Schon die alten Römer wußten den Eiswein als ganz besondere Weinspezialität zu schätzen. Irgendwann geriet er jedoch in Vergessenheit und erst im 18. Jahrhundert wurde er, wenn wundert’s, in Frankreich als Dessertwein wieder entdeckt. Die Lese erfolgt bei mindestens 8 Minusgraden. Das in den Trauben enthaltene Wasser ist dann nämlich gefroren und kann so beim Verarbeitungsprozess von den Fruchtanteilen getrennt werden. Dadurch bekommt der Eiswein seine charakteristische Säurenote. Bevorzugte Rebsorten sind in hier im Badischen Riesling und Spätburgunder.
Fast haben wir in diesem 3. Adventssonntag Eisweinwetter. 7 Grad Minus zeigt das Thermometer an und der Himmel ist sternenklar, als der Bus mit ca. 60 Läuferinnen und Läufern vom DOKA in Bühl Richtung Offenburg los fährt. Die meisten haben hier übernachtet und gestern Abend bei Nudeln, Wein und Bier ihre Erfahrungen und Lauferlebnisse ausgetauscht. Jeder kennt jeden, viele sind nicht zum ersten Mal dabei.
Initiator, Organisator, Pacemaker und Seele des Eisweinlaufes sind Rudolf Mahlburg und seine Frau Brigitte, beides begeisterte Ultraläufer. Wenn so weit gereiste Leute selbst einen Lauf organisieren, kann man sicher sein, dass kein 08/15 Ergebnis dabei heraus kommt. Der Eisweinlauf ist kein Wett-, sondern ein Gruppenlauf. Es wird gemeinsam gestartet, gemeinsam gelaufen und gerastet und gemeinsam ins Ziel eingelaufen. Die Strecke ist 65 Kilometer lang, hat 1.800 Höhenmeter und verläuft auf dem landschaftlich überaus reizvollen Ortenauer Weinpfad am Westrand des Schwarzwaldes. Zieleinlauf ist weder in einem kalten Stadion noch in einer geheizten Halle, sondern auf dem Christkindel-Markt vor dem Kurhaus in Baden-Baden.
Die weitere Besonderheit besteht darin, dass es sich beim Eisweinlauf um einen Spendenlauf zu Gunsten der „Aktion Benni und Co“ handelt, die Kinder mit „Duchenne Muskeldystrophie" (= Muskelschwund) unterstützt. Diese Krankheit bedeutet für die betroffenen Kinder und deren Familien immer noch eine unheilbare, tödlich endende Krankheit.
Rudolf hat mit seinen Läufen und Aktionen schon viel von sich reden gemacht, und so verwundert es nicht, dass zum Start vor dem Bahnhof in Offenburg auch ein Vertreter der Stadt erschienen ist, um die Läuferinnen und Läufer zu begrüßen und einen guten Lauf zu wünschen. Alle sind froh, als es um 8.00 Uhr endlich losgeht. Zuvor hat jeder sein Gepäck in die Begleitfahrzeuge gegeben und statt einer Startnummer ein Namensschild empfangen.
Wir traben los, überqueren ein paar Straßen und wenn die Ampeln „rot“ sind, bleiben wir stehen. Ungewohnt, kein Auto in Sicht, und wir stehen mit kalten Füßen und warten auf „grün“. Dann sind wir raus der Medienstadt, die durch den Burda-Verlag, der seit der Gründung der Stadt die Treue hält, bekannt ist. Übrigens, die private Kunstsammlung von Frieder Burda ist seit letztem Jahr in einem extra errichteten Museumsgebäude in der Lichtentaler Allee in Baden-Baden untergebracht. Kurz vor dem Ziel werden wir daran vorbei laufen. So schließt sich der Kreis.
Ein herrlicher Tag bricht an. Der Himmel ist wolkenlos, Reif liegt auf den Wiesen und es ist kalt. Sehr kalt. Da bewegt man sich noch mal so gern. Ich habe mich trotzdem nicht allzu dick eingepackt, weil es ja immer das gleiche ist: nach einer halben Stunde ist die Betriebstemperatur erreicht, und zu viele Klamotten werden dann eher lästig. Im Unterschied zu anderen Läufen habe ich eine Trinkflasche mit, weil die Verpflegungsstellen immer ungefähr 10 Kilometer auseinander liegen, und das vielleicht mal etwas zu lange dauert. Trinken ist auch bei niedrigen Temperaturen wichtig.
Ich habe nicht abgezählt, aber der Frauenanteil erscheint mir überdurchschnittlich hoch. Die Motivation, eine solch lange Strecke in Angriff ist geschlechtsübergreifend gleich: der Marathons sind genug gelaufen, lasst uns etwas Neues erleben. Und so ein Landschaftslauf über eine solche Distanz, zu der Jahreszeit, und dann noch in Gruppe, ist Neues genug.
Wir sind in Zell-Weierbach und nach ungefähr 4 Kilometer gemütlichem Einlaufen geht es zum ersten Mal kräftig bergauf. Kilometerlange Anstiege sind auf der gesamten Strecke selten, es sind meist kurze, dafür oft kräftige Anstiege. Bis auf ein paar Ausnahmen ist es auch mit den Abwärtspassagen so. Steile Stücke sind eher selten, aber bei der Jahreszeit nicht zu unterschätzen. Genau so selten sind lange Flachstücke. Immer wieder werden sie durch kurze Anstiege und Gefällstücke unterbrochen.
Man darf sich das auch nicht so vorstellen, dass man stupide die Weinberge rauf und runter läuft. Die Strecke ist abwechslungsreich, führt auch durch Wälder und Obstplantagen und immer wieder werden schmucke Weindörfer mit herrlich restaurierten Fachwerkhäusern und bekannten Restaurants durchlaufen. Die Gegend hier ist nämlich nicht nur bekannt für Wein und Obst, sondern auch für gutes Essen.
Wir kommen nach Durbach, überqueren das gleichnamige Flüsschen und steigen dann hoch auf 383 m zum ersten Verpflegungspunkt am Schloss Staufenberg (km 10). Der Service ist sensationell. Auf einer Plane, von der Feuchtigkeit geschützt, sind die Rücksäcke und Kleidertaschen nach Nummern aufgereiht. Die Verpflegung lässt keine Wünsche offen. Tee und Brühe, Wasser, Cola, Malzbier und Energiedrinks, dazu Käse, Würstchen, Brot, Christstollen und anderes Gebäck, Riegel, Nüsse, Rosinen, Salzgebäck usw. Ich weiß schon jetzt, ich komme mit einer positiven Kalorienbilanz nach Hause.
Das Schloss Staufenberg wurde im 11. Jahrhundert von den Zähringern erbaut und ist heute im Privatbesitz des Markgrafen von Baden. Wir haben einen herrlichen Blick auf die Schwarzwaldberge auf der einen, und die oberrheinische Tiefebene bis zum Straßburger Münster auf der anderen Seite.
Die nächsten 5 Kilometer geht es meist abwärts (von den schon erwähnten Gegenanstiegen einmal abgesehen) und dann 3 Kilometer fast eben über die Rench nach Oberkirch. Es ist noch ruhig in der Stadt des Weines. Kaum Autos und nur wenige Menschen sind zu sehen.
Trotzdem passen die uns begleitenden Biker höllisch auf, dass nichts passiert. Mit Trillerpfeifen und Zurufen warnen sie vor herannahenden Autos und die Autofahrer werden per Handzeichen auf das „Hindernis“ aufmerksam gemacht. Mit ganz wenigen Ausnahmen klappt das tadellos. Manche Autofahrer outen sich per Aufkleber zwar als Tierfreund, aber Menschenfreunde sind sie deshalb noch lange nicht.
Wir überqueren die festlich geschmückte Hauptstraße und beginnen gleich mit dem nächsten Anstieg zur zweiten Verpflegungsstelle an der Fatima-Kapelle vom Oberkircher Ortsteil Tiergarten (km 20,5).
Nach 10 Minuten gibt Rudolf mit seiner Trillerpfeife das Signal zum Aufbruch. Zusammen mit seiner Frau Brigitte setzt er sich wieder an die Spitze des Feldes und es geht zunächst weiter aufwärts. Wie immer werden die Anstiege im Gehen bewältigt. Hinten passen die Biker auf, dass keiner verloren geht. Das Tempo ist so, wie ich heute meinen langen Trainingslauf machen würde: etwa 8 Kilometer pro Stunde im Schnitt. Da bleibt viel Luft für Gespräche. Still ist es deshalb nie und Langeweile kommt auch nicht auf.
Nach einem längeren Waldstück kommen wir nach Waldulm. Die Spezialität der Winzer hier ist der Spätbunder, auf den ca. 85 % der Anbauflächen entfallen. Kenner schätzen die intensive Farbe und das volle Bukett. Das gilt auch für Kappelrodecker Wein, die Marke „Hex vom Dasenstein“ hat internationale Bekanntheit. Weit über die Grenzen hinaus bekannt ist aber auch die Kappeler Fanacht. Seit 180 Jahren spielen die Kappelrodecker zur Fasnetzeit verrückt. Beim großen Hexenumzug am "Schmutzigen Donnerstag" herrscht bereits großartige Stimmung, bei dem abendlichen Schudi-Treiben erst recht. Jeder Narr, der sich berufen fühlt, kann in den Lokalen eine Kostprobe seines Humors abliefern. Dabei gibt es keine Regeln, lustig muss, deftig darf es sein.
Bis Sasbachwalden laufen wir jetzt durch die Weinberge. Zunächst geht es um den Blosekopf herum und bevor wir in den Kurort kommen, sehen wir links kühne Klettergerüste mit Podesten in Schwindel erregender Höhe. Findige Eventmanager haben diesen beeindruckenden Mastenparcours errichtet. Die verschiedenen, fest installierten hohen Kletter- und Balance-Elementen sind mit einander verbunden und gilt es bewältigen gilt. Bei solchen „herausfordernden Übungen“ in bis zu 12 Metern Höhe kann man seine eigene Grenzen abckecken und für Adrenalin-Schübe sorgen. Vielleicht baut ja Rudolf beim nächsten Eisweinlauf einen Durchgang mit ein.
„Der alde Gott lebt noch!“ Diesen Ausruf tat ein Mann am Ende des 30-jährigen Krieges, als er unverhofft einen weiteren Überlebenden traf. Heute erinnert ein Bildstock an diese Begebenheit. Und der der Ausruf gab der Weinlage in Sasbachwalden den Namen, der Weinkenner landauf landab in Verzückung geraten lässt.
Wir haben jetzt 32,5 Kilometer zurückgelegt und „Halbzeit“. Gut gestärkt machen wir uns auf den Weg. Die nächsten Kilometer geht es wie schon gewohnt immer auf und ab und meist durch die Weinberge, wo die viel gelobten Reben wachsen, vorbei an kleinen Siedlungen und Höfen. Die Stimmung ist bei allen Läuferinnen und Läufern prächtig. Alle loben die Atmosphäre und tolle Organisation und freuen sich, ohne Streß und Zeitdruck, ohne Wettbewerb und Positionskämpfe durch’s Badische zu laufen, das heute wieder mal ganz besonders von der Sonne verwöhnt ist. Ich erfahre von Läufen, die ich noch machen will, werde auf Veranstaltungen aufmerksam, von denen ich noch nie etwas gehört habe und werde laufend auch nach meinen Erlebnissen gefragt.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Wir kommen durch Neusatz, laufen durch den Frauenwald und „ums Nummgucke“ (deutsch: im Nu) sind wir auf der Burg Altwindeck (km 42,5). Hier gibt’s Applaus von Passanten und einigen Etappenläufern, die uns auf dem Rest des Weges begleiten. Sogar die Presse zeigt Interesse an den Eisweinläufern, macht Bilder löchtert Rudolf mit Fragen. Der ist inzwischen Medienprofi und hat immer eine Infomappe griffbereit.
Dann der Pfiff und weiter geht’s. Noch ein Stück durch den Frauenwald und um den Klotzberg herum. Meist geht es bergab, bis auf ….. Ihr wisst es jetzt schon. Links unten liegt Bühl, Heimat von UHU und bekannt für seine Zwetschgen. Rechts auf den Höhen, dort auf der Lichtung, liegt das weltbekannte „Schlosshotel Bühlerhöhe“, eines der besten Hotels weltweit und, wie man hört, Quartier der englischen Fußballnationalmannschaft während der Weltmeisterschaft im nächsten Jahr. Zuvor haben wir schon mehrfach den schlanken Turm der Hornisgrinde gesehen, mit 1164 Metern der höchste Berg des Nordschwarzwald und Namensgeber des Marathonlaufes des TV Bühlertal am 23.07.2006
Wir kommen nach Altschweier und erreichen schließlich die Lagen des berühmten "Affentaler", der seine Bekanntheit nicht nur seiner hervorragenden Qualität verdankt, sondern auch der charakteristischen Affenflasche. Dann kommt Eisental, die Heimat des "Betschgräbler" und des Sportschützen Christian Lusch, der bei der Olympiade in Athen sensationell den zweiten Platz belegte und Gold nur ganz knapp verfehlte.
Bei der Kirche in Neuweier (km 53) ist schließlich die letzte Verpflegungsstelle eingerichtet. Neuweier gehört zum Baden-Badener Rebland. Anders als in den Lagen davor wird hier bevorzugt Riesling angebaut. Am bekanntesten ist vielleicht der „Neuweierer Mauerberg." Nicht nur der Qualitätsweinbau hat hier Tradition, auch die Gastronomie ist weithin bekannt und hat dem früher bei Feinschmeckern so beliebten benachbarten Elsaß zumindest hier in der Region längst den Rang abgelaufen.
Wieder liegt das Gepäck sortiert bereit. Die Sonne steht schon tief, und es ist spürbar kälter geworden. Mancher zieht sich etwas Frisches über. Rudolf erinnert daran, jetzt die Warnwesten anzuziehen und Stirnleuchten und Taschenlampen mitzunehmen. Normalerweise nimmt ein Läuferfeld mit zunehmender Dauer wegen diverser Aussteiger ab. Hier ist es anders. Es nimmt zu, denn auch hier steigen wieder einige Läufer ein, um die letzte Etappe mitzuerleben. Zuvor sind schon einige Walker auf die Strecke. Auch Varnhalt, das wir jetzt erreichen, gehört zum Baden-Badener Rebland. Noch ein kurzes Stück bergauf, dann verlassen wir die Weinberge und kommen in den Yburgwald. Jetzt muss man schon etwas aufpassen, denn es wird schummrig und der Waldboden hat seine Tücken. Wir kommen zum Golfplatz, der längst verwaist ist.
Kurz vor der AOK-Klinik Korbmattfelsenhof und dem SWR machen wir noch einmal kurz Halt. Wir kommen jetzt gleich in die Stadt und Rudolf gibt ein paar Hinweise zur Sicherheit. Ein Rot-Kreuz-Fahrzeug fährt vor uns her, den Schluß bilden die Biker. Wir laufen locker die letzten Kilometer zunächst bergab, immer äußerst rechts. Im Einzugsbereich des SWR haben sich teure Restaurants und tolle Kneipen angesiedelt. Die Wohngegend ist sehr gefragt und entsprechend teuer. Viele Fenster sind festlich geschmückt. Es gibt keine Probleme mit dem wenigen Autoverkehr und dann sind wir auch schon in der Lichtentaler Allee. Links ist die eingangs schon erwähnte Kunstsammlung Frieder Burda, dann kommt das Theater und die Kurhauskolonaden. Einige singen „So seh’n Sieger aus, shalalala…“ als wir auf den Christkindelmarkt vor dem Kurhaus einbiegen. Es ist eine einmalige Atmosphäre. Mit viel Applaus und Schulterklopfen laufen wir durch das Spalier der vielen Besucher.
Vor der Konzertmuschel wartet Sigrun Lang, die Oberbürgermeisterin. Sie lässt es sich nicht nehmen, die Läuferinnen und Läufer zu begrüßen und Brigitte und Rudolf Mahlburg dafür zu danken, dass sie diesen Lauf nunmehr zum vierten Mal mit viel Liebe und Engagement organisiert haben. Dabei erwähnt sie besonders den wohltätigen Zweck der Veranstaltung.
Dann wird gefeiert, es gibt Glühwein und der Sponsor Peter-Beck spendiert jedem einen Dambedei. Der Tag geht zu Ende und das Laufjahr auch. Der Abschluß ist wahrlich angemessen.