Unweit der 300 Einwohner zählenden Ortes Lenne beendet eine Linkskurve unsere Warmlaufphase. Es geht nämlich bis zur ersten Verpflegungsstelle an der Wolfskuhle rund 150 Höhenmeter bergauf. Heute ist mein Plan, nach Möglichkeit ohne Gehpausen durchzukommen. So rund vier Stunden soll das Erlebnis am Rothaarsteig dauern, und wenn es einige Minuten drüber ist, egal.
Ausgeschildert ist auf dem Kurs jeder fünfte Kilometer, sowie gegen Ende die letzten zehn einzeln. Kurz nach Kilometerschild 5 werden wir mit Wasser, Iso, Tee, Cola, Bananen und Äpfel versorgt. Den Energieriegel mit der Bezeichnung „Herminator“ sollte man im Hinblick auf den Namensgeber (Ski-As Hermann Maier) eher vor Gefällstrecken abgeben.
Nach einem Erholungsstück bis zum Parkplatz Böhre (Kilometer 6,3) stößt der Halbmarathonkurs dazu, doch von denen ist noch nichts zu sehen, denn sie werden erst in rund 20 bis 25 Minuten starten. Immer wieder haben wir Weitblick auf das Lennetal und sehen auch noch die kahlen Flecken in den Wäldern, die Orkan Kyrill hinterlassen hat. Aufgeräumt und aufgeforstet ist schnell, doch bis die Bäume entsprechend nachgewachsen sind, werden einige Jährchen vergehen.
Bis Kilometer zehn sammeln sich weitere positive Höhenmeter an, denn bei Stellmecke können wir rund 300 davon schon abhaken. Kurz dahinter gibt es beim Schäferhof erneut Verpflegung. Auf meine Schluckerei und Fotografiererei wird ein Papparazzi aufmerksam. Eigentlich bin ich ja ein solcher.
Um den Ort Jagdhaus herum könnte ein Läufer die Orientierung verlieren, denn erst trennen sich die beiden Strecken, dann sind die Halben wieder da. Und dann das Gleiche wieder. Doch keine Angst, die Ausschilderung lässt keine Zweifel offen. Außerdem weisen Helfer den richtigen Weg. Wer sich trotzdem vertut, braucht demnächst einen Blindenhund.
Unweit dieser Wegtrennung steht die katholische St.-Hubertus-Kapelle, die 1936 nach einem Plan des Architekten Josef Franke erbaut wurde. Der erschuf hauptsächlich im Großraum Gelsenkirchen viele Kirchenhäuser. Wir laufen nun auf einen 50 Zentimeter breiten Pfad direkt in den Wald hinein.
Die rund drei Kilometer lange Schleife zu Trudes Sonnenbank bringt uns nur wenige Wellen. Kurz vor dem 15. Kilometer, wir verlassen kurzzeitig den Wald, sehen wir eine große Brachfläche, die auch Kyrill zu verdanken ist. Ich weiß nicht, ob der Lauffreund ein Berliner ist, aber sein Team hat einen netten Namen: Wadenkrampf. Aber auf den kann ich verzichten.
Einen Kilometer weiter stoßen die Halbmarathonis wieder auf unseren Kurs. Über eine Wiese kommen sie angelaufen und plötzlich sind die Marathonis in der Unterzahl. heran. Nur nicht von deren Tempo anstecken lassen, das ist erstes Gebot.
Gut fünf Kilometer kämpfen wir Seite an Seite mit den Sprintern auf der Strecke, die noch einige Steigungen parat hat, wenn auch nicht so heftig wie zu Beginn. Mehrmals sieht man Spuren von Wildschweinen am Rand, die bei der Suche nach Würmern und Ungeziefer den Boden regelrecht umpflügen.
An einer Stelle mit einem riesigen Wasserloch lege ich mich kurz auf die Foto-Lauer, doch kein Läufer tut mir den Gefallen und tappt hinein. Also weiter. An der V-Stelle kurz vor dem Großen Kopf liegt die Halbmarathon-Marke schon hinter uns. Während wir für den Tankvorgang an der V-Stelle doch einige Zeit brauchen, erledigen die „Sprinter“ dieses quasi im Vorbeiflug.
Am Zinseseck (Kilometer 22) trennen sich die Wege. Helfer weisen ein und sprechen uns sogar persönlich an. „Du geradeaus“, gilt mir und „ihr links ab“ den Halbmararthonis.
Über den Rothaarsteig habe ich euch letztes Jahr schon etwas erzählt. Wer den 155 Kilometer langen Wanderweg von Brilon nach Dillenburg absolviert, der überwindet gleichzeitig einen Höhenunterschied von über 3900 Meter. Der Langenberg mit 843 Meter ist der höchste Punkt des Steigs. Der Große Kopf, den haben wir gerade passiert, ist nur etwa 100 Meter niedriger.
Meist verläuft der Steig entlang der Rhein-Weser-Wasserscheide, häufig über bewaldete Berge und Täler. Er ist durchgängig mit einem auf dem Rücken liegenden weißen R auf rotem Grund gekennzeichnet. Die Zubringerwege aus den Tälern zeigen das gleiche Zeichen, allerdings in schwarz auf gelbem Grund. Bei der Eröffnung im Jahr 2001 stützte man sich meist das schon vorhandene Netz von befestigen und unbefestigten Wegen.
Ein Helfer weist uns auf einen Trail erster Sahne ein. Kurzzeitig braucht man ob der Wurzeln und des Gefälles etwas mehr als die übliche Konzentration. Bei Kilometerschild 25 ist das Gröbste schon vorbei.
An der Hängebrücke berühren wir den Waldskulpturenweg Wittgenstein – Sauerland, der auf einer Länge von 23 Kilometer die Städte Bad Berleburg und Schmallenberg verbindet. Internationale Künstler haben mit elf Werken entlang des Weges etwas Einzigartiges geschaffen. Da gibt es Werke wie „Hexenplatz“, „Der Krummstab“ oder „Der Falke“. Kurz danach kommt noch ein Stich, und einige Läufer werden zu Gehern.
Später tangieren wir den Weiler Kühhude, wieder einige Zuschauer. Nur einem hat es am strategischen Aussichtspunkt aufgrund des strahlenden Sonnenscheins die Augen zugedrückt. Er schläft, Ursache das üppige Mittagsmahl oder der länger gedauerte Frühschoppen? Ein Markierungsschild weist dann auf eine weitere V-Stelle.