuschauer, Helfer und Betreuer uns freudig erwarten. Eine Läuferin hält sich tapfer hinter mir: „Du läufst so schön gleichmäßig“, meint sie. Na ja, war schon mal besser. Vielleicht habe ich etwas dazu beigetragen, dass sie als Mitarbeiterin der Männlichenbahn die interne Firmenwertung gewinnt. Ich glaube, wir waren gut unterwegs, ab Talstation haben wir knapp 90 Minuten gebraucht. Ich bin zufrieden. Ein paar Meter weiter wartet die zweite Verpflegung, 14 Kilometer liegen hinter uns, drei Stunden sind wir unterwegs.
Der Gipfel des Männlichen (2342 Meter) liegt einen halben Kilometer in nördlicher Richtung entfernt, immerhin müssen wir den nicht mitnehmen. Die Bergstation der Luftseilbahn von Grindelwald, wo wir zum zweiten Mal verpflegen, liegt mit 2230 Meter nur geringfügig tiefer. 12.30 Uhr ist hier das Limit, ich habe schon eine runde Stunde gut. Gleich am Berghaus Männlichen (da kann man sich nobel unterbringen lassen, allerdings sind die Preise in adäquater Höhe) sehe ich die Kuh Liselotte, eine Konstruktion aus Stahl und Holz. Die Kinder haben eine Freude mit der eingebauten Rutsche.
Immer mit Blick auf den Eiger mit seiner mächtigen Nordwand führt uns ein bequemer Wanderweg (für Bergradler verboten) mit leichtem Gefälle an die Ostseite des 2520 Meter hohen Tschuggen und des Lauberhorns (2472 Meter), wo etwas unterhalb des Gipfels die Lauberhornabfahrt startet. Die führt auf knapp 4,5 Kilometer hinunter nach Innerwengen. Toni Sailer, Karl Schranz und Franz Klammer stehen mehrfach in den Siegerlisten. Auf diesem Weg sind wir nicht alleine, denn die Bergbahnen haben viele Touristen mit ihren Schlappen herauftransportiert. Bis auf wenige Ausnahmen werden wir gar nicht beachtet. Bei Rotsteckli (2118 Meter) biegen die E101er ab, die dürfen Kilometer sammeln auf einem Umweg über die Lauberhornschulter und Wengernalp. Zwei freundliche Helfer stehen parat, weisen uns ein und checken auch die Zeit.
Die Kleine Scheidegg (2061 Meter) ist unsere nächste Raststelle und Ziel des seit 1993 ausgetragenen Jungfrau Marathon. 1995 bestritt ich hier meinen ersten Berglauf, gleich als Marathon. Ich habe es bis heute nicht bereut. Der kleine Bahnhof ist Umstieg für alle, die von Grindelwald oder Interlaken heraufkommen und weiter hoch zum Jungfraujoch wollen. 1912 wurde der letzte neun Kilometer lange Abschnitt in Betrieb genommen. Von hier aus hat man einen prächtigen Einblick auf das Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau. 18 Kilometer liegen hinter uns. Also haben wir schon Bergfest, zumindest bei der Streckenlänge.
Der anschließende schmale Trail durch die Bergwiesen lässt sich gut laufen. Einen guten Kilometer geht es hinunter zu einem Graben, dann steigt unser Weg wieder leicht zum 1989 Meter hohen Haaregg an. Und hier sind wir jetzt auf der Strecke des Jungfrau Marathon. Unterhalb der Loucherflue nehmen die Steigungsprozente wieder zu und wir wechseln auf die Eigermoräne hinüber. Nicht nur die Sicht auf Mönch, Eigergletscher und Jungfrau ist atemberaubend, sondern auch die Steigung und die dünne Luft. Auch andere pfeifen aus dem letzten Loch. Der Gletscher ist in den letzten 40 Jahren um 150 Meter zurückgegangen. 1990 ist ein großer Teil des Hängegletschers abgebrochen. Etwa um 1850 reichten die Gletscher des Eiger bis hierher an die Moräne. Die Gletscherschmelze ist in allen Teilen der Alpen zu beobachten und bereitet Wissenschaftlern und Klimaforschern große Sorgen.
Schritt für Schritt kämpfe ich mich nach oben zu der Stelle, an der die Moräne endet. Gerade aus ginge es zu einem Mordsschutthaufen und in die Westflanke des Eiger. Wir dürfen abbiegen und erreichen dann die Station Eigergletscher (2319 Meter). Der 20. Kilometer wird angezeigt. Beim Blick hinüber zur Eigermoräne sehe ich die nach mit Platzierten wie Ameisen hochkrabbeln. Schaut recht lustig aus, wenn man selbst den Kampf mit der Moräne schon hinter sich hat. Iin diesem schneereichen Winter hatte es in diesen Hochlagen satte elf (!) Meter Schnee. Man glaubte es noch im Frühsommer kaum, dass der Schnee vollständig wegtaut. Bis jetzt müssen wir aber über kein Schneefeld laufen.
Den Bahnhof Eigergletscher passieren wir unterhalb und erreichen unser Top auf einer Höhe von 2350 Meter. Hier beginnt der 7,2 Kilometer lange Tunnel, der zum Jungfraujoch führt, ein paar Meter weiter das Zuckerl auf dem E35-Kurs: Der Eigertrail.
Rund sechs Kilometer lang ist der Trail an der Nordwand des Eiger, wir werden hier 705 Höhenmeter verlieren. Anfangs hat der Trail noch Fahrzeugbreite, dann wird er zum Bergpfad, der sich aber ganz gut belaufen lässt. Wir sehen einige Tafeln am Fels angebracht, darunter die von Ueli Steck, der als 18jähriger die Eiger-Nordwand durchstieg und später in sagenhafter Rekordzeit (2:22.50 Stunden). Bekannt wurde Ueli durch seine Solounternehmungen wie den Durchstieg der Annapurna-Südwand oder das Bezwingen aller 82 Viertausender der Alpen in nur 62 Tagen. Er war dem Eiger Ultra Trail sehr verbunden und bezeichnete ihn „härter, als die Nordwand solo“, was noch heute der Slogan ist. 2017 verunglückte der Bergsteiger bei einer Tour am Nuptse im Himalaja tödlich.
Den Eigertrail erbaute Adolf Gsteiger ganz alleine in nur 39 Tagen. Damit hat der Grindelwalder im Jahr 1997 einen Wanderweg geschaffen, der uns und viele Urlauber richtig nahe an den Eiger bringt. Ich genieße den Weg und bin in moderatem Tempo unterwegs. Dass mich Jüngere überholen und Ältere einfach stehen lassen, juckt mich nicht. Zuerst führt der Weg durch feinstes Geröll, später wird es grüner mit vielen Blumen. Bei Wart (ca. 2300 Meter) könnte man die Route der Erstbegehung 1938 (Anderl Heckmair, Ludwig Vörg, Heinrich Harrer und Fritz Kasparek) sehen. Leider hüllt Bewölkung die obere Wand des Eigers ein.
Und dann dürfen wir doch noch über drei, vier kurze Schneefelder trampeln. Gut, dass das Profil meiner Schuhe richtig giftig zugreifen kann. Über „im glatten Wang“ und dem Wärgistal geht es immer weiter hinunter. Technisch schwierig ist der Trail nicht, jedoch sollte man bei einigen Stellen konzentriert die Schritte setzen. Ein Franzosenpaar fällt mir auf. Er, der Stärkere springt voran und wartet immer wieder auf sie. Mit ihr laufe ich um die Wette. An einem Wasserfall, der direkt vom Eigergipfel herunterkommt, windet sich untere Strecke nach Norden und nach einigen Serpentinen erreiche ich das Bärghuus Alpiglen (1614 Meter), wo wir wieder verpflegen. Kurz nach 14.00 Uhr bin ich dort und habe fast zwei Stunden Puffer zum Zeitlimit. Neun Kilometer sind noch zu laufen.
Es folgen meist bequeme, befestigte Wege hinunter nach Brandegg (1333 Meter) und Trychelegg (1047 Meter). Noch fünf Kilometer. Die haben es noch einmal in sich. Zuerst kommt „nur“ein Gegenanstieg, zwar auf Asphalt, aber mit vielen Höhenmetern. Der Kurs geht dann wellig im Wald weiter, den Untergrund als rustikal zu beschreiben, wäre fast untertrieben. Man muss jeden Schritt genau setzen. Auf diesem Stück überholt mich der Führende im E101-Bewerb. Den habe ich überhaupt nicht gehört, wie er näher kam. Er muss geflogen sein.
Kurz vor der letzten Verpflegung beim Marmorbruch (1099 Meter) überqueren wir die Gletscherschlucht der Weißen Lütschine, die am stark zurückgegangenen Grindelwaldgletscher entspringt. Ich schaue in die Schlucht, die bestimmt 50 Meter in die Tiefe geht. Ein paar Minuten weiter starten die Langstreckler die „Sadistenschleife“, die sie bis zum Pfingstegg hoch führt. Ich trinke meinen letzten Becher Cola beim Marmorbruch, wo auch eine Bergwirtschaft steht, und mache mich dann auf die letzten vier Kilometer abwärts.
Im Talgrund überquere ich dann zum letzten Mal nun die Schwarze Lütschine, dann laufen wir rund einen Kilometer entlang des Gewässers durch den Campingplatz Gletscherdorf. Mir geht es richtig gut und kann noch ein wenig Tempo machen. Aber der Dämpfer kommt prompt. Wir verlassen den asphaltierten Radweg, die Straße geht sausteil etwa 50 Höhenmeter hoch zur Dorfstraße ins Zentrum. Es gibt Applaus von den Touristen und Besuchern in den Cafes. Dann biegen wir auf das Sportgelände ein, wo nun viele Zuschauer stehen und klatschen. Über eine Holzrampe geht es ein paar Meter wieder hinunter und dann laufe ich durch das Zieltor. Ich sehe meinen Namen und meine Zeit von 7.21 Stunden auf der Anzeige, werde vom Speaker angekündigt und dann ist das Abenteuer vorbei.
Wir erhalten eine gewichtige Medaille, einen Stein vom Eiger am Band und das Finisher-Shirt. Ich eile ins nahe Hotel und lege mich nach der Dusche für einen kurzen Moment in die Horizontale. Wie schon in der Früh weckt mich ein Donnerschlag, nun aber ein richtiger. Ein schweres Gewitter zieht auf, verbunden mit starkem Regen. Jedes Teil der mitgeführten Ausrüstung ist jetzt nützlich. Schließlich muss das Rennen der E101er unterbrochen und später neu gestartet werden, was eine verkürzte Laufstrecke zur Folge hat. Es soll eine separate Ergebnisliste geben.
Die Entscheidung des Veranstalters ist richtig und zeugt von hoher Kompetenz und Verantwortungsgefühl, auch wenn das nicht jeder betroffene Teilnehmer gleich einsehen will. Das betrifft auch die Pflichtausrüstung und deren manchmal belächelte akribische Kontrolle. Fast auf den Tag genau vor 10 Jahren starben beim Zugspitzlauf zwei Läufer in leichter Kleidung an Entkräftung und Kälte, obwohl es deutliche Warnungen vor einem Wetterumschwung gegeben hatte.
Mein Fazit:
Der Eiger Ultra Trail ist eine tolle Veranstaltung mit vielen Gesichtern. Den Panoramatrail (E51) zeichnen vor allem die Ausblicke in eine gigantische Bergwelt aus, beim E 35 ist ganz bestimmt der Eigertrail unter der Nordwand das Highlight. Tja, und beim E101 hat man beides am Stück. Aber den in Angriff zu nehmen, muss gut überlegt und vorbereitet sein.
Last but not least braucht man auch noch Glück, um überhaupt einen Startplatz zu ergattern. Zuletzt hieß es nach nur 24 Stunden: „Sold out.“
(Klaus und Margot Duwe)
E 101
Männer
1. Capell Pau, E-Sant Boi de Llobregat 11:24.38,4
2. Schlarb Jason, USA-Durango 11:57.58,8
3. Van der Zon Peter, Luzern 12:05.08,5
Frauen
1. Götz Kathrin, Bellach 13:49.06,0
2. Sperger Eva Eva, D-München 14:11.40,5
3. Benoit Caroline, F-Thonon les Bains 14:20.40,0
E 51
Männer
1. Lauterbach Christoph, D-Thurnau 5:14.11,9
2. Durance Clément, F-Fleurieu sur Saone 5:20.43,3
3. Naegele Lukas, D-Freiburg 5:23.53,2
Frauen
1. Segalada Michela, Winterthur 5:46.57,5
2. Meek Jo, GB-Eastleigh 6:09.49,8
3. Marques Inês, P-Fernao Ferro 6:23.13,2
E 35
Männer
1. Lauenstein Marc, Cormondrèche 3:26.34,9
2. Feuz Philipp, Ringgenberg BE 3:28.02,6
3. Schneider Gerhard, Mels 3:42.24,9
Frauen
1. Chiarello Déborah, Grindelwald 4:19.29,5
2. Van der Grift-Claessens Anouk, NL-Noordwijkerhout 4:19.51,3
3. Hartmuth Katharina, Zürich 4:21.15,9