Gondo Event, jetzt offiziell umgetauft in Gondo Marathon, ist ein zweitägiger Lauf, dessen Streckenanteil an Single-Trails mindestens doppelt so hoch ist wie bei mancher Veranstaltung in Deutschland, die das Wort Trail im Titel trägt.
2 x 42,2 km mit jeweils ca. 2000 Höhenmetern Auf- und Abstieg, nahezu kein Asphalt, dafür viele wunderschöne Pfade – was für erfahrene Trailrunner ein unbeschwerter Genusslauf ist , ist für Anfänger gut zum Einstieg in die alpine Trailrun-Szene geeignet. Auch Marathonsammler und Trailrunner, die diesen Wettkampf als Training für den UTMB nutzen, starten hier gerne.
Neben dem Sportlichen trägt auch das enge Zusammenleben von Freitagabend bis Sonntagmittag zur besonderen Atmosphäre bei. Schnell werden neue Kontakte geknüpft und Freundschaften begründet. Das ist neben dem Naturgenuss und dem Spaß am Laufen einer der Punkte, die diesen Sport für mich auszeichnet.
In diesem Jahr stelle ich einen weiteren Vorteil dieser Veranstaltung fest: Mancher Lauf in den Alpen lebt vor allem von seiner schönen Aussicht, die eigentliche Streckenführung ist aber weniger interessant. In Gondo dagegen entschädigen bei Schlechtwetter schöne Pfade, idyllischer Bergwald, blühende Wiesen und alte Häuser für wolkenverhangene Berge. Wer wissen will, wie es auf dieser Strecke bei Sonnenschein aussieht, der kann dies bei den Berichten meiner Kollegen aus den letzten Jahren nachlesen. Bei mir dagegen seht ihr, dass es auch bei ungünstiger Wetterlage ein tolles Wochenende werden kann.
Am 14. Oktober 2000 kamen in Gondo bei einem Erdrutsch 13 Menschen ums Leben. Der Lauf soll an diese Katastrophe erinnern. Nach einem Rückgang der Teilnehmerzahlen im letzten Jahr geht es bei dem Event 2014 mit 110 Voranmeldungen wieder aufwärts. Wem zwei Tage Bergmarathon zu viel sind, kann auch mit einem Partner als Stafette starten oder am Sonntag 28 km mit 1400 Höhenmetern wahlweise mit oder ohne Zeitwertung laufen. Für den Nachwuchs gibt es auch einen Kidslauf.
Gondo erreicht man auch sehr gut ohne Auto. Mit dem Zug ab Bern ist man in 65 Minuten in Brig, von dort können Gondo-Läufer kostenlos mit dem Bus über den Simplonpass fahren.
Die Wege über Alpenpässe faszinieren auch immer wegen ihrer Geschichte, die in diesem Fall eng mit dem interessanten Leben von Kaspar Stockalper verbunden ist. Daher will ich die 2 x 42 km nutzen, zwischendrin auch ein bisschen über ihn und den Pass zu erzählen.
Während heutzutage bei den Mächtigen der Welt die Funktionen zumindest offiziell stärker getrennt sind, agierte Kaspar Jodok von Stockalper offen sowohl als Kaufmann und Bankier, als Großunternehmer, Politiker und Militär, lies Unterkünfte und Warenlager bauen und förderte auch Künste und Wissenschaften. In seinen Geschäftsbüchern kann man heute noch nachlesen, dass er seine Partner auch ab und zu bestach oder betrog. Vor allem mit dem Ausbau der Verbindung über den Simplon-Pass und der Ausnutzung entsprechender Monopole wurde er reich und berühmt. Der Wanderweg, dem wir über weite Strecken folgen, ist nach ihm benannt und heißt Stockalperweg.
In einem seiner markantesten Bauwerke, dem heute als Hotel genutzten Stockalperturm in Gondo, findet am Freitagabend die Pasta-Party statt. Das 1666 erbaute Haus diente einst als Unterkunft, Warenlager, aber auch als Verwaltungsgebäude. Bei dem Erdrutsch im Jahr 2000 wurde ein Teil dieses Gebäudes zerstört, danach aber wieder aufgebaut. In angenehmem Ambiente verbringen wir gemeinsam den frühen Abend. Von einem Fenster blicken wir hinab zur Grenze zwischen der Schweiz und Italien.
Anschließend gehen wir zu unserer direkt am Start/ZIelbereich liegenden Massenunterkunft. Gegenüber ist ein großer Wasserfall, dessen Rauschen nachts zumindest teilweise das Schnarchen der Nachbarn übertönt. Morgens beim reichhaltigen Frühstücksbuffet, das vor allem wegen dem hervorragenden Kaffee und dem guten Brot ein Extralob verdient, geht das allgemeine Begrüßen weiter. Man trifft sich immer wieder.
Deja Vu! 2014 plagt mich ein ausgesprochen mieses Stock-Karma. Beim Trail des Roches schaffte ich es nach dem Start nicht, die klemmenden Fizan-Stöcke auseinander zu ziehen und musste ohne Stöcke laufen. Bei der ersten Etappe der 4Trails ließ sich einer meiner Leki-Stöcke nicht ganz öffnen. Doch jetzt wird es wirklich doof: Bei einem meiner erst elf Tage alten und bisher nur beim Trail du Velan benutzten Stöcke bricht schon vor dem Start das Schraubgewinde. Zum Glück braucht man für die Gondo-Strecken eigentlich keine Stöcke.
Vor dem Start erzählt uns die Rennleiterin Brigitte Wolf ein bisschen über Strecke und Wetterprognose, dann geht es um 8 Uhr los.
Nach dem vielen bei meinen letzten Einätzen würde ich gerne wieder einmal bei Sonnenschein laufen, doch heute Morgen regnet es schon wieder und die Berge werden von tiefen Wolken verhüllt. Aber die Strecke gefällt mir von Anfang an sehr gut und ich bin mit Begeisterung dabei.
Schon bald laufen wir über faszinierende Wege durch die Gondoschlucht. Teilweise über hohe Stege und Brücken geht es am rauschenden Wasser vorbei, oft mit atemberaubenden Blicken hinab in die tiefe Schlucht.
Abwechselnd laufen wir auf Relikten der in napoleonischer Zeit angelegten Straße, die den alten Weg aus der Römerzeit teilweise ersetzte, dann auf modernen Metallstegen, dann wieder auf steinigen Wegen aus Stockalpers Zeit. Beim Fort Gondo durchqueren wir einen Verbindungsstollen aus dem Ersten Weltkrieg.
Schließlich verlassen wir die Schlucht und steigen auf einem noch originalgetreu erhaltenen Abschnitt vom Stockalperweg bergauf. Nun umgibt uns schöner Bergwald. Auch die Trails fördern die Freude am Laufen. Eine moderne Brücke führt hinüber zu einer ehemaligen Kaserne aus napoleonischer Zeit, die heute als Museum genutzt wird.
Immer weiter laufen wir auf einfachen Trails bergauf, immer mit der Wolkengrenze dicht über uns. Vorbei am Weiler Gabi geht es schnell hinauf nach Simplon-Dorf. Der Stockalper besaß hier große Warenlager und auch ein Salzhaus. Im alten Gasthaus ist heute ein Ecomuseum, das die Geschichte des Simplon zeigt.
Als ich an einer Bäckerei vorbei laufe, weht herrlicher Duft von Kaffee und Brötchen zu mir. Ich widerstehe nur knapp der Verlockung, hier ein zweites Frühstück einzunehmen. Die zweite Verpflegungsstelle ist nicht weit entfernt.
Auffallend viele Vorgärten sind üppig mit Zwergen und anderen Kitschfiguren dekoriert - goldige Zuschauer am Streckenrand.
Die Alpen sind ein gefährlicher Lebensraum, auf dem Stockalperweg gibt es dafür viele Zeugnisse. Bei dem heute idyllischen Weiler Maschihüs stürzten 1597 nach einem Gletscherbruch riesige Mengen an Eis ins Tal und töteten 81 Menschen. Unterhalb des Weilers Egga laufen wir über einen heute mit Wald bewachsenen Geröllkegel, das Relikt eines Gletschersturzes im Jahr 1901, der zwei Menschen tötete, zum Glück aber die bewohnen Häuser verschonte. Die jüngste Katastrophe 2000 in Gondo habe ich bereits erwähnt.
Immer wieder wird unser Weg von schönen Bruchsteinmauern und herrlich blühenden Blumen eingerahmt. Die nähere Umgebung ist so schön, dass es kaum etwas ausmacht, dass wir die Berggipfel über uns nicht sehen können. Das ist Trailgenuss ohne Langeweile.
Beim Engeloch steht ein Gasthaus, das ursprünglich im Jahr 1810 als Schutzhaus an Napoleons Heerstraße erbaut wurde. Danach erreichen wir das auffälligste Gebäude aus Stockalpers Zeit. Das Alte Spittel, das Hospiz vom Stockalper, wurde auf den Grundmauern einer ehemaligen Johanniter-Niederlassung errichtet. Vor der Fertigstellung des Hospizes auf der Passhöhe war es von 1650 bis 1831 die wichtigste Herberge für Reisende. Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts war es aber in sehr schlechtem Zustand, wurde zeitweise sogar als Gefängnis genutzt. Zu Stockalpers Zeit wohnten in den oberen drei Stockwerken im Sommer Mitglieder seiner Familie, im Erdgeschoss konnten arme Reisende sogar kostenlos unterkommen.
Nach wie vor hängt die Wolkengrenze dicht über uns. Daher sehen wir bei der Verpflegungsstelle am 2005 m hohen Simplonpass (km 17,4) nichts von der schönen Alpenlandschaft. Auch Rennleiterin Brigitte ist an der Verpflegungsstelle im Einsatz. Ich treffe sie noch öfters.