Nach über 60 Marathons und einigen Ultras fehlt mir noch was. Der Mensch braucht Ziele und so reifte mein Entschluss, mal was ganz anderes zu probieren und mich an einen Doppeldecker zu wagen. Was gibt es da Schöneres als den Gondo-Event? Wenn schon, dann schon auf die harte Tour: Zwei schwere Bergmarathonläufe mit jeweils 2.000 Höhenmetern rauf und runter.
Mit Frank reise ich am Freitag mit dem Auto an. Wenn schon Gondo, dann bitte mit Übernachtung im Stockalperturm. Wir quartieren uns im Massenlager ein. Von den 20 Betten sind jedoch nur 6 belegt. Und wir sind direkt mitten im Geschehen. Vor dem Hotel gibt es ab 17 Uhr im Tourismusbüro die Startunterlagen und ein grünes Erinnerungsshirt. Im Hotel findet im 5. Stock am Abend die Pasta-Party statt. Die lassen wir uns nicht entgehen. Ein Bon zum „Nachtessen“ ist im Starterbeutel.
Wir treffen Daniel Steiner und lassen uns vom erfahrenen Gondoläufer über das informieren, was uns in den nächsten zwei Tagen erwartet. Bei einem Hopfenblütentee lassen wir den Tag ausklingen und bereiten uns mental auf die Läufe vor.
Wir haben gehörigen Respekt vor dem Gondo-Event. Noch nie haben wir etwas Derartiges gemacht. Daniel spricht uns Mut zu. Können wir brauchen. Unsere Taktik ist schnell klar, den Doppeldecker als ein Rennen über 84,390 KM anzugehen. Nur, das hier in Gondo eine Nacht Pause zwischen den beiden Hälften ist. Dazu verhalten loslaufen und die Körner nicht zu früh verschießen. Alles klar?
Der Morgen des ersten Renntages startet mit einem gemeinsamen Frühstück im Stockalperturm. Es gibt alles, was man als Grundlage für ein gutes Rennen braucht. Wir sprechen dem Angebot ordentlich zu.
Während wir mit unseren Kleidertaschen hinab zum Start gehen, muss ich an die Unwetterkatastrophe des 14. Oktober 2000 denken. Genau hier ergoss sich die Schlammlawine als Folge anhaltender massiver Regenfälle, riss den halben Stockalperturm und weitere Häuser des Ortskerns mit und begrub 13 Menschen unter sich. Zum Andenken an diese Katastrophe wurde der Gondo-Event ins Leben gerufen.
Wir geben unsere Taschen am bereitstehenden LKW ab. Auf dem Platz ist ein großes Zelt aufgebaut. Das Zielbanner hat zwei Aufschriften. Der Start wird gleich hier erfolgen und das Ziel werden wir hoffentlich morgen erreichen.
Es ist angenehm warm. Man kann die Zeit bis zum Start ohne wärmende Kleidung im Freien warten. Rennleiterin Brigitte Wolf erklimmt wenige Minuten vor dem Start einen Tisch und gibt den rund 100 Teilnehmern letzte Informationen. Alle freuen sich über die gute Wettervorhersage. Am Samstag soll kein Regentropen den Laufgenuss trüben.
Viele Läufer haben Trinkrucksäcke dabei. Das Mitnehmen einer Windjacke ist zwar nicht vom Veranstalter vorgeschrieben, wird jedoch empfohlen. Schließlich laufen wir bis auf 2.400 m Höhe und oben kann es empfindlich kalt werden. Ich hab natürlich meinen Rucksack am Mann und Kleidung und Trinkbares drin.
Mit Daniel hab ich vereinbart, dass er schwerpunktmäßig vom ersten Tag berichtet und ich vom zweiten, sofern ich den noch erlebe denke ich mir dazu.
Soviel möchte ich aber zum ersten Tag von meiner Seite aus sagen. Die Laufstrecke ist wunderschön, abwechslungsreich und herausfordernd. Es geht bis KM 23 stetig ansteigend hinauf. Über den Bistinenpass laufen wir ins Rhonetal hinab, wo uns viel Sonne und Wärme empfängt. Das Rhonetal ist ein inneralpines Trockental und nicht ohne Grund sieht man hier viele Bewässerungsanlagen der Landwirtschaft.
Um 8.15 Uhr erfolgt pünktlich der Start. Das Abenteuer beginnt. Ich halte mich sehr zurück und versuche Körner zu sparen. Immer wieder bin ich von der grandiosen Landschaft und der reizvollen Streckenführung angetan und bleibe stehen um zu schauen. An einer Felswand stehen zwei Bergsteiger. Ich bin wohl etwas zu ungeschickt im Umgang mit Seil und Haken und die beiden raten mir von einem Kletterversuch ab. Wer weiß, ob ich anderenfalls noch über den Zweitageslauf hätte berichten können.
Jeder Meter ist ein Laufgenuss. Ich bin begeistert. Dennoch bin ich froh, als ich die Höhe des Bistinenpasses erreiche und das Steigen ein Ende hat. Der Abstieg ist aber auch nicht einfacher als das Steigen.
Der erste Tag weist noch ein richtiges Schmankerl auf. Bei KM 40 ist die Saltina zu queren. Nicht über eine Brücke. Nein, es geht mitten durch das Wasser. Herrlich kühl. Und die nassen Schuhe kann ich ertragen. Schaut nachher im Ziel in Brig-Ried gut aus, wie alle Schuhe samt Einlagen zum Trocknen an der Mauer aufgereiht sind.