Vor zwei Jahren habe ich mich in die Trails am Gardasee verliebt. Kannte ich vorher nur ein paar Wanderwege rund um den Monte Baldo auf der Ostseite und ein paar Kletterfelsen bei Arco, konnte ich beim BVG Trail die wilden Berge auf der Westseite genießen, die dort quasi als Wand aus dem See herausragen. Berühmt sind vor allem die Strecken rund um Limone mit seinem Skyrace, das es wirklich in sich hat.
Auch der Trentino Trail geizt nicht mit Höhenmetern. 3600 an der Zahl und das bei 60 Kilometern. Das Streckenprofil weist 3 lange Steigungen auf, die auf knapp 1800 Meter Höhe führen. Heinrich Mann, der bekannteste deutsche Riva-Fan, war von dem milden Klima des Gardasees begeistert und auch ich wurde auf meinen bisherigen Reisen in das Land, wo die Zitronen blühen, immer mit sonnigem Wetter empfangen. Meine Angst, dass es Mitte Mai schon zu warm werden könnte, bleibt jedoch unbegründet. Eine Woche vorher liegt auf den Bergen rund um den Lago di Garda noch meterhoch Schnee. Und zwar Neuschnee! Eigentlich hatte ich gehofft, dass der Winter sich wenigstens in Italien in die rauen Berge zurückgezogen hat. Aber davon gibt es hier ja auch viele auf unserer Strecke.
Wenn man von Süden nach Riva kommt, bemerkt man gleich den Unterschied. War Malcesine etwas weiter südlich schon in Venetien, gehörte Riva bis zum ersten Weltkrieg zu Österreich-Ungarn. Das ist an den historischen Gebäuden unschwer zu erkennen. Heute ist Riva mit seinem schiefen Torre Apponale beliebter Ferienort. Insbesondere sportlich ambitionierte Gäste tummeln sich hier am nördlichen Ende des Gardasees. In der Nachbarstadt Torbole ist das Surfer-Mekka, in Arco sind die Kletterer unterwegs und Riva ist als Endziel vieler Alpenüberquerungen das Hauptziel der Mountainbiker - und an diesem Wochenende das der Trailrunner. Viele bekannte Finishershirts sind auf der Piazza zu bewundern.
Wir sind mit einer größeren Gruppe vom HartfüßlerTrail e.V. am Start. Italien wird erst langsam von den deutschen Läuferinnen und Läufern entdeckt. Aber diesmal sind außer uns noch 30 weitere Deutsche am Start. Die anderen sind wahrscheinlich alle zum x-ten Mal auf dem Rennsteig unterwegs. Okay, dort darf man in einem großen Festzelt schunkeln und man braucht auch kein ärztliches Attest. Beim Trentinotrail zählt zudem nur ein Attest auf der Original-Vorlage des Veranstalters. Glücklich, wer in seinem Verein einen Arzt seines Vertrauens hat.
Am Freitagmittag beziehen wir unsere Unterkunft mitten in der Altstadt von Riva. Die Anreise war erstaunlich staufrei, und so haben wir noch genug Zeit, um durch die Gassen zu schlendern. Am Hafen findet wohl gerade eine Segelregatta statt. Daneben steht auch das große Zelt, wo es unsere Startunterlagen gibt. Das Wetter ist noch ganz ordentlich und erst gegen Abend beginnt es leicht zu regnen. Aufgrund des meterhohen Neuschnees wurde die Strecke verlegt. Der Panorama Trail im zweiten Anstieg ist anscheinend unpassierbar geworden. Wir machen erstmal Pastaparty in einer Pizzeria um die Ecke und sind früh im Bett.
Am nächsten Morgen hat Petrus ein Einsehen und verschont uns gnädigerweise. Am späteren Zielgelände nehmen wir einen Cafe, also einen Espresso und ein Brioche und lassen uns mit dem Shuttlebus nach Arco zum Start fahren. Im Briefing wird noch einmal die Streckenänderung erklärt. Die Strecke wird drei Kilometer länger, dafür wird das Cutoff bei Kilometer 44 von 17:15 auf 16:45 vorgezogen. Die Höhenmeter, insgesamt 3600, bleiben nahezu gleich. Ich versuche es nicht zu verstehen. Noch ein letzter Cappuccino direkt an der Startlinie und pünktlich um acht geht es los.
Außer uns liegen wohl alle noch im Bett und so geht es durch die einsamen Gassen erst durch die Stadt und dann durch einen malerischen Olivenhain nach oben. Hier unten am See herrscht mildes Klima und es reicht ein kurzes Shirt. Der blühende Mohn verziert die schöne Strecke mit roten Flecken und ganz entspannt steigen wir stetig bergauf. Eigentlich gibt es bei diesem Lauf nur zwei Richtungen. Entweder hoch oder runter. Nur selten findet man flache Abschnitte zum Entspannen der Muskulatur.
Die erste Pause ergibt sich am VP bei sieben Kilometern. Mittlerweile hat ein leichter Nieselregen eingesetzt. Wir sind jetzt auf 900 Metern Höhe und so langsam wird klar, dass uns der Winter heute noch einmal die Zähne zeigen wird. Auf dem Scheitelpunkt der ersten Rampe laufen wir in den Wolken und die Sicht ist sehr bescheiden. Verdammt frisch ist es geworden. Immerhin lässt sich die Strecke gut laufen, die Singletrails sind nicht sehr technisch. Buchen und Eichenwälder wechseln sich mit Fichtenbestand ab. Der weiche Waldboden ist gut für meine Knie und beim Abwärtslaufen wird es auch gleich wieder wärmer.
Wir laufen durch ein wunderschönes Bergdörfchen und landen am Lago di Tenno. Nach dem kleinen See geht es durch weitere Bergdörfer immer tiefer ins Tal. Ein kleiner Wasserfall wird überquert und kurz darauf erreiche ich die zweite Verpflegungsstelle. Noch zwei Kilometer Downhill, dann beginnt die zweite Rampe. Knapp 1400 Höhenmeter gilt es auf den nächsten zwölf Kilometern zu bezwingen.
Die lieblichen Waldstrecken weichen jetzt steinigen Singletrails. Kurze Schauer wechseln sich mit leichtem Nieselregen ab. Wenn man hochschaut, sieht man die gewaltigen Zacken der Bocca di Dromae, unserem nächsten Ziel, das aber von Wolken verschluckt wird. Die Restschneeflächen reichen bis unter die Wolkendecke und man ahnt schon, warum die Pflichtausrüstung um Thermokleidung, Mütze und Handschuhe ergänzt wurde. Vor der Refugio Pernici jagen die Wolken über den Kamm und die Kälte kriecht in jede Ritze. Ich bin froh, dass ich heute Morgen doch noch auf eine lange Hose gewechselt habe.
An der Verpflegungsstelle schnell ein heißer Tee, und weiter geht es auf einem Panoramaweg durch den Restschnee. Die Sicht ist eingeschränkt, aber der Blick auf den weiteren Wegverlauf macht klar, wieso die Strecke in diesem Bereich geändert werden musste. Zu hoch liegt noch Schnee auf dem steinigen, schmalen Pfad und so biegen wir bei einem Joch einfach ab, um den Gebirgszug am schneefreien Südhang zu umgehen.
Die Windjacke reicht jetzt definitiv nicht mehr aus. Die Mütze und die Handschuhe müssen her. Der Winter schlägt noch einmal erbarmungslos zu. Nach einigen Schneefeldern sind wir wenigstens im Windschatten und je mehr Höhenmeter wir verlieren, umso wärmer wird es wieder. An der Strecke sitzt eine Frau und weint, weil ihre Hände so wehtun. Sie hat auf Handschuhe verzichtet. Der Blick auf den Lago di Ledro entschädigt uns dann für die erlittenen Strapazen. Bis dahin sind es aber noch brutale zehn Kilometer bergab. Immerhin hatten wir bei Kilometer dreißig schon gut zwei Drittel der zu laufenden Höhenmeter.
Am Lago die Ledro können die geschundenen Oberschenkel etwas entspannen, geht es doch fast drei Kilometer flach. Eine Wohltat. Mein Rücken schmerzt und so mache ich bei der Verpflegung in Molina eine ausgedehnte Pause und gönne mir neben Salami und Käse eine Dose Bier. Nach einem kurzen Anstieg und 5 fluffigen, flachen Kilometern erreiche ich nach einem steilen Downhill die Kontrollstelle für den Cutoff bei Kilometer 44. Ich bin gut in der Zeit und lasse die letzte Rampe langsam angehen. Die Anstiege sind moderat und bis auf ein paar einzelne dicke Tropfen ist das Wetter wieder okay. Da wir auch nur noch knapp über 1000 Meter Höhe kommen, wird es auch nicht mehr so kalt. Unterwegs gibt es eine Kontrollstelle, wo die Startnummern eingescannt werden. Ich dachte, das ist ein VP, aber Fehlanzeige. Die kommt erst sechs Kilometer später.
Der letzte Anstieg ist geschafft und es geht nur noch bergab. Ich nehme mir Zeit für eine weitere ausgedehnte Pause und genieße den leckeren Käse und das Dosenbier, bevor ich mich auf den Heimweg mache. Die Windjacke brauche ich jetzt nicht mehr und auch die Stöcke werden verstaut. Der Weg schlängelt sich am steilen Ufer des Gardasees entlang und gibt immer wieder schöne Blicke auf den See frei. Der Monte Baldo gegenüber ist von Wolken eingehüllt, aber im Süden blitzt ab und zu die Sonne durch. Bei uns hat jetzt leichter Regen eingesetzt, was die Freude aber nicht schmälert. Es ist wieder angenehm warm.
An riesigen Felswänden entlang, verlieren wir moderat an Höhe. Man muss es nur noch rollen lassen. Ich treffe auf Janina aus unserer Gruppe, die heute ihren ersten richtigen Trail läuft. Sie hatte sich die 30 Kilometer Strecke ausgewählt und ist jetzt einigermaßen platt, aber auch glücklich. Nach dem Örtchen Pregasina erreichen wir die Ponale, die alte Küstenstraße, die abenteuerlich durch etliche Tunnel am Steilufer entlang führt. Heute dient sie nur noch Fahrradfahrern, die hier ihre Alpenüberquerung beenden, und Läufern und Spaziergängern.
Herrliche Ausblicke begleiten uns, bis wir endlich die Promenade von Riva erreichen. Petrus ist gnädig und gewährt uns noch ein paar trockene Meter durch die Stadt. Vorbei an applaudierenden Touristen geht es zum Zieleinlauf, wo wir von unseren Teamkollegen schon erwartet werden. Ein strammer Lauf geht zu Ende.
Das üppige Abendessen, das in der Startgebühr enthalten ist, sparen wir uns und machen uns gleich auf zur internen After Race Party der Hartfüßler. Unser schnellster Teilnehmer erreichte nach 6:50 Stunden Platz fünf. Für mich unvorstellbar. Unser langsamster Teilnehmer erreichte Riva nach 12:15 Stunden. Obwohl das Cutoff bei zwölf Stunden lag, wurden alle Läuferinnen und Läufer, die die Kontrollstelle bei Kilometer 44 in der regulären Zeit noch erreicht haben, gewertet.
Fazit:
Der Garda Trentino Trail ist wegen seiner langen Rampen ein harter Lauf. 3600 Höhenmeter auf 60 Kilometer sind schon eine Hausnummer. Davon sind gut zwei Drittel in der ersten Hälfte zu bewältigen. Muskelkater ist da vorprogrammiert. Die Strecke ist nicht sehr technisch. Die Wege sind durchweg alle gut zu laufen. Mit dem Termin Mitte Mai ist der Garda Trentino Trail eine sehr gute Vorbereitung für lange Abenteuer in den Alpen. Markierung und Verpflegung sind perfekt. Der liebliche Charakter des Gardasses sollte nicht täuschen. Auch wenn es am Seeufer schon relativ warm ist, sind wir doch mitten in den Alpen mit schroffen Bergen und rauem Wetter in der Höhe.
06.05.17 | Ein Läufertraum wird wahr |
Klaus Sobirey |