Um 5:00 Uhr Tagwache – würde der Österreicher sagen. Um 5:30 Uhr Frühstück.
Eine Gruppe darf heute schon um 6:30 Uhr starten. Nach den hitzebedingten Laufzeiten des Samstags eine Vorsichtsmaßnahme, um alle rechtzeitig ins Ziel zu bringen. Um 7:00 Uhr starten die Führenden im Abstand der gestrigen Zielankunft, um 7:30 Uhr dann das Mittelfeld, darunter auch Judith und ich.
Heute sind mehr Leute an der Strecke, um uns zu verabschieden. Die alten Walliser Holzhäuser stehen hier auf glatten Steinplatten („Mäuseteller“), um Nagetieren ein Erreichen des Speichers unmöglich zu machen. Das kennen wir schon aus Zermatt. Knackig geht es in die ersten Anstiege, am Saltina-Tal bereits spektakuläre Abschnitte. Unter unseren Schuhen der 400 Jahre alte Stockalperweg. Der heutige Parcours wird etwas welliger werden, wenn man das verharmlosend so sagen kann. 2.400 Höhenmeter in beiden Richtungen. Schon bei km 3,3 zweigen wir auf den Höhenweg Ganter ab, gefolgt vom gleichnamigen Talweg. Dazu vermerkt der Wanderführer: „Der historische Wanderweg Talweg Ganter führt durch eine abwechslungsreiche Flora hinein ins tiefe Gantertal, vorbei an zwei Maiensässen (das ist eine Art Alphütte) und einer Kapelle. Er kann ergänzend oder als Variante zum Stockalperweg gegangen werden. Keine Anforderungen, auch mit Turnschuhen geeignet“.
Vor uns taucht die architektonisch interessante Ganterbrücke auf. In den 1970er Jahren wurde die Passstraße neu angelegt, durch den Bau der Brücke ein steinschlaggefährdetes Teilstück umgangen und der Weg um 1,7 km verkürzt. Die Lager der Brücke befinden sich anscheinend an der Unterseite der Pfeiler und können pneumatisch verschoben werden, wenn sich der Berg bewegt. Gut, dass wir nur unten durchlaufen. Das Tal selbst war bis zu einer Klimaverschlechterung ganzjährig besiedelt. Wir müssen nun auch unter der alten Ganterbrücke durch und auf der anderen Talseite die ursprüngliche Passstraße nach oben. Unter uns verläuft der knapp 20 Kilometer lange Simplon-Eisenbahntunnel. Die erste Röhre wurde 1905 nach sieben Jahren Bauzeit eröffnet. Ursprünglich sollte das Tunnelportal im Süden bei Gondo liegen. Dann entschied man sich für Iselle di Trasquera in Italien. Der Scheitelpunkt des Tunnels liegt aus verteidigungstechnischen Gründen unter der Staatsgrenze. Eine Gewohnheit, die auch beim Brennerbasistunnel von der italienischen Regierung gefordert wurde und den neuen Tunnel jetzt auf österreichischer Seite viel steiler werden lässt.
VP unter der neuen Brücke, weiter durch den Wald bergauf. Bei km 12 haben wir über 700 Höhenmeter geschafft. Stärkung und dann auf gutem Weg schnell hinab ins Tafernatal. Ziemlich verwunschen und düster ist es hier unten. Judiths Uhr verliert das GPS-Signal. Schade, dass unsere Mitstreiter uns schon vor längerer Zeit abgehängt haben. Ein eigenartiges Röhren lässt aufhorchen: Nicht weit von uns steht ein Reh und schaut uns an. Ich freue mich über zwei Mountainbiker, die uns auf dem steilen Weg entgegenkommen. Man muss gesehen haben, wie sie diese Bergpfade meistern.
An einem ehemaligen Wirtshaus vorbei und an Ameisen samt Hügel. Schauen die schnellen Trailläufer eigentlich auch immer auf den Boden? Warum sind die Ameisen am Simplon so dick? Fragen über Fragen. Exakt eine Stunde später erreichen Judith und ich den Simplonpass auf 2009 m Höhe. Kühl ist es hier in den Wolken. Ich genehmige mir zwei Becher warme Bouillon.
Ein riesiger Adler aus Stein taucht über unseren Köpfen auf. Auf dem Sockel ist zu lesen:
«IN DER FREIHEIT DER BERGE STEHT ES, EIN WUCHTIGES MAL AUS HARTEM GRANIT: EIN GEDENKEN TREUER PFLICHTERFÜLLUNG, EIN DAUERNDES MAHNEN, WILLIG UND WACH ZU SEIN FÜR UNSERE FREIHEIT.»
Errichtet wurde dieses Monument im Zweiten Weltkrieg von einer Gebirgsbrigade als Erinnerung an die „Wacht am Simplon“.
Auf dem gestern gelaufenen Weg geht es nun 11 Kilometer bergab Richtung Weiler Gabi. Das Wetter wird freundlicher, sodass ich die Sonnenuhr an einem Hof ablesen kann. Sie geht exakt richtig. Was würde man auch sonst von einer Schweizer Uhr erwarten?
Kurz vor Simplon Dorf ereignete sich am 19.3.1901 der größte Gletschersturz der Schweiz. Gewaltige Stein- und Eismassen fielen vom Rossbodengletscher und begruben zwei Hirtinnen und über 50 Stück Vieh unter sich. Die Eismassen lagen fünf Jahre lang 50 Meter hoch im Tal. Heute wächst neuer Lärchenwald in den Felsen.
Ein bisschen ärgere ich mich schon darüber, dass wir keinen Mitstreiter mehr einholen können. Da hilft auch der Straßendownhill nicht weiter. Bei km 30 ist der Trennungspunkt von Marathonis und den Runnern, die heute 28 km laufen, erreicht. Wer hier nicht mehr fit wirkt, muss auf die Talstrecke durch das Fort nach Gondo. Judith und mir geht es blendend, also dürfen wir noch mal 700 hm auf drei Kilometern nach oben. Diese Wegevariante wurde von Schmugglern benutzt, die nicht durch das enge Tal wollten.
Schweißtreibend, wir steigen Richtung Seehorn und erreichen auf 1872 hm Furggu. Empfangen werden wir mit großem Hallo und einem Alphornbläser. Wirklich toll, was die Helfer hier so leisten. Einige sieht man an einem langen Tag sogar mehrmals. Und sie sind immer für ein Schwätzchen zu haben. Nur die Frage, wie viel Zeitabstand der Vordermann hat, ist trotz Liste nicht zu beantworten. Das wäre noch eine Optimierungsmöglichkeit. „So 15 Minuten“ bedeutet, das es schwierig wird, noch jemanden einzuholen.
Der Charakter des Weges ändert sich wieder: Ein meist schmaler Wiesentrail wartet auf uns. Das Tack-Tack von Stöcken hinter uns verrät einen Verfolger. So wird man vom Jäger zum Gejagten. Judith forciert das Tempo. Noch schnell ein Bild von der Kapelle Maria Bru und auch der neue Stausee interessiert mich. Alles Hasten hilft nicht. Leander, der uns dicht auf den Fersen war, zieht rasant vorbei.
Bei Km 38 letzter VP. Als wir ankommen, ist Leander schon fertig. Wir sind nun an der Zwischbergenstraße. Meine Frage, ob es auf der Straße weitergeht, wird von den Helfern verneint. Es folgt ein schöner Weg auf und ab im Tal. Ein wunderbarer Buchenwald wartet auf uns. Nach der Mittelmeerpinie ist die Buche mein zweitliebster Baum. Aber die Pinie wird es hier nicht geben. Palmen hingegen sieht man beim Lago Maggiore öfter. Noch 1500 Meter, verkündet ein Hinweisschild. Rechts das ehemalige Goldbergwerk. Der Tausendsassa Stockalper war auch Besitzer einiger Minen. Der deutsche Name Ruden für Gondo leitet sich vom indogermanischen Rudaz ab, was Erz bedeutet. Das Goldbergwerk kann besichtigt werden. Für eine Wiederinbetriebnahme ist das Vorkommen trotz des hohen Goldpreises unrentabel. Ein Glück für die schöne Gegend.
Der Stockalper konnte durch Bankgeschäfte – er machte viele Mitbürger durch Geldverleih von seiner Gunst abhängig - so lange sein Vermögen und seinen Einfluss vergrößern, bis ihn einige Gegner verklagten. Er floh nach Domodossola, konnte aber nach einer Änderung der politischen Verhältnisse und durch Leisten einer Abbitte nach fünf Jahren auf sein Schloss in Brig zurückkehren. Sein letzter männlicher Nachfahre verstarb 1975.
Wir haben nicht mehr viel Zeit. Judith und ich wollen unter 9 Stunden bleiben. Ich rufe alle hundert Meter die verbleibende Zeit aus. Der Weg führt über Felsstufen nach unten. Auf dem Spielplatz jubeln uns die Kinder zu, dann ein Zelt voll mit bereits frisch geduschten Trailrunnern, welche auf die Siegerehrung warten. Die Zielverpflegung ist bis auf einige Getränke nicht mehr vorhanden.
Wir nutzen die Duschen, die noch warmes Wasser bieten. Als wir fertig sind, wird Judith aufgerufen, die wie jeder Finisher einen großen Laib Käse bekommt. Viele Mitstreiterinnen konnten sich heute verbessern. Eine Läuferin begleitete gestern ihren Mann, der nur den „einfachen“ Marathon lief, und konnte heute ungehemmt an drei Konkurrentinnen vorbei ziehen. Leider ist es Judith und mir nicht gelungen, auf einen der Frühstarter aufzulaufen. Der Strecke des zweiten Tages fehlten dazu längere Abwärtspassagen auf einfachen Wegen.
Für Judith und mich war es eine neue Erfahrung, an zwei aufeinander folgenden Tagen je einen Trail-Marathon zu bestreiten. Es hat mir wirklich viel Spaß gemacht. Die Betreuung war ausgesprochen freundlich. Ich fand die Strecke des ersten Tages landschaftlich abwechslungsreicher und kann diesen Teil als Einzelmarathon besonders empfehlen.
Fazit:
– Landschaftlich reizvolle, abwechslungsreiche, teils alpine Strecke
– Samstags von Gondo nach Brig-Ried über Simplon und Bstinenpass, 42,2, km, 2.000 hm
– Sonntags zurück über Gantertal, Simplon und Furggu , 42,2 km, 2.400 hm
– Übernachtung in Matratzenlagern für CHF 20,-/Nacht.
– Frühstück CHF 12,-, Abendessen CHF 20,-
– Doppelmarathon plus Übernachtung undVerpflegung CHF 246,-
– Laufshirt, Birnschnitzbrot und Gutschein für die Therme in Leukerbad in der Startertüte enthalten, Käselaib für die Finisher
– Strecke für erfahrene Marathonis zeitlich machbar
– Trail- oder Wandererfahrung im Hochgebirge sinnvoll
– Keine Pflichtausrüstung vorgeschrieben, Trinkflasche aber zu empfehlen
– Stöcke wurden von sehr vielen Teilnehmern benutzt.
– Ausgesetzte Stellen mit Geländer oder meist breitem Weg
– Zuvorkommende Auslegung der Cut-Off- und Zielschlusszeiten durch den Veranstalter
– Wahlweise kann ein Einzelmarathon oder der Doppelmarathon gebucht werden, außerdem können je zwei Läufer eine Staffel bilden. Der Running-Wettbewerb am Sonntag umfasst 28 km und 1400 hm mit Wertung, der Nordic-Walking-„Plausch“ dieselbe Strecke ohne Wertung, außerdem finden diverse Kinderläufe statt.
Sieger Doppelmarathon
1. Jordan Werner 8:59.41,1 (4:19.18 - 4:40.22)
2. Berchtold Daniel 9:11.11,3 (4:22.17 - 4:48.54)
3. Thallinger Rolf 9:14.38,6 (4:30.09 - 4:44.29)
Siegerinnen Doppelmarathon
1. Heinle Gabi 11:44.24,0 (5:36.34 - 6:07.49)
2. Braig Angelika 11:50.18,8 (5:42.19 - 6:07.59)
3. Andenmatten Maria 12:16.49,2 (5:56.48 - 6:20.00)
Sieger Marathon
1. Aebi Bruno 4:37.14,8
2. Bodmer Patric 5:11.21,5
3. Bornemann Frank 5:51.49,9
Siegerinnen Marathon
1. Arnold Adelia 6:27.23,0
2. Merck Karin 6:47.41,7
3. Hauller Elisabeth 7:26.56,9